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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

867-868

Autor/Hrsg.:

Philipp, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Kosmologie und Erkenntnistheorie bei Eduard Zeller (1814-1908) 1960

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867

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

868

Kosmologie und Erkenntnistheorie bei Eduard Zeller (1814—1908)1

Von Wolfgang Philipp, Marburg/Lahn

(Kurzfassung)

Angesichts der Versuche, Vorläufer oder „Stammbäume"
der modernen Existenzmetaphysik herauszustellen — ein Verfahren
, das 6tets eine gewisse „Geschichtsphilosophie der Philosophiegeschichte
" einschließt — gewinnt unter den vergessenen
Denkern des 19. Jhdts. Eduard Zeller Bedeutung. Unter dem
Zwang äußerer Verhältnisse mußte er 1849 von der Theologie
zur Philosophie übergehen. So bekannt und anerkannt er als
Historiker der Klassischen Philosophie in seiner Zeit stand, so
unbekannt und isoliert blieb sein systematisches Philosophieren.
Obwohl der radikale Gegner Hegels vom Philosophiehistoriker
die Darstellung der Systeme als zentrale Aufgabe forderte, blieb
seine eigene philosophische Systematik in zahlreiche Akademievorträge
und Aufsätze zersplittert. Trotzdem ergibt die Be-

*) Erscheint unter dem Titel „Das System Eduard Zellers und die
Existenzmetaphysik" in der Neuen Zeitschrift für Systematische Theologie
1960.

Standsaufnahme eine ungewöhnliche innere Einheit dieser Arbeiten
. Zellers Veröffentlichungen im Bereich des Politischen,
Ethischen, der Religionsphilosophic, der Kategorienlehrc und
insbesondere im Bereich seiner Erkenntnistheorie, seiner Kosmologie
und seines existentiellen Deismus vollziehen eine
Denkbewegung, die mit der bekannten Drei-Stadien-Lehre Kierkegaards
in eigentümlicher Analogie zu 6tehen scheint. In der
Isolierung und Absolutsetzung des jeweils Dritten Stadiums erscheinen
Motivationen, die dem modernen Existenzdenken offenbar
nicht fremd sind. Verwandte Motivationen zeigen sich vereinzelt
auch bei anderen, denkerisch isolierten Gegnern Hegels im 19. Jhdt.
(E. P. G. Maine de Biran, J. Müller, J. A. H. Ebrard, A. Schopenhauer
). Unter Ablehnung geschichtsphilosophischer Erwägungen
wird eine geschichtliche Bestandsaufnahme der Phänomene unter
der historischen, phänomenologischen und systematischen Methode
für notwendig erachtet.

Zur Problematik des Verhältnisses von Sein und Wort in der Theologie Tillichs

Von Martin Seils, Halle

(Kurzfassung)

Die Systematische Theologie Tillichs kennt eine negative
und eine positive Bestimmung des Verhältnisses von Sein und
Wort. Negativ wehrt sie sich gegen jeden Versuch, Theologie vorwiegend
als „Theologie des Wortes" zu verstehen1. Gegenstand
der Theologie kann ihren Voraussetzungen nach vielmehr nur dasjenige
sein, das den Menschen im letzten Sinne angeht. In dieser
Weise unbedingt anzugehen aber vermag ihn nur das Sein und
nicht das Wort, nur der „Logos" und nicht die Rede. Positiv hingegen
will Tillichs Theologie festhalten, daß im Wort von der
Offenbarung sich das Logoselement des Seins selbst und die symbolisierende
Macht der Sprache zueinander fügen2. Theologie ist
dem Menschen nur dann möglich, wenn das „Wort" des Seins sich
in das Wort der Sprache überführt und die Tiefe des Seins und des
Sinnes in der Sprache einen nach Möglichkeit angemessenen Ausdruck
findet. Diese beiden Relationsbestimmungen von Sein und
Wort sind zunächst ausdrücklich ins Auge zu fassen.

Tillich hält es also einerseits grundsätzlich für abwegig, wenn
christliche Theologie sich als „Theologie des Wortes" konstituiert.
Dann, so meint er, wäre der bestimmende Gehalt der Offenbarungssituation
, auf die alle Theologie sich zu beziehen hat, verfehlt.
Gewiß drückt sich diese Situation letzten Anliegens und Angehens
folgenweise auch in einer personalen Relation von „göttlicher"
Anrede und menschlichem Hören aus. Aber dieser Relation zugrunde
liegt doch entscheidend jene ontische Beziehung, in welcher
der Mensch angesichts des Bedrohtseins seiner Existenz durch das
Nichtsein in Wunder und Ekstase die Macht des Seins erfährt.
„Theologie des Wortes" unterliegt der Gefahr, sich von dem
eigentlichen Grund göttlicher Manifestation und menschlichen Betroffenseins
zu lösen. Sie vermag lediglich Informationen über
„göttliche Dinge"3 zu bieten. Aber sie bleibt demjenigen Ort fern,
an dem der Logos Gottes selbst den Menschen aus der Seinsentfremdung
in das Neue Sein ruft. Nur an diesem Ort sollte die
Theologie das ihr im strengen Sinn gegebene Feld auslegender
Betätigung suchen.

Das jedoch heißt nun andererseits nicht, daß die Offenbarungssituation
schlechthin sprachlos wäre, die Theologie es also durchaus
nicht mit dem geredeten Wort zu tun hätte. Gewiß geht die
Offenbarungssituation dem Offenbarungswort 6tets voraus. Aber
Tillich stellt doch ausdrücklich fest, daß das geredete Wort ein
schlechterdings notwendiges Medium aller Offenbarungsformen
sei*. Er hält es für möglich, daß die alltägliche Sprache des Menschen
transparent wird für die Macht des Seins6. Sie kann das, weil
das geredete Wort — das allerdings stets hineingebunden bleibt

*) Tillich, Paul: Systematische Theologie. Bd. I. 2. Auflage. Stuttgart
1956. S. 147—151 u. 187—189. Im Folgenden wird die Systematische
Theologie mit STh abgekürzt.

2) STh I. 150. 3) STh L 149.

*) STh I, 150.

6) STh I, 148. Vgl. aber die Einschränkungen STh I, 149.

in die Endlichkeit des Menschen — selbst einen ontischen Bezug
hat. Tillich verweist dafür vor allem auf zwei Strukturelemente
der Sprache, die er als Ausdruck und Bezeichnung, Stimme und
Klang voneinander abzuheben sucht0. Beide Elemente machen es
möglich, daß im Rahmen endlicher Freiheit durch menschliches
Reden die Macht des Seins hindurchscheint. Wie jedes bedingte
Medium des Unbedingten kann die Sprache dem Sein allerdings
nur symbolisierend Raum geben7. Das heißt: Sie faßt einen begrenzten
Ausschnitt der endlichen Erfahrung, verneint dessen gewöhnlichen
Sinn in seiner wörtlichen Bedeutung und bejaht ihn
dafür insoweit, als das ausgesprochene Endliche selbsttranszendie-
rend am Sein partizipiert. In Stimme, Klang und Symbol aber ist
es möglich, daß die menschliche Rede unter den Bedingungen der
Endlichkeit für das sich manifestierende Sein transparent wird.

Die negative und die positive Verhältnisbestimmung von
Sein und Wort in der Theologie Tillichs scheinen einander durchaus
zu ergänzen. Der „Logos" des Seins ist dem „Wort" menschlicher
Rede vorgeordnet. Darum kann die Theologie nicht nur oder
nicht ausschließlich „Theologie des Wortes" sein. Aber die Offenbarung
des Seinssinnes muß notwendig, so wahr sie Offenbarung
für Menschen ist, begleitet und gedeutet werden durch symbolhafte
oder transparente Rede. In diesem Sinn sollte 6ich alle Theologie
strikt an das Wort gebunden wissen. Mindestens zwei Fragen
jedoch — so meinen wir — bleiben angesichts dieses Lösungsversuches
bestehen. Auf sie soll mit einigen Sätzen hingewiesen
werden.

Die erste Frage erhebt sich dort, wo Tillich zwischen einem
„Logos" des Seins und dem mit der Offenbarungssituation notwendig
, aber folgenweise verbundenen Offenbarungswort unterscheidet
. Tillich nennt diesen „Logos" — der das Prinzip der
zweiten Person der Trinitätslehrc darstellt — unter anderem die
„Quelle" der „göttlichen Sclbstoffenbarung im Grunde des Seins
561061'"*, den „Grund des Seins und des Sinns"9 oder den „Grund
der Struktur des Seins"10 und erläutert das einmal durch den Satz,
der „Logos" als „Seinssinn" halte „allgemeines Teilhaben, die
Formen und Strukturen der Wirklichkeit und das begrenzende und
lenkende Schicksal"11 in sich. Dabei wird das „Logos"-Element in
Gott unterschieden vom „Abgrund" (,,Madrt"-Element) und dem
Geist (,,Lebens"-Element). Im Verlauf der Unterscheidung dieser
drei „Elemente" kann es zu Aussagen wie der folgenden kommen:
Der Geist „verleiht Aktualität dem, was im göttlichen Grunde
potentiell ist und im göttlichen logos aussprechbar wird"12. Dem'

6) STh I, 148/49. 7) Vgl. vor allem STh I, 277-280.

») STh I, 187. •) STh I, 311.

,0) STh I, 276.

") STh I, 288. Vgl. STh I, 289: „Der logos enthält den göttliche"
Grund, seine Unendlichkeit und seine Dunkelheit, er macht seine Füll*
unterscheidbar, begrenzt, endlich."

") STh I, 290.