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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

863-866

Autor/Hrsg.:

Beintker, Horst

Titel/Untertitel:

Ontologie und Theologie 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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eine Fülle origineller Beobachtungen. Man denke etwa nur an
seine Bemerkungen über den Einfluß der Mystik auf die Erbauungsliteratur
, „welche die Bedeutung des ersten Glaubensartikels
für das christliche Leben wieder schätzen lehrte". Trotzdem ist
gerade der theologiegeschichtliche Gesichtspunkt von Beck selbst
kaum konsequent durchgeführt, sondern oft genug durch den
Vorrang der „Volkstümlichkeit" zurückgedrängt worden. Nur so
ist es verständlich, daß weithin im 19. Jahrhundert die eminent
theologischen Tendenzen der alten Erbauungsliteratur fast unbemerkt
blieben, ja, daß die theologiegeschichtliche Würdigung
dieses Schrifttums nur unzureichend sein konnte.

Die grundlegenden Untersuchungen des 20. Jahrhunderts,
besonders die Arbeiten von Wilhelm Koepp, Paul Althaus d. Ä.
und Martin Lindström, setzten daher bei der historischen und
systematischen Problematik des Verhältnisses von Theologie
und Frömmigkeit ein. An Gesamtentwürfen kamen die Lexikonbeiträge
von Walter Wendland (RGG"), Ingeborg Röbbelen (EKL)
und F. Bartsch (RGG3) hinzu. Die Wertung der alten Erbauungsliteratur
war hier freilich ihrem Verständnis im 19. Jahrhundert

geradezu entgegengesetzt. An die Stelle einer naiv-optimistischen
Inanspruchnahme trat die pessimistisch-kritische Erkenntnis einer
unverkennbaren Distanz zwischen originaler reformatorischer
Theologie und der mystischen Einströmungen unterworfenen
protestantischen Erbauungsfrömmigkeit.

Hat sich infolgedessen zur Zeit das Verständnis für die
frömmigkeitsgestaltende und mehr noch für die frömmigkeitskritische
Aufgabe der Theologie Bahn gebrochen, so darf doch
nicht außer acht bleiben, daß umgekehrt auch von einer theologieanregenden
, ja, theologiekritischen Funktion der Frömmigkeit zu
reden ist! Der Blick für dieses gegenseitig fruchtbare wie auch
wechselseitig kritische Verhältnis von Frömmigkeit und Theologie
könnte jene sachgemäße Würdigung und sinnvolle kirchengeschichtliche
Einordnung der Erbauungsliteratur anbahnen, die
gerade für ein Verstehen der kunstgeschichtlichen Ausstrahlungen
evangelischer Erbauungsliteratur — man denke nur an Paul Gerhardt
oder Johann Sebastian Bach! — auch theologischerseits mehr
denn je geboten erscheinen.

SYSTEMATISCH-THEOLOGISCHE SEKTION

(Leitung: C. H. Ratscho w/Münster und E. S c h o t t/Halle)

Ontologie und Theologie

Von H. B e i n t k e r, Greifswald

(Kurzfassung)

1. Voraussetzungen, Strukturen, Aussageformen einer Theologie
, auch Bilder, Begriffe, Vorstellungen, ja Symbole, mit
denen die biblische Botschaft bereits verbunden ist, die aber die
sie begleitende und immer neu auslegende Theologie nicht nur
aufnimmt, sondern neu interpretiert, mit neuen Bildern, Begriffen,
Vorstellungen, in der jeweiligen Sprache und Denkweise das
Eigentliche der Botschaft auszusagen bemüht: das alles sind Elemente
, mit denen theologische Erkenntnis gewollt oder ungewollt
arbeiten muß, wenn sie das in Gottes Offenbarung gegebene
Zeugnis als Vorbereitung der aktuellen Verkündigung
der Botschaft darlegen will. Es kommt hinzu, daß auch mit solchen
Elementen aus sachfremden Bereichen erfolgreich theologi-
6iert worden ist und noch wird. Wir verbinden diese Elemente
und diese Erscheinung mit dem Begriff der Ontologie in etwas
erweitertem Sinne und sprechen dabei die These aus, daß jede
Theologie in gewisser Weise ihre Ontologie hat und jedenfalls
kein Theologe ohne solche ontologischen Darstellungs- und
Ausdrucksmittel auskommt. Von daher ergibt 6ich fraglos die
Aufgabe, sie zu erkennen und unter Kontrolle zu bekommen, damit
die theologische und dogmatische Arbeit wirklich Dienst am
Worte Gottes sein und bleiben kann und nicht von den aufgenommenen
Elementen verfälscht und verdorben wird.

2. Nun könnte der Einwand laut werden, solche auf den
Begriff der Ontologie ja durchaus auch positiv bezogenen Züge
einer Theologie hätten eben philosophischen Charakter und sowieso
so etwas wie Abgötterei an sich. Dem wäre damit zu begegnen
, daß Ontologie nicht mit Philosophie gleichzusetzen ist
und daß auch eine vermeintlich biblisch-dogmatisch reine Theologie
ihre Ontologie hat, weil menschliche Erkenntnisbemühung
eben eine Denkgestalt annehmen muß und ein biblisch-dogmatischer
Purismus ohnehin eine Fiktion und sowohl im Blick auf
die Sprache wie auf die jeweils lebendige Gegenwartsdenkart nicht
zu haben ist. Jeder Theologe ist als Kind seiner Zeit einem
bestimmten Sprach- und Denkgefüge verhaftet und trägt selber
auch durch seine eigene Sprach- und Erkenntnisweise dem Ausdruck
wie dem Fortgang dieser Sache bei. Karl Barth wie Paul
Tillich haben in ihre Theologie eingebettet eine ihnen zugehörige
Ontologie, wie überall eine Ontologie mit im Spiel ist.
Theologie ist ebenso wie Philosophie nicht gleich Ontologie,
sondern eine Theologie hat ihre Ontologie, die Philosophie, die
Ethik, die Weltanschauungen usw. haben eine Ontologie, mit
denen sie arbeiten und die sie bestimmt.

Der Einwand, weshalb dafür der Begriff Ontologie in
Anspruch genommen werde, ist ernst zu nehmen, und es wäre

gut, auch zu einer sprachlichen Unterscheidung dazu zu kommen.
Daß wir uns mit der „Philosophie des Seins" nicht identifizieren,
auch nicht mit den mancherei Einflüssen, die sie auf die Theologie
ausübt, dürfte inzwischen deutlich geworden sein. Es geht
vielmehr unter der Forderung, die ontologischen Darstellungfl-
und Ausdrucksmittel zu erkennen und unter Kontrolle zu bekommen
, auch darum, solche philosophischen Einflüsse zu klären
und zu ihnen Stellung zu nehmen. Wir wissen aber für die womöglich
aus 6ehr verschiedenen Elementen zusammengesetzte
Struktur einer Denkgestalt, wie sie in die Theologie eingebettet
ist, z. Z. keinen besseren Begriff zu bilden. Ontologie ist für uns
die Struktur eines jeweiligen Ganzen. Sie ist Prinzipienforschung,
aber auch das Strukturprinzip selbst. Vielleicht ist es möglich,
die Betrachtungsweise aller in den verschiedenen Bereichen feststellbaren
„autonomen Ontologie" mit O. Samuel „Meontolo-
gie" zu nennen.

3. Einiges zur Aktualität der Thematik: Die Aufgabe der
Dolmetschung und Interpretation der Botschaft oder, wie heute
dazu treffend gesagt wird, Gottes Wort will „selbst neu zur
Sprache kommen" (G. Ebeling), schließt immer das Theologisie-
ren mit Elementen aus der Sprach- und Denktradition sowie
aus der gegenwärtigen Sprach- und Erkenntniswelt ein. Bei Ebeling
läßt sich entnehmen: Wenn „Gott zu Worte kommt, so
wird dadurch die ganze uns angehende Wirklichkeit neu zur
Sprache gebracht. Gottes Wort bringt nicht etwa Gott isoliert
zur Sprache."1 — Das scheint am eindeutigsten für die Predigt»
am wenigsten aber für die Exegese zuzutreffen. Jedoch auch hier
ist bekannt, daß Bultmann bei Heidegger gelernt hat und ebenso
Lohmeyer bei Hoenigswald. Einzelbelege für diese Sache können
hier nicht angeführt werden.

Erfaßt wird die Tatsache solcher ontologischen Grund-
elcmente in der Theologie heute vielfach und auch als Problem
empfunden: z.B. besonders von T i 11 i c h, wenn er die Zeitsituation
so betont, in der die Botschaft der christlichen Wahrheit
aufgenommen werden soll und Theologie überhaupt a'5
„Logos vom Theos" versteht oder die „ontologischc Grundstruktur
" von „Selbst und Welt" sorgfältig für das Verstehen von
„Sein und Gott" analysiert2. Ebenso macht E. R.Kies ow fur
die Predigt das Strukturelemcnt dialektischen Denkens und Redens
, die logische Struktur des Widerspruchs zum Gegenstand
einer kritischen Klärung, und zwar in einer Arbeit, die Henning

') G. Ebeling, Wort Gottes und Sprache, in: Das Wesen des christ'-
Glaubens, 1959, S. 255 f.

2) P. Tillidi, Systematische Theologie I, 1955, S. 9ff. 23. 195 ft.