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Ausgabe:

1960

Spalte:

64-65

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Brüggemann, Hans

Titel/Untertitel:

Der Bordesholmer Altar des Hans Brüggemann 1960

Rezensent:

Weckwerth, Alfred

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Gottesdienst ist der ausgeprägte Altardienst charakteristisch, und
es ist darum selbstverständlich, daß die Einordnung des Altares
in den gottesdienstlichen Raum ein Hauptanliegen bei der Gestaltung
des katholischen Kirchengebäudes ist. Die Besonderheiten
katholischer Ordnungen stellen den Architekten gelegentlich
vor Aufgaben und führen zu Lösungen, die nur aus den
Eigenheiten dieser Ordnungen zu verstehen sind und sich von
den Auffassungen anderer christlicher Konfessionen wesentlich
unterscheiden. So geht in manchen Klosterkirchen das Bestreben
dahin, für die Klosterinsassen und für die übrigen Gläubigen
gottesdienstliche Versammlungsräume zu schaffen, die voneinander
völlig getrennt und gegenseitig den Blicken entzogen
sind, aber im Altar ein gemeinsames Ziel haben. So 6chuf Henri
Matisse im Jahre 1951 in der Rosenkranzkapelle der Dominikanerinnen
zu Vence voneinander getrennte Räume für die
Klosterfrauen und für die Gäste ihres Erholungsheimes. Er baute
aber „nicht zwei Kapellen, sondern zwei Flügel, in deren Winkel
er den Altar diagonal aufstellte. Im kurzen Südflügel sitzen
die Nonnen, im längeren Querflügel die Laien. Die eine Gruppe
kann die andere nicht sehen. Trotzdem werden die Gruppen zu
einer liturgischen Gemeinde, da beide... am Opfer des einen
Altars teilhaben" (S. 203). Eine ähnliche Lösung finden wir in
der Kirche der Franziskaner in der Ulrichgasse zu Köln, die 195 3
erbaut wurde. Diese Kirche „war ein Bau .gotischen Stils' des
19. Jahrhunderts. Emil Steffan befragte ihre Ruinen nicht nach
dem künstlerischen Wert, er versuchte eine neue Klosterkirche
in ihnen unterzubringen. Der alte Chor wurde Mönchskirche. Im
rechten Winkel zu ihm legte er die Laienkirche. Im Schnittpunkt
der Schiffe steht der Altar" (ebd.). Während bei diesen beiden
Beispielen sich zwei getrennte Räume in einem gemeinsamen
Altarraum treffen, erwächst aus benediktinischer Tradition in
der Abteikirche von St. John in Collegeville (Minnesota) 1954
bis 1958 eine Klosterkirche ganz anderer Art: „Breuer [ihr Architekt
] hat eine komplizierte Aufgabe zu lösen. Pfarrkirche und
Klosterkirche sollen sich in einem Raum integrieren. Die Rangordnung
des Chordienstes, die Grenze zwischen der Klostergemeinschaft
und der großen Laiengemeinde und ihre brüderliche
Gemeinschaft, die rechte Distanz und die Bindung aller zum
Altar sind architektonisch zu gestalten. Der Altar steht nicht vor
der Rückwand des auf einem Trapez erstellten Raumes, sondern
fast in seiner Mitte. Im Osten schließt sich um ihn der Halbkreis
des Mönchchores, der in seinem Scheitelpunkt den Sitz des Abtes
birgt, altchristliche Ordnung einer Abts- und Bischofskirche. Ihm
schließt sich der Brüderchor an, dessen längs gestellte Bänke zu
den quer gestellten Bankreihen der Gemeinde überleiten. Der
Grundriß bildet solcherart die Versammlung zum Opfer vor; er
ordnet sie in Chormönche, Brüder und Laien und vereint alle zu
einer großen, einhelligen Gemeinde des Altares, der von jedem
Platz gleich gut zu sehen ist und jedem Platz auch räumlich fast
gleich nahe steht. Diese Einhelligkeit setzt sich im Bau fort. Das
Gehäuse verzichtet auf alle Stützen. Es wird zu einem großen
Schirm aus trapezförmigen Betonrahmen gebildet. Es entsteht
ein leichter, durchlässiger und durchsichtiger Raum, ein Zelt
Gottes, das die versammelte Gemeinde des Altares zusammenschließt
" (S. 205). Den Gedanken der zentralen Stellung des
Altares, der in altchristlicher und in frühmittelalterlicher Zeit
weitestgehend angewendet wurde (Kreuzaltar), hat die neue
liturgische Bewegung der katholischen Kirche wieder aufgegriffen
und sucht ihn hier und da wieder zur Geltung zu bringen, wie
es z. B. in der Benediktinerabtei St. John geschehen ist. „In ähnlicher
Weise haben Emil Steffann und Fritz Thoma den Dom in
Münster nach seinem geheimen Gesetz gefragt und es für eine
Neuordnung im Geist unserer Zeit genützt. Die östliche Vierung
, 6eit dem späten Mittelalter durch den vorgezogenen Chor
verbaut, wurde geöffnet. Unter ihr weites Zeltdach stellten die
Architekten den Hochaltar. Im Chorhaupt steht der Bischofssitz,
dem sich die Sitze des Domkapitels anschließen. Bischof, Kapitel
und Gemeinde scharen sich beim Opfer brüderlich im heiligen
Ring um den Altar, der aus allen Räumen des Domes zu sehen
ist... Eine verwandte Ordnung schlug Hans Schwippert für den
Wiederaufbau der Bischofskirche St. Hedwig in Berlin vor. Der
Rundraum des 18. Jahrhunderts eThält eine Altarinsel, die gegenüber
dem Eingang liegt. Sie ist eine Kombination aus Kreis und

Parabel. Der Bischof sitzt an der Rückseite der Altarinsel.
Seinem Sitz schließt sich das Kapitel in zwei Halbkreisen an. Die
Gemeinde setzt diese Anordnung in segmentförmigen Bänken
fort, die sich um die Altarinsel stellen und den Eingangsraum
freilassen" (S. 207 f.). In der neuen kirchlichen Architektur spie-
geln sich also das liturgische Wollen unserer Zeit, z. T. aber auch
unsere gegenwärtigen kirchlichen Nöte. Man beachte das Kapitel
über „die Kirchen der Wandernden und Verstreuten" (S. 160
bis 165). Nach eingehender Würdigung der Architektur wendet
sich H. der Malerei und Plastik im Kirchengebäude zu und spricht
über den Altar, das Altargerät und Tabernakel, das liturgische
Gewand, Kreuz und Bild, Taufstein und Kanzel, Bank, Beichtstuhl
und Lampe, über die Verwendung abstrakter Malerei in
der Kirche, die Möglichkeiten der bildenden Kunst im Altarraum,
über die Gestaltung der Tür und der Eingangsfront, die diaphane
Wand und das Denkmal, erfaßt also alle Bereiche künstlerischen
Gestaltens am und im Kirchengebäude. Die Ausführungen lassen
erkennen, daß in der neuen kirchlichen Kunst die Architektur
die Mutter der Künste ist und diesen ihr Gepräge gibt. Danach
spricht H. über die Einordnung des Kirchengebäudes in seine Umgebung
und über die Anlage des „kirchlichen Bezirks", der bei
der Errichtung kirchlicher Bauten oftmals angestrebt wird. Abschließend
geht der Verf. auf die Frage ein, inwieweit das kirchliche
Bauwerk Symbol sein kann und soll. Er schreibt dazu: „Der
Bgriff des Symbols, in der kirchlichen Kunst gern verwandt, verwirrt
die Situation, statt sie zu klären. Ein Symbol im genauen
Sinn des Begriffs entsteht, wenn Funktion, Bild und metaphysischer
Hintergrund in einer restlosen Gleichsetzung zusammenfallen
. Solche Symbole, Ereignisse der magischen und mythischen
Welten, gibt es in der katholischen Kirche nicht, so wenig wie
Kultbilder. Das Kirchengebäude kann in seiner Gesamtheit nur
Symbol in dem Sinne der recht verstandenen Imagination seia
Das Konzil von Trient hat diese Möglichkeit genau definiert:
die kirchliche Kunst kann uns zusammen mit der Liturgie helfen,
die im Meßopfer verborgenen Wirklichkeiten zu schauen"
(S. 314).

Cuxhaven Alfred Weckwerth

F u g 1 s a n g, Fritz u. Alfred Ehrhardt: Der Bordcsholmer Altai
des Hans Brüggemann. Sdileswig: Vlg. Hildegard Bemaerts u. Preetz:
Emst Gerdes Verlag [1959]. 41 S. m. Abb.. 130 Taf. 4°.

Das Buch ist in mehrfacher Beziehung beachtenswert. Die
vorzüglichen, meist ganzseitigen Aufnahmen Alfred Ehrhardts
vermitteln sowohl eine klare Vorstellung vom Gesamtprogramm
als auch von der künstlerischen Leistung bei der Durchbildung
der Details dieses größten und figurenreichsten Schnitzaltars
Norddeutschlands aus der Dürerzeit. Wir zählen in seinen Bildfeldern
insgesamt 398 Figuren, und die Spitze des Gesprenges
ragt in eine Höhe von fast 16 m empor. Das Programm der bildnerischen
Arbeit ist das Erlösungswerk Christi. Brüggemanns
Aufgabe bestand nicht bloß darin, wie Fuglsang meint, „das
Leiden Christi und die auf das Abendmahl bezüglichen Darstellungen
in reiner Plastik erzählend zu verkörpern". Die Gestalten
Adams und Evas, die Szene der Ausgießung des Heiligen Geistes
, die Darstellung Christi als Weltenrichter und anderes mehr
geben das deutlich zu erkennen. Die einzelnen Figuren sind teilweise
von einer so packenden Ausdruckskraft, daß sie zusätzlicher
Bemalung, wie sie damals weithin üblich war, nicht bedurften.
Nur die Pupillen der Augen und die Lippen sind leicht getönt.
Ein großer Teil der Fachgelehrten, darunter auch Fuglsang, ist
davon überzeugt, daß diese „Fassung" von vornherein geplant
war; man verweist darauf, daß der Meister Beispiele unbemalter
Schnitzaltäre in den Niederlanden oder auch in Oberdeutschland
kennengelernt und sich zum Vorbild genommen haben könnte.
Doch ist unseres Erachtens die Annahme, die vorliegende Fassung
sei von vornherein beabsichtigt gewesen, nicht als gesichert
anzusehen. Es war nämlich vorgesehen — Fuglsang macht selbst
darauf aufmerksam —, daß die Alltagsansicht des Altars bei ganz
geschlossenen Flügeln in Malerei ausgeführt werden sollte; diese
Ausgestaltung ist jedoch unterblieben. Es ist durchaus möglich,
daß man bei der Fertigung der Alltagsansicht auch die geschnitzten
Figuren hat bemalen wollen. Im Textteil des Buches würdigt