Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

853-858

Autor/Hrsg.:

Mecenseffy, Grete

Titel/Untertitel:

Erhaltung des pietistischen Erbes in evangelischen Gemeinden Oberösterreichs und Kärntens vom 18. bis ins 20. Jahrhundert 1960

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

853

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

854

Ausgewertet werden, abgesehen von den fn der Bibliographie
erfaßten Drucken, alle Ergänzungen bis heute, besonders
die von W. Köhler im Arch. f. Ref. Gesch. 1911—1929.

II. Aufgabe der Brenzforschung wäre im Idealfall eine Gesamtausgabc
der Werke und Inedita. Die Opera Omnia Brentii
berücksichtigen keine einzige seiner deutschen Schriften. Trotz
dieses schweren Mangels halte ich das Projekt einer Neuausgabe
dz. für aussichtslos. Die Tatsache, daß die amerikanische „Foundation
for Reformation Research" als erstes vollständiges Projekt
die gesamte Erfassung der Werke im Verfahren der Photoduplikation
durchführte, redet eine deutliche Sprache. Biographie
und Theologie können nicht für zwei weitere Generationen oder
noch länger hinausgeschoben werden.

Erstes Problem ist eine sorgfältige Chronologie des Schrifttums
. (Erscheinungsjahr ist meistens nicht identisch mit dem
Entstehungsjahr.) Zweites Problem ist die Ausschöpfung aller
Quellen zur Jugendgeschichte (Stadtgeschichte Weil der Stadt).
Der Quellenmangel ist zu beklagen. Drückend wird der Mangel
aller direkten Quellen für die Studienzeit in Heidelberg empfunden
. Seit der Haller Zeit ab 1522 fließen diese reichlicher. Die
Stadtgeschichte gewährt willkommene Hilfe.

Drittes Problem im Zusammenhang der Biographie ist der

Mangel an Quellen für das kirchliche Wirken des Stuttgarter
Propstes. Alle sich darauf beziehenden Akten 6ind nach Mitteilung
und bisheriger Feststellung im Dreißigjährigen Krieg
verschwunden. „Was darüber gesagt wird, muß sich auf Zufallsfunde
stützen, der Kern der Akten fehlt" (V. Ernst: Württ.
Jahrb. f. Statistik u. Landeskunde, 1911, 377). Ob die altwürtt.
Dekanatsakten (z. Zt. noch in Erfassung) hier wesentlich weiterhelfen
können, istm.E. sehr fraglich. Fast alle Quellen (von H. J.
benutzt) wurden bereits identifiziert. Die Aufgabe der Brenztheologie
kann erst nach Lösung der Aufgabe der Brenzbiographie
vorgenommen werden, verlangt freilich auch diese bereits
die Berücksichtigung der theologischen Seite des Brenzschen
Lebenswerkes. Gute Vorarbeit leistete in Erfassung der Zentral-

I Probleme O. Fricke: Die Christologie des Johannes Brenz im
Zusammenhang mit der Lehre vom Abendmahl und der Rechtfertigung
, F. z. G. u. L. d. Prot., III, 1927. Für die Confessio
Virtembergica wäre auf die Arbeiten E. Bizers hinzuweisen.

Die Gotteslehre, die Lehre von Gesetz und Evangelium im

I Rahmen der Theologie der Anfechtung, das Problem der Schriftauslegung
u. a. wurden von Fricke nicht in Angriff genommen.
Eine Darstellung der sich bisher abzeidinenden theologischen
Entwicklungslinien ist hier nicht möglich.

Erhaltung des pietistischen Erbes in evangelischen Gemeinden Oberösterreichs und Kärntens

vom 18. bis ins 20. Jahrhundert

Von Grete Mecenseffy, Wien

Die Voraussetzung für diese Erscheinung war die eigenartige
Entwicklung des Protestantismus in Österreich, das in deT zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts und im ersten Viertel des 17. ein
nahezu evangelisches Land war.

Dieses evangelische Bekenntnis wurde durch die Gegenreformation
fast ganz vernichtet. Es hielten sich aber Reste seiner
Bekenner, die nun den Glauben im geheimen an ihre Kinder und
Enkel forterbten. Das nennen wir den Geheimprotestantismus,
der sich ohne geistliche Leitung, ohne evangelische Pfarrer und
Lehrer besonders in jenen Ländern erhielt, in denen die Zuneigung
zum Luthertum und seine Annahme ungewöhnlich stark
gewesen war, ja, man auch mit Waffengewalt darum gekämpft
hatte, in Kärnten und Oberösterreich.

In diesen Ländern, die zudem etwas abseits von den
Regierungszentren lagen, erhielt sich das evangelische Bekenntnis
zwar nicht in den Städten, wohl aber in den Bauerngemeinden
auf dem Lande. Gespeist wurde es von dem Rest der der
Konfiskation und Verbrennung entgangenen ev. Bücher, von der
Bibel, aber auch von Katechismen, Postillen und Gesangbüchern
(Habermann), und erhielt neue Nahrung durch pietistische

Entwicklung in Österreich bahnbrechend wirkte, der Kaufmann
Johann Tobias Kießling1.

Aus Franken und seinen erweckten Kreisen kam die erste
Welle pietistischen Glaubensgutes nach Österreich, aus Württemberg
, wozu die Franken enge Verbindung hatten, die zweite.
Denn Kießling, der der Verbindungsoffizier der Christentumsgesellschaft
in Österreich und hier besonders für Oberösterreich
und Kärnten wurde, hat schwäbische Pfarrer ins Land gebracht.
Der Gegensatz, in dem das Wiener Konsistorium und die
Wiener Pfarrer zu dem pietistischen Geiste mit seinem Glauben
an die alten biblischen Wahrheiten und seiner Ablehnung des
rationalistischen Geistes standen, hat ihn nicht daran gehindert,
wenn man ihm auch manchmal von amtswegen die Kolportierung
seiner Bücher zu erschweren suchte. Die pietistischen Pfarrer
konnten auch nur in solchen Gemeinden ankommen, wo der
ihnen entgegenkommende Geist herrschte; dieser war aber in
allen Gemeinden so ziemlich derselbe, wenn auch dem Pfarrer,
dem vielfach zu Beginn auch die Aufgabe des Schulmeisters zufiel
, in der Prägung des Glaubens jener, die nur 6ehr unvollkommene
Vorstellungen von Luthers Lehre hatten, entscheidender
Anteil zufiel. Es ist aber doch viel öfter geschehen, daß eine GeSchriften
und deren Vorläufer wie A r n d t s Wahres Christentum ! meinde einen aufgeklärten Pfarrer ablehnte, als daß sie mit einem
und Paradicsgärtlein, J. Schaitbergers Sendbrief, L J. pietistischen übers Kreuz geriet, wenn er auch 6onst ordentlich

Rambachs Ordnung des Heils, Predigten von Battier, Brast-
berger, Lavatcr und Lorenz. Diese Bücher wurden vor dem Erlaß
des Tolcranzpatcntcs nach Österreich geschmuggelt. Die Zentrale
dieses Schmuggels lag in Regensburg, am Sitze des Permanenten
Reichstages und des Corpus Reformatorum. Schmuggler waren
vielfach junge Burschen und Männer, die aus österreichischen
ev. Familien abstammten und von den Gesandten der evangelischen
Stände in Regensburg unterstützt und gefördert
wurden.

Die Gemeinden bewahrten sich so den schlichten Glauben
an Jesus Christus und sein Evangelium, ohne je mit den Streitigkeiten
der Orthodoxie in Berührung zu kommen.

Schon vor dem Erlaß des Tolcranzpatentes erhielten auf die
geschilderte Weise die Geheimprotestanten in Österreich durch
erweckte Kreise in Deutschland geistige Nahrung. Nach 1781
übernahm diese Beschützerrolle auch in materieller Weise die von
dem Sohne jenes Senior Urlsperger, der ßich der vertriebenen
Salzburger angenommen hatte, von Johann August Urlsperger

1780 in Basel gegründete Christentumsgcsellschaft, die allenthalben
in Deutschland Zweiggesellschaften errichtete, die erste

1781 in Nürnberg, wo ein Mann ihr Mitglied wurde, der für die

war und es verstand, etwa mit dem Superintendenten Joh.
Christian T h i e I i s c h — dies bezieht sich auf Oberösterreich —
gut auszukommen. Denn Thielisch war kein Freund de6 Pietistengeschmeißes
, wie er es 1810 nannte.

Hervorragende Pfarrer dieser Art finden wir in Eferding in
Josef Friedrich Groß, dem Nachfolger des streitbaren Georg
Michael Eisenbach, der einen sehr entscheidenden Kampf um das
neue Gesangbuch mit dem Konsistorium durchzuführen hatte,
da sich weder der Pfarrer noch die Gemeinde das rationalistische
Gesangbuch des Georg Philipp Wucherer aufdrängen lassen
wollten. Schöpfer eines eigenen oberösterreichischen Gesangbuches
war Jakob Koch in Wallern*. Eisenbach mußte schließlich der
Gewalt der Regierung weidien und Groß stellte den Frieden
wieder her. Er muß ein ausgezeichneter Prediger gewesen sein,
wie aus den Schilderungen Kießlings und den Briefen des Pfar-

') Vgl. über ihn und zum Folgenden: G. Mecenseffy, Der Nürnberger
Kaufmann Johann Tobias Kießling und die österreichischen Tole-
ranzgemeinden. In: Jahrbuch d. Gesellschaft f. d. Geschichte des Protestantismus
in Österreich 74, 1958.

2) J. E. Koch, Zur Geschichte der Gesangbücherfrage in Oberösterreich
seit den Tagen der Toleranz. In: Jahrbuch d. Gesellschaft
f. d. Geschichte d. Protestantismus in Österreich 74, 1958.