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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

845-848

Autor/Hrsg.:

Luck, Ulrich

Titel/Untertitel:

Historische Fragen zum Verhältnis von Kyrios und Pneuma bei Paulus 1960

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845

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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lieferten Einheiten stehen hier in eben dieser Form vor uns; die
speziell bei der Analyse der Gleichnisse als sekundär ermittelten
Elemente vorwiegend allegorischer oder moralisierender Natur
(insbesondere auch die generalisierenden Gleichnis - Abschlüsse)

fehlen im Thom. fast völlig. So ist das Thom. nicht nur für die
Erforschung der gnostischen Weiterbildung der Tradition, sondern
auch für die Arbeit an den Synoptikern selbst äußerst ergiebig
.

Historische Fragen zum Verhältnis von Kyrios und Pneuma bei Paulus

Von Ulrich L u c k, Münster/W.

L

Mit der Frage nach dem Verhältnis von Kyrios und Pneuma
bei Paulus begeben wir uns in die Mitte des Paulinischen Problems
, ganz gleich, wie auch immer man dieses Verhältnis beurteilt
. W. Bousset hat bekanntlich versucht, in der Identität von
Kyrios und Pneuma, wie sie in dem Satz: 6 xvgiog xö nvevfid
ioriv (2. Kor. 3, 17) ihren klassischen Ausdruck findet, den
Angelpunkt für da6 Verständnis der ganzen Paulinischen Chri-
stologie 6ehen wollen1. Aber so fruchtbar sich die Ergebnisse
Boussets für die Aufdeckung des religionsgeschichtlichen Hintergrundes
der Paulinischen Theologie erwiesen haben, so muß man
doch feststellen, daß mit der Gleidisetzung dieser beiden Größen
nicht durchzukommen ist, wenn es darum geht, die Paulinische
Christologie in ihrem eigentlichen Ansatz, unter historischem
wie theologischem Gesichtspunkt zu verstehen. Sowohl auf
Seiten von Pneuma wie von Kyrios mit ihren jeweiligen Äquivalenten
gibt es Aussagen, die sich nicht unter der Voraussetzung
der Identität beider Größen verstehen lassen2.

So wird der Geist auch bei Paulus im alttestamcntlich-
jüdischen Sinne als dvvnjutg verstanden und als annQ-p] oder
&QQaßo')v eschatologisch orientiert. Er ist Gabe der Endzeit
und setzt den Aufriß der spätjüdischen Apokalyptik voraus'1.
Auch der Kyrio6 geht nicht in der Identifikation mit dem Pneuma
auf. Es wird daran festgehalten, daß er eine geschichtliche Person
war, auf deren Parusie als xvgiog und Xqiotos man
wartete*.

Je nach der religionsgeschichtlichen Grundentscheidung
wurde nun immer wieder versucht, die verschiedenen Gedankenreihen
, die bei Paulus hier auftauchen, von der einen oder anderen
Seite her zu verstehen: entweder von der alttcstamentlich-
jüdischen Tradition her oder von dem Hintergrunde einer soteri-
ologischen Gnosis aus. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, daß
eine Komponente dabei jeweils übergangen wurde.

R. Bultmann hat es nun unternommen, in seiner Paulus-
deutung ursprünglich heterogene Momente in der Weise zu verbinden
, daß er in Paulus vor allen Dingen den Theologen sah,
der die in diesen verschiedenen Strängen waltenden Motive zur
Klärung gebracht habe, um damit sein Verständnis der Existenz
unter der Offenbarung zu explizieren5. Methodisch sieht das so
aus, daß zuerst die religionsgcschichtlich bedeutsamen Motive
erhoben werden, dann aber systematisch neu angesetzt wird, um
von diesem Ansatz her die verschiedenen Motive in ihrer Zusammengehörigkeit
bei Paulus zu verstehen*. Dieses Vorgehen
hat Schule gemacht und beherrscht über unser Problem hinaus
heute die gesamte Paulusdcutung.

So erhellend diese zusammenfassende Interpretation für das
Verständnis der Paulinischen Theologie ist, so muß nun doch
gefragt werden, ob bei diesem Vorgehen die historische und
feligionsgcschichtliche Fragestellung mit letzter Konsequenz
durchgehalten wird, oder ob nicht zugunsten einer systematischen
Fragestellung wesentliche Probleme übergangen werden,
die den Gang der Dinge auch mit innerer Stringenz zeigen könnten
. Gerade darauf muß doch der Historiker und Religions-
Reschichtlcr aus sein. Es könnte sein, daß auch wesentliche theologische
Motive erst auf diese Weise zur Geltung gebracht
werden.

') W. Bousset, Kyrios Christos, l.Aufl., S. 126. 142.

2) Vgl. W. Schmithalfi, EvTh 18 (1958), S. 564.

') Röm. 15,13.19; Apg. 1,8; Rom. 8,23; 2. Kor. 1,22; 5,5.

*) Gal. 3,1; 4,4; Phil. 3, 30; I. Thes«. 4, 15 ff.

B) Vgl. Theol. d. NT, S. 184.

) Diese Methodik beherrscht weitgehend auch die gesamte neu-
testamcntliche Forschung.

Für uns bedeutet das, daß auch die Klärung des Verhältnisses
von Kyrios und Pneuma zuerst als ein historisches Problem
gesehen werden muß, das, um eine treffende Formulierung
von U. Wilckens aufzunehmen, auch unter Wahrung „der wesentlichen
Geschichtlichkeit urchristlicher Kirchengeschichte"
erklärt werden 6ollte7. Zu einer solchen Erklärung soll hier nun
skizzenhaft der Ansatz geboten werden.

II.

Wenn wir unter historischem Gesichtspunkt nach dem Geist
in der Urchristenheit fragen, dann muß man den Geist zunächst
einmal als ein Faktum nehmen, ohne das die Urchristenheit nicht
ist. Das klingt vielleicht trivial, und doch wird diese anscheinend
so selbstverständliche Voraussetzung meist übergangen, wenn
sofort versucht wird, das Pneuma in seinen Bezügen zu systematisieren
". Dann steht man sofort bei einer Lehre vom Geist und
verdeckt die Tatsache, daß der Geist, längst bevor er „Gegenstand
der Lehre war, eine erfahrene Tatsache" gewesen ist9.

Der Geist ist nach außen und innen ein sichtbares und
wahrnehmbares Merkmal der Urchristenheit, an dem die Kirche
sich selbst als eine Größe eigener Art erfährt10. Gottes Handeln
an ihr und mit ihr widerfuhr ihr im Geist. Dies dürfte nicht nur
für die sog. hellenistische Gemeinde gelten, sondern schon in der
jerusalemer Urgemeinde eine gegebene Tatsache sein11, eine
Tatsache freilich, die man in der bewußten Judenchristenheit nicht
unproblematisch hinnahm. Denn der Geist bringt ja immer, ganz
gleich wie man ihn im besonderen versteht, das Bewußtsein der
Gottesunmittelbarkeit mit sich. Im Geist wird der Mensch und
auch die christliche Gemeinde unmittelbar von Gott geleitet12.
Das gesetzliche Spätjudentum, dem Gottes Wille in der Thora
festlag, ist deshalb nicht umsonst gegen Propheten und Geistträger
immer skeptischer geworden13. Nun erschien eine Gemeinde
, die bereit war, dem Zeugnis des Geistes zu folgen, ihn
als Gottes Handeln anzusehen, auch da, wo der Geist über die
Grenze des offiziellen Judentums hinausgriff14. Damit war für das
gesetzestreue Judentum das Urteil über diese Bewegung gefällt.

Auch Paulus mußte also die Christen als eine Gruppe von
Menschen ansehen, die sich am Gesetz Gottes, dem Dokument
und Garanten der Gottesgemeinschaft Israels, verging. Er mußte
hier eine der vielen Strömungen erkennen, die von allen Seiten
her die Geltung des Gesetzes unterminierten. Gerade das Spätjudentum
setzte 6ich ja mit Leidenschaft für das Gesetz ein,
dessen Geltung immer mehr durch Aufklärung und Synkretismus
unterspült wurde. Auch in der Urchristenheit selbst brachen an
diesem Punkte Auseinandersetzungen und Spaltungen aus.

III.

Der Kampf des vorchristlichen Paulus richtete sich m. E.
nicht gegen eine messianische Sekte, deren besonderes Pfündlein
nur darin bestand, Jesus von Nazareth als den kommenden
Menschensohn zu erwarten. Daran hätte man auch im orthodoxen
Judentum kaum Anstoß genommen. Paulus ging deshalb auch

7) U. Wilckens, ZThK 56 (1959), S. 282.

") Auch die Einzelexegese einschlägiger Stellen kann sich schlecht
von diesem systematischen Zuge freihalten.
") Ed. Schweizer, ThWB VI, S. 394.
10) Vgl. R. Bultmann, Theol. d. NT, S. 41 f.
") R. Bultmann, a.a.O., S. 41 f.

12) Vgl Das Verständnis des Geistes in der Apg.: Ed. Schweizer,
ThWB VI, S. 404 f.

**) Natürlich sind auch hier Versuche gemacht worden, den Geist
und die Thora in Einklang zu bringen. Vgl. Sap.9,17 (7,7); Sir. 39,6;
s. auch E. Sjöberg, ThWB VI, S. 383.

") Apg. 8, 17 ff. Zur Frage von Tradition und Redaktion an dieser
Stelle: E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 12. Aufl., S. 250 ff.