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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

839-842

Autor/Hrsg.:

Hegermann, Harald

Titel/Untertitel:

Zur Ableitung der Leib-Christi-Vorstellung 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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nisse ständig neu und anders umspielt, dort die statische Anschauung
eine6 quod 6emper ubique. Es ist unmöglich, ein — einseitig
positiv gesehenes — eschatologisches Verständnis von
2. Thess 2 auch in R 13 einzutragen (so Eck u.a.) und damit
den iiovotm vnegsxovaai sogar eine eschatologische Dignität
zuzuschreiben. Die Thessalonicher-Stellen und R 13 repräsentieren
zwei Typen von Staatsanschauung, die streng voneinander
zu scheiden sind. Wenn nun überhaupt die Eschatologie Pauli
weithin von der Apokalyptik bestimmt ist, er innerhalb dieses
Rahmens aber charakteristische Abwandlungen vorgenommen hat,
so darf man mit ziemlicher Sicherheit den apokalyptischen als den
Typus ansehen, von dem das eigentlich paulinische Staatsdenken
bestimmt ist.

Natürlich kennt Paulus das Thema .Unterordnung' schon
vor Abfassung des Römerbriefes. Aber es ist bezeichnend, daß
er — wie ein Teil der jüdischen Tradition! — das Prinzip nicht auf
die Obrigkeit ausdehnt. Gerade in 1. Thess. 5 sind die
TiQoiorafiEvoi nur Gemeindegenossen. — Die Entwicklungen in
der paulinischen Theologie sind noch allzu wenig erforscht. Mag
von solcher Arbeit noch einiges Licht auf R 13 fallen — kaum
wird man mit der Annahme einer Beeindruckung durch das glückliche
Quinquennium Neronis zurecht kommen —, 60 erscheint die
Stelle doch vom Gesamtaspekt der paulinischen Theologie her
ebenso sehr als Fremdkörper wie zeitgeschichtlich gesehen als
Zeugnis für einen Sonderfall. Darum: wie es auch biblischtheologisch
stehen mag, bei der Darstellung der paulinischen
Staatsauffassung hat R 13 in den Hintergrund zu treten.

Zur Ableitung der Lei

Von Harald Hege

Wir setzen ein bei der viel diskutierten Frage: Wie sind die
verschiedenen Belege der Vorstellung einerseits in 1. Kor. und
Rom., andererseits in Kol. und Eph. einander zuzuordnen? Die
jeweilige Intention ist unzweifelhaft verschieden. In 1. Kor. geht
es um das Verhältnis der Glieder des Leibes zueinander, und das
60ma christu (l. Kor. 12,27) wird daher gezeichnet als eine
mannigfaltige, gegliederte Ganzheit und Einheit, in der nach
1. Kor. 12, 12—26 jedes Glied gleich wichtig und in seiner
je besonderen Aufgabe unentbehrlich ist. In Kol. und Eph. ist
diese Linie auch vertreten, darüber hinaus und häufiger aber soll
jetzt das Verhältnis der Kirche zu Christus dargetan werden:
Christus ist das Haupt seines Leibes, der Kirche. Die Intention
ist verschieden, ist es auch die Vorstellung vom 6oma christu
ßelbst? Hierzu 3 Thesen.

These 1. In beiden Beleggruppen ist Christus von der Gemeinde
unterschieden und wird als ihr Lebensgrund gezeichnet.

Beispiel 1. Kor. 12, 4 ff.: Nach 4—11 wird die charismatische
Vielheit und Ganzheit der Gemeinde, die in V. 27 soma christu
heißt, von Gott, dem Kyrios, dem Geist her mit pneumatischem
Leben erfüllt und zusammengeschlossen. Beispiel Kol. 2,19: Die
xeqoaXrj -Funktion des Christus besteht darin, daß von ihm als
dem Haupt her das ganze soma unter Vermittlung durch die
Bindeglieder zu einer zusammengeschlossenen, belebten, pneumatisch
wachsenden Ganzheit wird. Das Haupt ist also gemeint als
Sitz des Lebensprinzips, im Bilde gesprochen: der Seele des Leibes2
. Dasselbe wird ohne das Bild vom Haupt in 1. Kor. 12
ausgesprochen. Die knappe und dunkle Wendung ovzax; xai 6
Xgtazog in 1. Kor. 12, 12 kann die klaren Ausführungen in
4—11.27 keinesfalls zugunsten einer Identitätsthese außer Kraft
setzen3.

These 2. Die beiden Beleggruppen gehen aber sachlich auseinander
in der Frage, auf welche Weise Christus das Lebensprinzip
der Gemeinde ist.

1. Kor. 10, 14—22 beantwortet die Frage heilsgeschichtlich:
Der gegenwärtige, erhöhte Herr schließt als Tischherr die Herrenmahlteilnehmer
zu einer sakramentalen Tischgemeinschaft zusammen
, die ihren Grund in der Teilhabe an dem am Kreuz geopferten
Leibe und Blute Christi und damit am geschichtlichen
Heilswerk des Christus hat*. Ebenso ist der Ausdruck etwa in

*) Zur Literatur vgl. das Verzeichnis bei Schlier in der Realenc.
f. Antike und Christentum s. v. Corpus Christi, ferner P. Bonnard,
L'eglise corps de Christ dans le Paulinisme, in: Revue de Theol. et de
Philos. VIII, 1958, 168—182; H. Hegermann, Schöpfungsmittler und
neue Welt, Habil.-Schrift Halle 1958 (Maschinenschr.-Ex., im Druck befindlich
).

*) Vgl. Schlier ThW. III 673; Benoit, Revue Biblique 63, 19 56, 27;
Bonnard, 270, Anm. 1 u. 274.

3) Gegen Schlier (Der Brief an die Epheser, 2. Aufl. 1958, 90 u. ö.)
und andere.

*) Das Begriffspaar xo awfia xov Xgtoxov, xb alfia xov X. muß
gemäß I. Kor. 11, 23—26 aus der Situation der Nacht des Verrates
verstanden werden.

ib-Christi-Vorstellung1

r m a n n, Halle/Saale

Rom. 12, 55 ev aojjua lojuev Iv Xqiozcö hierher zu rechnen, da
h Xgioxq) bei Paulus, wie Neugebauer' gezeigt hat, ein heils-
geschichtlichcr Terminus ist. Demgegenüber beantworten Kol.
und Eph. die genannte Frage fast durchweg mit dem Begriffskreis
„Erfüllen, Erfülltwerden, Fülle" und Verwandtem, mit
welchem das Verhältnis des Christus zur Kirche als Spezialfall
einer kosmisch-schöpferischen Durchwaltung des Alls durch Christus
beschrieben wird. Dies geschieht im Zusammenhang einer
[ von der Gottheit des Christus her entworfenen Schöpfungs-
I mittler-Christologie7, wie sie zuerst belegt ist in 1. Kor. 8, 6 und
schon in einer geprägten Bekenntnisformel: elg xvgiog 'Itjoovc;
Xgtozog, dt ov zä nävza xai rj/XEig fit avzov. Sie hat in
Kol. 1, 15—20, wie ich anderswo ausführlich begründet habe,
ein gewichtiges Zeugnis. Die letztere Stelle zeigt, das sowohl der
Präexistente (16) als der aus den Toten Erhöhte (19—20) diese
Allhauptsfunktion ausübt, dort im Sinne der Schöpfung, hier
J der eschatologischen Neuschöpfung. Im Zuge der Neuschöpfung
nun sind die Glaubenden von Christus als dem Allhaupte her
I erfüllt (Kol. 2, 9—10. 19). Dies wird verständlich von einer zu-
i gehörigen Erhöhungsvorstellung aus; und zwar haben sie Anteil
erhalten an Tod und Auferstehung des Christus (Kol. 2,12 u.ö.),
] sind miterweckt und mitinthronisiert in der Himmelswelt (Eph.

2, 6; vgl. Kol. 2, 20). Diese Erhöhungsvorstellung hält Kol. 2
| den Irrlehrern entgegen: Wurde die Erfüllung des Menschen im
! alten Kosmos von Zwischenmächten vermittelt, so 6ind die
] Christusgläubigen nun in unmittelbare Beziehung zu dem Allhaupte
Christus gesetzt und in einem ersten, speziellen Sinne
sein 6oma, aber eben das soma dessen, der das All erfüllt
(Eph. 1, 23), der kraft seiner Erhöhung zum Allhaupte die Kirche
als seinen Leib erfüllt (Eph. 4, 10—16), eine Kirche, die in verborgener
Weise schon jetzt mit Christus in der Himmclswclt
lebt und aus dieser himmlischen Stellung heraus kosmische Offenbarungsträgerin
ist8.

Wie ist diese Verschiedenheit zu beurteilen?

These 3. In den Ausführungen der ersten Beleggruppe will
Paulus die konsequente, kosmisch-pneumatische 6oma christu-
Vorstellung der korinthischen Pneumatiker heilsgeschichtlich
modifizieren.

Unbestreitbar ist, daß die Belegstellen der Vorstellung in
1. Kor. polemisch gerichtet sind. Weiter steht fe6t, daß Paulus

6) Auch z.B. Eph. 2, 14—16 beschreibt die Funktion des Christu«
heilsgeschichtlich, weicht aber damit von anderen Stellen in Eph. und
Kol. ab. Dagegen ist 1. Kor. 12, 4 ff. stärker kosmologisch formuliert.
Das sind weiterweisende Überschneidungen.

*) F. Neugebauer, Das Paulinische iv Xqiox(7> im Verhältnis zur
jitous, Diss. Halle 1957.

7) Hierzu und zum Folgenden vgl. H. Hegermann, Schöpfungs-
mittlcr Teil B: Der Hymnus in Kol. 1.

") Hierzu vgl. Eph. 2,7; 3,10. Auch in 6, 10—18 kämpft die Kirche
nicht etwa um den Durchbruch nach oben, sondern von ihrer himmlischen
Stellung aus und mit ihrer himmlisch-pneumatischen Waffen'
rüstung.