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Ausgabe:

1960

Spalte:

837-840

Autor/Hrsg.:

Bammel, Ernst

Titel/Untertitel:

Ein Beitrag zur paulinischen Staatsanschauung 1960

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früheres Handeln, der im Namen lm!"P enthalten ist, in den ganzen
Geschehenszusammenhang eingefügt, in dem Gott sich bisher
schon offenbart hat. Das Gewicht liegt also nicht auf dem Einzelereignis
, sondern dieses erhält seinen Offenbarungscharakter
gerade durch den Kontinuitätszusammenhang der Geschichte Gottes
mit Israel und der ganzen Welt. Die Geschichte als ganze ist
also als Offenbarung Gottes verstanden; und weil immer noch
neues Offenbarungshandeln Gottes bevorsteht, wird sie erst vom
Ende her voll als Offenbarung erkennbar sein16.

10) Vgl. dazu W. Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte
(KuD 5 [1959] S. 218ff. und 259ff., besonders S. 278ff.); H. W. Wolff,

Das Geschichtsverständnis der alttestamentlichen Prophetie (EvTh 20
[i960] S. 218 ff., besonders S. 227ff.). — Diese Einfügung in das Gesamtgeschehen
widerspricht m. E. der individualisierenden Betonung des
„personalen" Charakters der Geschichte als „Anrede" (W. Zimmerli,
a. a. O., S. 68 u.ö.) oder als „gezieltes Gespräch" (H. W. Wolff, a. a. O.,
S. 220 ff.). Auch die Frage der Funktion des prophetischen Wortes in
diesem Zusammenhang bedarf noch der Erörterung. Ich hoffe, auf den
ganzen Fragenkreis demnächst ausführlicher zurückzukommen. [Korrekturzusatz
: Der Aufsatz von H.Haag, „Offenbaren" in der hebräischen
Bibel (ThZ 16, 1960, 251—258) konnte nicht mehr berücksichtigt werden
.]

NEUTEST AMENTLIC HE SEKTION

(Leitung: G.Delling/Halle und J.Jeremias/Göttingen)

Ein Beitrag zur paulinischen Staatsanschauung

Von Ernst Bammel, Erlangen

(Kurzfassung)

Man hat eine eigentümliche Isoliertheit von R. 13 wahrgenommen
. Die Passage enthält Elemente einer Auffassung vom
Staate, die in ihrem schöpfungstheologischen Ansatzpunkt im
Corpus Paulinum nicht ihresgleichen hat. Sie weist, wie der Ver-

Die Warnung ist von apokalyptischen Motiven bestimmt.
Aber eine so konkrete und doch auch differenzierende Antipole-
mik ist dort nicht bezeugt. Und vor allem: Paulus münzt die
von ihm charakterisierte Stimmung nicht zu einem apokalypti-

gleich mit 1, Ptr. 2, 13 ff. und Tit. 3, 1 zeigt, auf eine den drei sehen Zeichen, besser: zu einer Stufe im Enddrama um. So ver-

Stellen gemeinsame ältere judenebristliche und schon jüdische 1 stärkt sich der Eindruck, daß hier eine eigentlich paulinische

Tradition zurück. Die Ausprägung derselben in R 13 geht in ihrer ; Stellungnahme vorliegt. In 2, 14 ff. hatte Paulus noch eine poli-

grundsätzlichen Formulierung noch über die Formeln jüdischer , tische Maßnahme der römischen Regierung in einem günstigen

Weisheit hinaus. Christianisiert ist sie damit nicht — alle Ver- '• Lichte gesehen. So die Phänomene verschieden zu beleuchten,

suche einer eschatologischen Überformung stellen eine unzuläs- ! mal sie in den Fluß der Endgeschichte hineinzustellen, mal rein

sige Überdehnung der Kontextexegese dar. personal zu interpretieren, entspricht ganz der Vielgestaltigkeit

Trägt so die Stelle ein jüdisches, nicht genuin paulinisches : des apokalyptischen Denkens.

Gepräge und lassen anderseits die konkreten Züge einen Bezug Ein zusätzliches Zeugnis dafür ist 2. Thess. 2, 6 f. Weder

auf römische Verhältnisse vermuten, so verknotet sich das Pro- 1 der römische Staat als solcher noch die Mission kann damit be-

blem zu der Frage, wie gerade eine solche Kombination möglich , zeichnet gein Denn durch das v~vv (Jetzt erfahrt ihr< ist zu über.

werden konnte. Die Antwort ist in der Situation und Geschichte i „ . ■> ■ , , a -j. • r • • u j n j„„

, .... ^ .j r r-i_...i. j_ v u n ' setzen) wird angezeigt, daß es sich um ein Ereignis handelt, das

der romischen Gemeinde zu suchen. Orientalische Kulte, außer- I , , * • ' , , _ ,. , ST*, . .

halb der urbs mit großer Liberalität geduldet, begegneten inner- j a »* fst ™<*) der Pr«*«t des Paulus m Thessalo-

halb derselben während der frühprinzipalen Zeit immer noch dem | mdl herausgestellt hat. Es kann so nur eine bestimmte, zeitlich

kritischen Auge des Stadtpräfekten und konnten nur dann | ln enge Grenzen gezogene Maßnahme des Mm6%an> gemeint

Hoffnung auf Duldung haben, wenn an dem Wohlverhalten ihrer j sein. Eine Näherbestimmung ergibt sich aus V. 3 ff. Wenn es sich

Anhänger kein Zweifel war. Die jüdische Gemeinde, in ihrer | bei der änoaiaala um ,die definitive Entscheidung des jüdischen

Repräsentanz demonstrativ kaisertreu, wurde jedoch immer neu I Volkes gegenüber der Heilsbotschaft' (B. Weiss) handelt, und der

durch radikale, von Palästina herüberkommende Strömungen ! ävnxeijuevo? solchen pointiert als dvo/ua bezeichneten Abfall

erschüttert. Das führte zu Repressivmaßnahmen und 49 n. Chr. I auf dje Spjrze treibt; dann irmibiert der xarexcov die mit der

zur Ausweisung. Erst ab 54 vermochten Juden und Judenchnsten | (}nomaa(a verbundene jüdische Verfolgung der Christen. Nur

zurückzusickern. Ihre Lage war noch ganz unsicher und ander
seits jüdische Versuche, die Aktivität judenfeindlicher Behörden
auf die Christen abzulenken, schon wahrnehmbar. Jetzt mußte
Paulus daran gelegen sein, jeden Verdacht zu zerstreuen. Von
dieser besonderen Situation her ist R 13, ist die Ausweitung zu
einer Formel grundsätzlicher Staatsbejahung, die auch von den Heiden
verstanden werden konnte, zu begreifen. R 13 ist der Anfang
der christlichen Apologetik.

Dem eigentlich paulinischen Denken stehen andere Äußerungen
näher. Als neue Quelle ist 1. Thess. 5, 3 einzuführen.
Die Ergänzung von eiQtjvr) durch einen anderen Begriff ist ungriechisch
; der Römer aber hat das Bedürfnis gehabt, der rechtlich-
formalistisch verstandenen pax eine inhaltliche Ergänzung durch
ein sprechendes Symbol oder einen anderen Begriff zu geben.
Pax et securitas aber ist das Programm der frühprinzipalen Zeit,
in der Form, wie es außerhalb von Rom seit den Tagen des Pom-
Peius (ältester Beleg überhaupt p6 Sal 8, 18) verkündet wurde.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß securitas das Korrelat zu
aeternitas ist, daß beide einen religiösen Anspruch, den der politischen
Hcilsverwirklichung beinhalten. Greift Paulus die Formel
polemisch auf, so sieht er bei einem Teil der Thessalonicher
die Gefahr im Anzug, daß das Gaukelbild der präsentischen
Eschatologie sie die Zukunft vergessen läßt. Indirekt vollzieht er
damit die Umwertung einer politischen Ideologie, die mit dem
Selbstverständnis der Reichsregierung identisch war und deren
Respektierung der Staat erwarten konnte. Es ist das d i e Stelle
im Corpus Paulinum, wo dies am deutlichsten geschieht.

mittelbar hält er das Ende auf, in erster Linie wehrt er der
ämoksia. So ist an Claudius und seine repressive Judenpolitik zu
denken. Dieselbe Erfahrung 6teht auch hinter 1. Thess. 2, 16.
Hier aber wird hinzugefügt, daß die Verfolgung der Verfolger
noch nicht die unmittelbare Nähe des Tages anzeigt, sondern diesem
die änoaraaia vorangehen muß. Wenn sie in einer Person
kulminiert, so muß man annehmen, daß auch diese in der Gewandung
der Staatlichkeit auftritt. Zwar nicht unter Voranschritt
der römischen fasces, aber vielleicht im jüdisch-messianischen
Ornat. Wieder eine Kontrapunktik des Begreifens.

1. Thess. 5 und 2. Thess. 2 reden nicht unmittelbar vom
Staat als solchen, sondern von Erscheinungsformen der politischen
Welt. Sie widersprechen sich nicht, sondern machen in verschiedener
Weise die Ambivalenz der politischen Mächte deutlich,
wie sie sich dem apokalyptischen Denken enthüllt, das Geschichte
und Übergeschichte in ständiger Bewegung erfaßt — ermöglicht
durch eine außerordentliche Variabilität des apokalyptischen Schemas
selbst wie seiner Anwendung auf die Zeitereignisse. Der
Mensch deutet von Fall zu Fall, d. h. die theologische Reflexion
steht am Anfang dieser Konzeption. Der Mensch steht zunächst
den Geschehnissen gegenüber, weiß sich nicht von vorne herein
ihnen untergeordnet. Paulus kritisiert freilich nur, soweit Mitmenschen
in Versuchung kommen. Zu anderem läßt die angespannte
Eschatologie keine Zeit.

Der Unterschied zu R 13 ist evident. Hier ein dynamischapokalyptisches
Staats- und Geschichtsverständnis, das die Ereig-