Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

833-838

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Rolf

Titel/Untertitel:

"Offenbarung" im Alten Testament 1960

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

833

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

834

Grunde, so daß es geraten erscheint, diese Erzählung in die Gattung
der „Weisheitsliteratur" einzuordnen.

Im Gegensatz zu Da 3, 31—4, 34 besteht nun ein besonders
enges Verhältnis zwischen 4QOrNab und den Harran-Inschriften.
In 4QOrNab wird in volkstümlicher Weise berichtet, wie ein an
sich frommer Fremdherrscher durch Jahwe von der falschen
Gottesverehrung zum wahren Glauben gebracht wird. Abstrahiert
man das typisch jüdische Kolorit, so bleibt als Motiv übrig,
daß der König an einem bestimmten Punkte seines Lebens einen
offiziellen Glaubenswechsel vollzieht. Das aber entspricht genau
der Religionspolitik des geschichtlichen Nabonid, wie 6ie jetzt
durch die Harran-Inschriften bestätigt wird. Er hat nämlich den
Mondgott Sin zum höchsten Gott erklärt und sich damit in
Gegensatz zur Verehrung des Stadt- und Reichsgottes Marduk
von Babylon gestellt. Hierzu kommt, daß Nabonid selbst sagt,
er habe nach göttlicher Setzung 10 Jahre außerhalb Babylons
verbracht und sei auf Grund eines von Sehern gedeuteten Traumes
nach dieser Frist in seine Residenz zurückgekehrt. Wenn im
Gegensatz hierzu 4QOrNab nur von sieben Jahren redet, so darf
man diese Differenz nicht überbetonen, da die Sieben bekanntlich
eine typische Zahl darstellt. Man wird also mit Recht annehmen
dürfen, daß die Religionspolitik des Nabonid als historischer
Haftpunkt das Motiv abgegeben hat, das dann von der
volkstümlich-erbaulichen Legende im Sinne einer Weisheits-
crzählung frei gestaltet worden ist.

Aus Inschrift 2 von Harran geht ferner hervor, daß Nabonid
mit Leuten aus Akkad und Hatti-Land, d. h. den westlichen Teilen
6eines Reiches einschließlich Palästina, auf der arabischen
Halbinsel in Tema, Dedan, Fadak, Haibar und Jatrib Kolonien
gegründet hat. Man hat nun mit Recht angenommen, daß sich
unter den Hatti-Leuten auch Juden aus Palästina oder Babylon

! befunden haben; denn genau die oben genannten Kolonien 6ind
die Oasenstädte, die zur Zeit Mohammeds von Juden besiedelt
waren3. Hierzu paßt nun in merkwürdiger Weise die 21. Kolumne
aus dem Midrasch zur Genesis von Höhle 1 in Qumran (Z. 15ff.):

I Auf seiner Wanderung reist Abraham nicht nur durch das Reich
Davids, sondern weiter eufratabwärts bis zum Persischen Golf
und von da durch die arabische Halbinsel. Schwerlich läßt der

: Kommentator Abraham aus geographischem Interesse durch dieses

! Gebiet reisen; vielmehr ist anzunehmen, daß ihm, ebenso wie
an den jüdischen Siedlungen in Mesopotamien, so auch an den
jüdischen Gemeinden in Arabien liegt. Ist diese Vermutung richtig
, dann bietet der Genesis-Midrasch ein wertvolles Mittelglied

j zwischen den Angaben des Nabonid einerseits und den arabischen
Traditionen über Judensiedlungen im vorislamischen Arabien an-

j dererseits. Gleichzeitig aber zeigt der Genesis-Midrasch, daß die
Sadokiden von Qumran, ohne Zweifel historisch bedingt, auch
anderweit über wertvolle jüdisch-babylonische Traditionen verfügten
, so daß 4QOrNab, das den historischen Ereignissen weit
näher steht als Da 3, 31—4, 34, keineswegs als Einzelfall
innerhalb der Literatur von Qumran anzusehen ist.

3) Vgl. C. J. Gadd, a.a.O., S. 85 ff.; E. Vogt, Novae Inscriptio-
nes Nabonidi (Biblica 40 [1959], S. 101 f.).

Das Alte Testament besitzt keinen eindeutig geprägten
Begriff für „Offenbarung". Ein nominaler Ausdruck wäre bei der
Struktur der hebräischen Sprache ohnehin nicht zu erwarten;
aber auch keine von den verschiedenen Verbalwurzeln, die in
diesem Zusammenhang genannt werden können, ist zu einem
wirklichen terminus technicus geworden, der das alttestament-
liche Offenbarungsverständnis repräsentiert.

Versteht man „Offenbarung" im strengen Sinne als
Selbst Offenbarung Gottes, so ist das Niphal von rtK~l derjenige
Begriff, der am unmittelbarsten davon redet1: Gott zeigt
6ich. Die älteste, urtümlichste Verwendung von riN^D findet sich
dort, wo die Gotteserscheinung mit einem bestimmten Ort
verbunden ist. So erscheint der mal'äk in Ex 3 „im Dornbusch";
und in der ältesten Gestalt des Textes, die gewiß die Ätiologie
eines Kultortcs war2, kam es gerade darauf an. DuTch die Erscheinung
war der Ort geheiligt (V. 5). Dieser kultätiologische
Sprachgebrauch hat eine deutlich erkennbare Geschichte durchlaufen
. Im jahwistischen Text von Gn 12,7 und 26, 24 f. findet
6ich das Schema der Kultätiologie aufs äußerste zusammengedrängt
: Jahwe erscheint — und als Reaktion darauf baut der
Offenbarungsempfänger einen Altar. Schließlich sind die formalen
Elemente dieses Schemas auch in priesterschriftlichen Texten noch
erkennbar. In Gn 17 und 35, 9ff. werden sie als feierlicher Rahmen
einer Gottesrede verwendet: Jahwe erscheint (17, 1; 35,9)
— und nach der Rede entschwindet er wieder (17,22; 35, 13).
Hier hat sich aber der Sprachgebrauch von rlK*i; völlig von der
Bindung an einen bestimmten Ort gelöst und dadurch seine ursprüngliche
Funktion verloren. Im Rahmen der Priesterschrift
liegt auf dem sichtbaren „Erscheinen" Jahwes gar kein Gewicht.
Das zeigt aber, daß die Geschichte dieses Begriffes nicht auf eine
Gottesoffenbarung in der Theophanic hinläuft.

Es läßt sich vielmehr eine ganz andere Entwicklung erkennen
: fiNi: verbindet sich mit einer göttlichen Verheißungsrcdc.
In den genannten jahwistischen und priesterschriftlichen Belegen
ist der eigentliche Inhalt der Gotteserscheinung eine Verheißung
von Jahwes bevorstehendem Heilshandeln an dem Angeredeten

„Offenbarung" im Alten Testament

Von Rolf R e n d t o r f f, Berlin

(Gn 12, 7aß; 26,24; 17,2-21; 35,11 f.)- Besonders deutlich
wird diese Verschiebung in Gn 18. Dort steht der Satz „Da erschien
ihm Jahwe bei den Terebinthen von Mamre" überschriftartig
der ganzen Erzählung voran3. Die Gotteserscheinung selbst
ist dagegen ganz anders geschildert, ohne daß HN*1D dabei verwendet
wird. Durch den Einleitungssatz 6oll also offensichtlich
die Erzählung als ganze als Gotteserscheinung qualifiziert werden;
ihr entscheidender Inhalt ist aber die Verheißung des Sohnes
(V. 10. 14).

Das kultätiologische Schema ist hier verlassen: dem einleitenden
Satz „Da erschien ihm Jahwe" korrespondiert kein entsprechender
Schlußsatz mehr. Diese Verselbständigung des Einleitungssatzes
findet sich noch häufiger — und immer ist eine Verheißung
mit ihm verbunden (Gn 26, 2f.; [Ex 3, 16f.]; Ri 6, 12 ff.;
13, 3 ff.; 1. Rg 3, 5 ff.; 9, 2 ff.). Daß Jahwe „erscheint", heißt
also in dem hier ausgebildeten Verständnis, daß er seine Verheißungen
gibt. Aus dem terminus für die Gotteserscheinung an
einem dadurch ausgezeichneten Ort ist ein theologischer Ausdruck
für die Kundgabe des bevorstehenden geschichtlichen Handelns
an einen bestimmten Menschen geworden1.

Häufig erscheint auch das Niphal von als Ausdruck für
das Sich-Kundtun Jahwes. Die Belege lassen sich in zwei Gruppen
zusammenstellen:

1. In Ps 48,4 heißt es im Zionslied: „Gott hat sich in ihren
Wohntürmen kundgetan als Zuflucht." Diese Aussage wird entfaltet
im Bild der anstürmenden und voller Schrecken fliehenden
Feinde (V. 5 ff.). In ähnlichem Zusammenhang steht yns in
Ps 9, 17 und 76, 2. Jahwe tut sich kund als Retter und Helfer
Israels, indem er seine Macht in der Vernichtung der Feinde und
der Führung seines Volkes erweist. Das kommt auch dort zum
Ausdruck, wo es heißt, daß sich Jahwes „Hand" kundtut
(Js 66, 14). Diese Aussage steht in engem Zusammenhang mit
einer Reihe von verwandten Stellen, die von Jahwes „Hand"
oder „Arm" reden und dabei Formen der Verben !"ftt*1i ilbs
und TV verwenden (Dt 3,24; Js 30,30; 53,1; Jr 16,21).
Die Bezeichnungen „Hand" und „Arm" Jahwes stehen aber in

') Daß häufig nba als der charakteristische Offenbarungsbegriff
bezeichnet wird, ist durch den Sprachgebrauch der LXX bedingt, in der
ojfoxaMmteiv fast ausschließlich zur Wiedergabe von nbj verwendet
wird.

'') H. Greßmann, Mose und seine Zeit (1913) S. 21 ff.

3) In Ex. 3,2 steht dagegen das NTT mitten in der Erzählung
innerhalb einer Reihe von imperfecta consecutiva.

4) In Gn. 35,7 und 1. Sm. 3,21 wird das Niphal von übj in einem
ähnlichen Sinne verwendet wie das von 71N*V