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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

831-834

Autor/Hrsg.:

Meyer, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Qumrânfragment "Gebet des Nabonid" 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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lichkeit der ihm anbefohlenen Menschheit heraufführen wird. In
der Sprache der Profetie heißt das c. 9: durch die Jahrhunderte
wächst die menschliche Sünde mehr und mehr an, bis ihr Maß
voll ist und in dem dann notwendigen Weltgericht „vollendet"
und „gesühnt" wird, so daß danach immerdauernder sädäq geschaffen
werden kann (9, 24; sädäq als Inbegriff dessen, was zu
heilvollem menschlichen Leben erforderlich ist).

Gewiß wird in den Legenden auch zur Bekenntnistreue angesichts
der Religionsverfolgung durch den Seleukiden aufgerufen
; aber das auf Grund der Überzeugung, daß solche Treue dem

„Gesetz" der Geschichte gemäß ist; gerade in der Gegenwart,
wo die Heilszeit unmittelbar vor der Tür steht, ist sie sinnvoller
als je. Man darf diesen „paränetischen" Zug keineswegs isolieren.
Das erste Anliegen ist vielmehr, dem Gefälle einer weltweiten
Geschichte nachzudenken, die nach Gottes Willen abläuft
und in ihrem Endziel Juden wie Heiden gleichermaßen umgreift.
Es ist kein Zufall, daß das Danielbuch über anderthalb Jahrtausende
grundlegend war für jede Darstellung der Weltgeschichte.
Und genau besehen gibt es auch heute keine Konzeption von
Weltgeschichte, die nicht irgendwo den Grundgedanken des
Danielbuches verhaftet bliebe.

Das Qumränfragment „Gebet des Nabonid"*

Von Rudolf Meyer, Jena

Die neuen Funde an Nabonid-Inschriften in der Moschee von
Harran, die C. J. Gadd in seinem Aufsatz „The Harran Inscrip-
tions of Nabonidus" (Anatolian Studies VIII [1958] S. 35-92)
veröffentlicht hat, lassen es geraten erscheinen, ein kleines Fragment
aus der Höhle 4 von Qumran, das aus einigen Lederstück -
chen besteht und das J. T. Milik 1956 unter dem Titel „Priere
de Nabonid" erstmalig ediert hat1, literarkritisch zu untersuchen
und geschichtlich einzuordnen. Die Übersetzung des „reichs-
aramäisch" geschriebenen Textes lautet:

A. Fragment 1—3: (1) „Die Worte des Gebetes, die betete
Nabunai, König von A[ssyrien und Ba]byIonien, der [Groß]könig,
[als er geplagt wurde] (2) durch böses Geschwür auf Befehl des
[höchsten Gfottes] in [der Stadt] Teiman. [Durch böses Geschwür
] (3) war ich geplagt sieben Jahre, und abseits von [den
Menschen] wohnte (?) ich. [Doch als ich bekannt hatte meine
Übertretung] (4) und meine Sünde, verzieh er sie. Ein Seher,
ein jüdischer [Mann] vo[n den Exulanten in Babylon], (5) brachte

Jahwe, so werde er geheilt werden und nach Babylon zurückkehren
.

Hiermit bricht Teil A ab, und es fehlt bisher jeder Anhaltspunkt
für seine unmittelbare Fortsetzung. Immerhin läßt sich
vermuten, daß nach der ersten Fragmentengruppe A nicht sofort
der glückliche Ausgang der Erzählung kam, sondern daß dazwischen
noch ein größeres Erzählungsstück stand, von dem der
fragmentarische Teil B gerade noch etwas ahnen läßt. Hierin erzählt
nämlich der König von einem Traume, der ihn gequält habe
und in dem — wenn J. T. Milik richtig vermutet — ein Engel erschien
, der ihn an den Seher erinnerte. Damit aber knüpft diese
Traumerscheinung offenbar an ein Ereignis an, das vor des Königs
Leiden liegen muß und von dem her ihm der jüdische Seher,
durch die Jahre vergessen, plötzlich wieder vor Augen tritt. Es
ist anzunehmen, daß dieses Ereignis mit einem Traume des Königs
identisch ist, der vor der Verbannung nach Tema lag und aus
dem eben dieser jüdische Seher die Zukunft des Königs gedeutet

die Deutung und schrieb, man solle Ehre erweisen und g[roßen j hat.

Ruh]m dem Namen des [höchsten] Gfottes und also schrieb er]: , Ist Teil B nadl Inhalt und Stellung richtig ausgewertet, dann

[Als] (6) du daniederlagst an b[ösem Geschwur in der Stadt] | jicgt in dem „Gebet des Nabonid" (= 4QOrNab) das bekannte

Teiman [auf Befehl des höchsten Gottes] (7) sieben Jahre, da Schcma vor> wonadl dn Seher ejnem Könjge die Zukunft voraus.

bete[test du zu den Gottern] aus Silber und Gold, [Erz, tisen|, | sagt) ]etzterer ater Seher und Weissagung vergißt, bis er sich auf

(8) Holz, Stein [und Ton]. Da f.....]., daß Gotter s[ie seien dem Höhe. oder Tiefpunkte seines Lebens des weisen Mannes

(?).... (9).....Friede

B. Fragment 4: (l) „........und überdies (?) träumte ich

(2).....es ver[l]ieß [mich] das Wohlbefinden [meiner] Ru[hc]

.... (3) .... meine Eingeweide. Ich konnte nicht [......(4)

......] wie du gleichst dem [......I (5)......'

Aus dem Erzählungsbruchstück, in dem bereits J. T. Milik
Nabunai mit Nabonid und Teiman mit der Oasenstadt Tema
identifiziert hat, läßt sich in gewissem Umfange die Gliederung
des ursprünglichen Ganzen erkennen. Die ersten beiden Zeilen
stellen die Überschrift und wohl auch den Anfang der Erzählung
dar. Die eigentliche Darstellung beginnt mit der Rede des Großkönigs
(Z. 2—5), in der der Hauptgedanke der Erzählung vorausgenommen
wird. Des weiteren stellt der Großkönig als entscheidenden
Faktor für den Gang der Handlung, die schließlich
zu seiner Erlösung führt, einen namenlosen jüdischen Seher vor.
Mit diesem Seher, der offenbar in Babylon lebt, 6teht er nur
brieflich in Verbindung. Von ihm hat er ein Sendschreiben,
dessen Quintessenz, die zugleich doxologisch anmutet, zunächst
in indirekter Rede voransteht (Z. 5). Hierauf kommt der
Seher selbst zum Wort, indem er das „böse Geschwür" des Königs
als Folge seines Götzendienstes deutet. Die Verehrung falscher
Götter — so dürfen wir nach Z. 2 ergänzen — habe den
höchsten Gott erzürnt; bekenne er aber — so nach Z. 3/4 —seine
Sünden und bekehre er sich zu dem höchsten Gott, d. h. zu

*) Das hier gegebene Kurzreferat stellt die Vorankündigung einer
größeren Untersuchung dar, die in den „Berichten über die Verhandlungen
der Sächsischen Akademie der Wissenschaften" erscheinen wird.

*) Revue Biblique 63, 1956, S. 407—415. Ausführlicher behandelt
wurde dieser Text bisher von H. M. J. Gevarjahu, The Qumran frag-
ment of the prayer of Nabonidus, (Studies in the Dead Sea Scrolk
[Jerusalem 1957], S. 12—23; hbr.); J. D. Amusin, Das Qumran-Frag-
ment des „Gebetes" des babylonischen Königs Nabonid, (Westnik
Drewnei Istorii 1958, Heft 4 [Moskau 1958], S. 104-117; russ.)

2) Ausgelassen 6ind in der Übersetzung einige Buchstaben, die nicht
mehr deutbar sind.

und seiner Voraussage erinnert, seine Dienste nochmals beansprucht
und ihn dann hochgeehrt entläßt.

Mit J. T. Milik ist anzunehmen, daß 4QOrNab in die Nähe
von Da 3, 31 —4, 34 gehört, damit aber, obwohl der Seher anonym
bleibt, aus einem größeren Daniel-Zyklus stammt. Aber
bei aller Verwandtschaft gibt es doch nicht zu übersehende
Unterschiede zwischen 4QOrNab und Da 3, 31—4, 34, von
denen im folgenden einige aufgezählt seien.

Auffallend ist zunächst an 4QOrNab die Nennung des Namens
Nabunai = Nabonid. Seit langem vermutet man schon,
daß Da 3, 31—4, 34 von Haus aus nicht an Nebukadnezar II.
(604—562 v. Chr.), sondern an der Volkstradition über Nabonid
(555—5 38 v. Chr.) haftet. Durch 4QOrNab und die Harran-
Inschriften, die die Religionspolitik des Königs zeigen, ist die
bisherige Vermutung zur Evidenz erhoben.

Für die Gattungsbestimmung von 4QOrNab ist entscheidend
, daß sich durch die ganze Erzählung das Motiv des Leidens
zieht. Im Unterschied aber zu Da 3, 31 —4, 34, wo der Herrscher
infolge seiner Hybris in ein Fabeltier verwandelt wird, lebt hier
Naboid lediglich „abseits" in Tema als Verbannungsort, und
das Leiden besteht in einer höchst alltäglichen, freilich recht betrüblichen
Krankheit, dem sihnä bisä, der Lepra tuberculosa
(vgl. Lev. 13, 18), was genau dem s'hin ra in Hiob 2,7 entspricht
; mit anderen Worten: der König ist mit Hiobs Krankheit
geschlagen!

Darüber hinaus wird die Krankheit des Königs unter dem
gleichen Aspekt gesehen, wie ihn Hiobs Freunde gegenüber dem
Leiden haben. Nach der orthodoxen Weisheitslehre gilt, daß das
Verhängnis nie von ungefähr kommt; es ist Strafe für die Sünden
des Betroffenen, die offenbar werden müssen, um gesühnt
zu werden. Zugleich ist das Leiden immer auch Erziehungsmittel;
denn Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern daß er sich
bekehre und lebe. Genau dieses Schema aber liegt 4QOrNab zu