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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

827-830

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Siegfried

Titel/Untertitel:

Joseph in Ägypten 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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eindruck als solcher apperzipiert wird, und voluntaristisch in dem
Sinne, daß diese Apperzeption sich umsetzt nicht in eine Spekulation
, sondern in ein Wollen. Was Gott sah und hörte, ruft
seine tätige Reaktion hervor. Was der Mensch an Widerfahrnissen
erlebt, setzt sich in Gehorsam oder Ungehorsam, in Dank oder
Klage im Kultus und im Opfer in der Weise um, daß die Instabilität
der sittlichen und religiösen Haltung Israels, die seine
ganze Geschichte durchzieht, erklärbar wird. Ihre Grenze aber
findet diese Grundhaltung an einer eigenartig davon kontrastierenden
geistigen Eigenart: einem ausgesprochen rationalen
Zuge, wenn aus den Fakta jene beiden polaren „Eigenschaften"
Jahves abstrahiert und in dem Oberbegriff des qädös zur Einheit
verbunden sind, auch wenn in der Weisheit generell um eine
„verständige" Haltung gerungen wird. Ihm ist es zu verdanken,
wenn das Geschichtsdenken dann doch nicht in Einzelzügen sich
erschöpft, sondern zu eineT Einheit nicht nur der Geschichte Israels
, sondern der Welt in der Einheit des über allen Rivalitäten
und allem Versagen souverän stehenden einen göttlichen Herrn
fortschreitet. Wie dabei die entscheidenden Wechselfälle der Geschichte
in Transmigration, Auszug, Staatwerdung, Zusammenbruch
und Eingliederung als „Gemeinde" inl das persische
Großreich geistig bewältigt werden, kann hier nicht erörtert
werden. Nur soviel ist deutlich, daß in allen drei Grundfakten
für das israelitische Geschichtsdenken das religiöse

Moment eingeschmolzen ist: in den Rivalitäten, die Gottesrivalitäten
sind, im Versagen, das Versagen gegen den
Gotteswillen ist, das Gottesversagen aber beiseiteschiebt, im
Wechsel, der vom Transmigrationsbefehl bis zur letzten Zeit
gottgeordneter Wechsel ist. Das heißt aber, daß die Geschichte
durchaus als mythische Geschichte erfahren wird, in
dem Sinne, daß die dextera manus dei oder die langher planende
göttliche Providenz am Werke geglaubt wird. Die Geschichte
ist damit nicht heroisiert, wohl aber deifiziert und darin
glorifiziert, oder aber diabolisiert. Innerhalb dieses Gesamtbestandes
bei einzelnen Geschehnissen das Glaubensurteil zum
historischen Urteil über das persönliche Walten Gottes zu wandeln
, läßt sich auch bei denen nicht durchführen, auf die die Tradition
innerhalb des AT besonderen Wert legt. Als Glaubensgeschichte
und als Geschichte einer die Geschichte in ihren Höhen
und in ihren Tiefen bewältigenden und aus ihr lebenden Frömmigkeit
6teht das Geschichtsdenken des AT unter den Urkunden der
Antike auf einsamer Höhe und strukturell nahe bei dem NT.
Für uns wird es nicht fruchtbar auf dem Wege einer rationalen
Anerkenntnis des Gottgewirktseins einzelner Vorgänge, sondern
in dem testimonium Spiritus Sancti internum, das in einer
völlig anderen Ebene liegt. Die Wahrheit, in die der Geist leitet,
ist nicht die geschichtliche Tatsache von einem persönlichen
Reden Gottes etwa zu und durch Nathan!

Joseph in Ägypten

Ein Wort zu J. Vergotes Buch „Joseph en Egypte"

Von Siegfried Herrmann, Berlin

(Kurzfassung)

In seinem Buch „Joseph en Egypte. Genese Chap. 37—50 ä
la lumiere des etudes egyptologiques recentes" Louvain 1959,
das von S. Morenz in ThLZ 84 (1959), Sp. 401—416 ausführlich
besprochen und von O. Eißfeldt in OLZ 55 (i960), Sp. 39—45
kritisch bewertet wurde, sucht der Löwener Ägyptologe,.L_Ver-
gote den Nachweis zu führen, daß eine Reihe ausschlaggebender
Details der Josephsgeschichte tatsächlich in die frühe Ramessiden-
zeit passen und rechnet sogar mit der Möglichkeit, daß ein
Grundbestand dieser Erzählung auf einen zeitgenössischen Bericht
zurückgehen könnte. Die Tradition verdiene Beachtung,
die Mose als Verfasser bezeichnete. Die protestantische Forschung
am Alten Testament wird sich diesen Schlußfolgerungen
Vergotes kaum anschließen, aber sie könnte immerhin seinen
ägyptologischen Detailuntersuchungen mehr Gewicht beimessen
als sie im Blick auf die alttestamentlichen Sachverhalte verdienen
. So dankenswert Vergotes ägyptologische Durchleuchtung
der Josephsgeschichte unter Berücksichtigung der neuesten
einschlägigen Veröffentlichungen ist, so muß doch auch gesehen
werden, wie wenig Sicherheit der hebräische Text für den konkreten
historischen Vergleich mit ägyptischen Fakten an die
Hand gibt.

Im Vordergrund der Untersuchungen Vergotes stehen Titel,
Namen und Institutionen in der Josephsgeschichte. Für die
Problemlage charakteristisch und aufschlußreich ist der Titel
Potiphars: DTDtSJI Vergote rechnet damit, daß hier äg.
wdpw korrekt ins Hebräische übertragen worden sei. wdpw,
im Mittleren Reich deutlich als „Koch" belegt, kann später in
seiner Eigenschaft als Titel eine ähnliche Verbreiterung 6eines
Bedeutungs- und Funktionsbereichs erfahren haben, wie es für
rt3ü anzunehmen ist. Doch ist wdpw im Neuen Reich nicht
mehr sicher nachzuweisen, weil die Schreibung dieses Wortes dort
der des win gleicht, was nach einer Vermutung Gardiners den
„Mundschenken" bezeichnen wird. Gibt also schon das ägyptologische
Material nicht alles zu einem gesicherten Vergleich her,
was wünschenswert wäre, so kommt noch hinzu, daß im 2. Königsbuch
und bei Jeremia der gleichlautende Titel DTQia
babylonische Beamtenbezeichnung sein will. Die Frage ist zu
stellen, ob das Vorbild dieses Titels nicht eher im semitischen
als im ägyptischen Bereich gesucht werden muß. — In den gleichen
Grenzbereich zwischen Ägyptologie und Semitistik gehören Erwägungen
zum Titel rpa?rt» "ubn, der in der Josephsgeschidite
mehrfach unter verschiedenen Voraussetzungen und bei verschiedenen
Amtsträgern erscheint (Gen. 39,4; 41,40; 43,16;

44,1.4; 45,8). Vergote nennt mehrere ägyptische Ämterbezeichnungen
, die durch mafTl» Kaa gedeckt werden könnten
. Nach Gen. 45,8 sieht es so aus, als ob Joseph dieses Amt in
Verbindung mit dem Vezirat bekleidet habe. Vergote bleibt hier
vorsichtig, zumal eine Ämterverbindung der hier in Betracht
kommenden Art nur einmal unter Ramses II. belegt ist. Auch
hier ist zu fragen, ob das legitime Vorbild der Titelbezeichnung
rnafrby nicht eher im semitischen als im ägyptischen

Bereich zu suchen ist (vgl. sa eli biti, sa pän ekalli u. ä.).

Es zeigt sich der eigenartige Sachverhalt, daß in der Josephsgeschichte
ebensosehr ägyptische wie genuin semitische Erinnerungen
verarbeitet sind, ein Sachverhalt, der sich in gewissem
Grade mit den Feststellungen G. von Rads zur Josephsgestalt
trifft, die nach seiner Auffassung den Idealen der Weisheitsliteratur
entspricht. Unter diesem Gesichtspunkt ist zu fragen,
ob etwa die vermeintlichen Amtsbezeichnungen Josephs Gen. 45,
8, wo er sich "piN über das Haus Pharaos undbiM über das ganze

Land Ägypten nennt, israelitischen Idealvorstellungen vom
Herrschertum entsprechen wollen, also zuerst mit israelitischen
Augen gelesen werden müssen, ehe man nach möglichen Äquivalenten
in der ägyptischen Ämterhierarchie fragt. Der unbestimmt
hohe Begriff biaa, der sich im israelitischen Bereich nicht mit

einer fest umrissenen Amtsvorstellung verbindet, verleiht dabei
Joseph besondere Autorität, ohne doch die königliche Würde
Pharaos spürbar anzutasten.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beobachten, daß
es im Alten Testament auch andere und ähnliche Idealerzählungen
von Männern gibt, die 6ich im fremden Land bewähren
oder zumindest dort unter besonderem göttlichen Schutz stehen;
bezeichnenderweise versuchen auch diese Erzählungen Lokalkolorit
durch Namen, Institutionen und termini technici zu erzeugen
, ohne daß sie deshalb durchweg für historisch gehalten
werden. Zu erinnern ist an Moses Aussetzung (Ex. 2, 1 ff.) und
an die Art, wie Daniel geschildert wird (vor allem Dan. 1).

Formge6chichtliche Überlegungen werden von Vergote ganz
vernachlässigt; das ist der Hauptfehler, der Vergote zu seinen
Erwägungen über die Frühdatierung der Josephsgeschichte verleiten
konnte. In dieser Beziehung i6t Vergotes Forschungsweise
geradezu anachronistisch zu nennen. Keines der von Vergote
aufgezeigten Fakten kann ernsthaft dazu Anlaß geben, einen Kerf
der breit dahinfließenden Erzählung in die israelitische Frühzeit
hinaufzudatieren. Es kann deshalb dabei bleiben, daß die J0'