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Ausgabe:

1960 Nr. 11

Spalte:

805-816

Autor/Hrsg.:

Philipp, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Johann Heinrich August Ebrard (1818-1888) und die Christianisierung der Iren 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 11

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nung ausgesprochen, daß die Sarvodaya-Bcwegung die Zeit heraufführen
werde, da „die Wahrheit des Prinzips ,Eines in allen
und alle in Einem' die Welt beherrschen" werde, und ordnet
sich damit in den Gesamtzusammenhang der modernen vedan-
tistischen Renaissance ein. Seine Modifikationen überlieferter
Lehren widersprechen dem ebenso wenig wie seine erfolgreichen
Bemühungen, mit Hilfe dieser Modifikationen dem Hindu, ohne
Beeinträchtigung des religiösen Erbes, neue Dimensionen sozialen
Handelns zu erschließen. Dem Abendland wird damit einmal
mehr demonstriert, daß mindestens für einen großen Teil
der außereuropäischen Menschheit über die Leitbilder und
Modelle der Ethik dort entschieden wird, wo die religiösen
Fragen zur Entscheidung stehen, daß also die gängige Diagnose
des zwangsläufigen Zerfalls der religiösen Bindungen unter dem
Ansturm westlicher Weltlichkeit nicht beliebig verallgemeinert
werden darf.

Religion im alten und neuen China1

Von Theodor L o h m a n n, Jena

(Kurzfassung)

Anläßlich einer Studienreise durch die Volksrepublik China
vom 17. 10. bis 14. 11. 59 wird in einem Lichtbildervortrag dem
Problem der Religion nachgegangen, wie sie sich seit dem Ende
des Kaisertums 1912 und der Gründung der Volksrepublik 1949
weiter entwickelt und verändert hat. Dies wird in erster Linie
an Hand des Geisterglaubens aufgezeigt, der in Form der chinesischen
Mauern, der Minggräber, der künstlich errichteten Erdhügel
, der Geistertreppen, der Geisterschwellen, der Geisterschirme
und Geisterbrücken das alltägliche Leben im alten China
bestimmt hat. Dagegen vollzieht das moderne China, besonders
die Stadtbevölkerung, die Loslösung von diesem Geister- und
Aberglauben, ohne dabei den alten großen Gedanken der Harmonie
und der Toleranz aufzugeben.

Wie der Geisterglaube, so ist auch der Taoismus und Kon-
fuzianismus stark im Schwinden begriffen. Die Kaiserpaläste mit

deutlich spürbar. Daß natürlich der Jugend, die das Analphabetentum
überwindet und sich begierig dem Studium zuwendet, die
Zukunft gehört, ist selbstverständlich.

Im Unterschied zur konfuzianischen und taoistischen Religionsform
spielt der im Jahre 61, bzw. schon 250 v.Chr. in China
eingewanderte Buddhismus eine um so größere Rolle. Heute wird
er auf nahezu 100 Millionen Anhänger geschätzt. Das Referat
beschäftigt sich mit den Formen, in denen sich der Buddhismus
mit den anderen Religionsformen, namentlich mit dem chinesischen
Ahnenkult und den philosophischen Lehren des Taoismus,
verschmolzen hat, weiterhin mit den einzelnen gegenwärtigen
Schulen des chinesischen Buddhismus und den verschiedenartigen
Lohans, Bodhisattvas und Buddhas. Schließlich wird an Hand der
mit dem Buddhismus in China eingewanderten Bauwerke, Pagode
und Pailo, die Entwicklung von der ursprünglich religiösen Be-

ihrer reichen Symbolik der Form und der Farben und die einzelnen j deutung zur heutigen profanen aufgezeigt.

Konfuziustempel sind Museen geworden. Das Volk wendet sich Zum Schluß wird auf die Einführung des Christentums in

von dem durch Konfuziuß proklamierten als Staatsideal bewun- vier bedeutenden Wellen hingewiesen. Dabei wird vor allen

derten Altertum ab und blickt voller Vertrauen in die Zukunft, j Dingen auf die Fehler aufmerksam gemacht, die im Laufe des 19.

die vorwiegend von den Problemen des technischen Aufbaues auf j und 20. Jahrhunderts von 6eiten der europäischen Mission im

allen Gebieten bestimmt wird. Wiederum zeigt sich auch in Hin- Zusammenhang mit ihrer Kolonialpolitik geschehen sind und zur

sieht auf die Ahnenverehrung weitestgehende Toleranz. Selbst die j Ausweisung der europäischen Missionare seit 1951 geführt ha-

Bodenreform, die im ganzen Lande 1952/53 durchgeführt wurde, I ben. Trotzdem besteht kein Grund, von Verfolgungen zu reden,

war so human, daß sie diese Gräber im wesentlichen nicht antastete Vielmehr lebt das Christentum, 0, 5 % der Gesamtbevölkerung,

und der Landbevölkerung ihre Ahnenopfer gewährte. Aber auch der nach dem Programm der sogenannten ,Drei Autonomien', näm-

Ahnenkultus ist im Schwinden begriffen. Dennoch wäre es falsch zu lieh Selbstverbreitung, Selbstunterhaltung und Selbstverwaltung

behaupten, daß damit auch die Pietät gegenüber den Eltern und dem J fort. Davon legen auch die vier evangelischen Hochschulen in

Alter überhaupt aufgehört hätte zu existieren. Vielmehr ist nur die Peking, Tschunking, Kanton und Nanking, an deren letztere 96

Form des Respektes eine andere geworden: Nicht sklavischer Ge- | junge Chinesen evangelische Theologie studieren, Zeugnis ab.

norsam, wie er in der unheilvollen altchinesischen Eheschließung i Wenn in dem großen Hörsaal der Akademie hinter dem Lesepult

zum Ausdruck kam, sondern freie bejahende Liebe zu dem älteren , das Kreuz Christi steht und wenig entfernt davon die chinesische

Menschen und den Menschen überhaupt ist auch im modernen China , Flagge mit den fünf Sternen, so ist dies ein Zeichen dafür, daß

--- ; Kommunismus und Christentum friedlich nebeneinander bestehen

') Erscheint als Aufsatz in erweiterter Form demnächst in der [ sollen. Die uralten Gedanken der Toleranz und Harmonie sind

Wissenschaftlichen Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena. auch im modernen China wach und lebendig.

Johann Heinrich August Ebrard (1818—

Von Wolfgang P h i

Die Monographie von Paul Jacobs über die Grundlinien der
Theologie J. H. A .Ebrards hat die Aufmerksamkeit neu auf diese
eigenartige Gestalt des 19. Jhdts. gelenkt1. Jacobs hat die fast
unbegreifliche LIniversalität Ebrards hervorgehoben2. Zu ergän-
Zen wäre in diesem Bilde wohl noch die Beschäftigung Ebrards
J"'t der Keltischen Welt. Die wichtigsten Veröffentlichungen sind
Wer 1862/63 der Aufsatz über die Culdeer (in Niedners Ztschr. f.
Hist. Theo!.); 1868 die metrische und gereimte Übersetzung des
Wnghal aus dem Ossian; 1870 das Handbuch der mittelgälischen
Sprache; 1873 das Buch über die Iroschottische Missionskirche;
1882 die Schrift über Bonifatius als den Zerstörer dieser Kirche
auf dem Kontinent. Die eigenartige Verflechtung der Ossian-
Begeisterung mit dem kirchengeschichtlichen Phänomen hat Ebrard
«elbst vom kirchengschichtlichen Interesse her begründet. Auch
seine in Wien erschienene, gälischc Grammatik soll nur die Beherrschung
des kirchlichen Alt-Irisch unterstützen:

..Ich überzeugte mich jedoch bald, daß bei der Schwierigkeit dieser
Sprache und der außerordentlichen Spärlichkeit ihrer fast nur aus Glos-

*) P.Jacobs: Wille und Wandlung 1955.
') I. a. O. 7.

1888) und die Christianisierung der Iren

1 i P p, Marburg/Lahn

sen und Fragmenten bestehenden Literatur eine Übung und Geläufigkeit
im Lesen sich nicht erlangen lasse, wenn man nicht zuvor mit einem
zugänglicheren Gliede des keltischen Sprachstammee sich gründlich bekannt
gemacht und darin Geläufigkeit erworben habe."3

Das Argument ist philologisch richtig. Trotzdem werden wir
die Faszination Ebrards durch den Ossian nicht nur aus diesem
Motiv ableiten dürfen. In seiner theologischen Anthropologie des
..Menschen als Wille" steht Ebrard in eigentümlicher Analogie
zu anderen isolierten Denkern des 19. Jhdts.4 Den existentiellen
Charakter dieses Willenskerns, der „ein ganzheitliches Phänomen
ist", gleichsam „das Leben schlechthin" werden wir nicht übersehen
dürfen5. Und es ist hier wohl deutlich, daß die „schwermütige
" Ossiandichtung (deren Echtheit E. entgegen allen schon
zu seiner Zeit auftretenden Anfechtungen immer vertreten hat)6

3) Hdb. d. mittelgälischen Sprache 1870, VII.

4) Vgl. W. Philipp: Das System Ed. Zellers u. d. Existenzmetaphysik
, NZSyTh 1960.

5) P. Jacob« a. a. O. 21.

e) Über Alter und Echtheit von Ossian's Gedichten; in: Ossian's
Finghai 1868, 124 ff.