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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

790

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Podczeck, Otto

Titel/Untertitel:

August Hermann Franckes Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts Der grosse

Rezensent:

Podczeck, Otto

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789

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

790

In Kap 3 („Organisatorische Umschichtungen zur Zeit der Kirchenausschüsse
") wird die Bedeutung der Kirchenausschußpolitik eingehend
gewürdigt, die Haltung der Deutschen Christen zu den Kirchenausschüssen
(3, 1) und anhand eines weiteren detaillierten Rundblickes der zunehmende
Zersetzungsprozeß der jetzt von Wilhelm Rehm geleiteten
RDC in den verschiedenen Gauen sowie der gleichzeitig erfolgende
Sammlungsprozeß aufgezeigt, der diese Splittergruppen der RDC 1936
im Führerring, im Führerkreis und im Bund für Deutsches Christentum
mit der KDC Lefflers zusammenführte. Ein Abschnitt über die ideologischen
Auseinandersetzungen zwischen RDC und KDC zur Zeit der
Kirchenausschüsse (3, 3) rundet das Kapitel von der ideologischen
Seite her ab.

Nach der Erörterung der Gründe, die das Scheitern der Kirchenausschüsse
bedingten (3,4), folgt in Kap. 4 („Die Entwicklung von
Hitlers Kirchenwahlerlaß bis zum Kriegsbeginn") zunächst die Darstellung
des „Wahlkampfes bis zum Aussetzen der Kirchenwahl" (4, 1).
Der „Begründung der Nationalkirchlichen Bewegung DC" (4, 2) durch
Verschmelzung der meisten im Bund für Deutsches Christentum mit
der KDC zusammengeschlossenen DC-Gruppen und der „Entwicklung
der Nationalkirchlichen Bewegung DC" bis 1939 (4,4) wird als Pendant
die weitere Geschichte der RDC (4, 3) gegenübergestellt. Die einen
zunehmenden Organisationsschwund erlebende RDC wurde nach Rüdetritt
ihres Leiters Rehm in „Luther-Deutsche" umbenannt und von
Dr. Petersmann in mehr arbeitsgemeinschaftliche Bahnen gelenkt (4,5).
Es wird gezeigt, wie die Nationalkirchler die Uniformierungspläne des
Reichskirchenministeriums im Sinne ihrer eigenen Intentionen benutzten
, auch andere Gruppen und Kirchengebiete nationalkirchlich zu
durchsetzen und neue kirchenpolitische Partner zu gewinnen. Die mit
der Godesberger Erklärung 1939 verbundenen Sammlungsbemühungen
(4, 6) legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Der letzte Abschnitt vor
der zusammenfassenden Würdigung gibt den „Stand der DC-Bewegun-
gen vor Kriegsbeginn" (4,7) wieder und vermittelt einen kurzen
Ausblick auf die Kriegszeit. Als Benutzungshilfsmittel enthält der
Anmerkungsteil u. a. Zeittafel, Namens-, Orts- und Sachregister sowie
einen Dokumenten-Anhang. Eine Drucklegung der Arbeit ist beabsichtigt
. —■>

Penzold, Friedrich-Karl: Der christliche Staat. Diss. Tübingen 1959.
147 S.

Die Arbeit soll ein Beitrag sein zur Auseinandersetzung über
Situationsethik und christliche Ge6ellschaftslehre. Die Institutionen als
Grundkategorien menschlichen Daseins sind theologisch angesprochen.

Die Lehre vom christlichen Staat ist im 19. Jahrhundert in hervorragender
Weise von Friedrich Julius Stahl (1802—1861) formuliert worden
, und zwar in Auseinandersetzung mit der Gesellschaftsauffassung
der Revolution. Stahl steht auf der Brücke zwischen dem Alten und dem
Neuen. Er versucht eine Konzeption zu entwerfen, die das bewährte
Alte mit dem notwendigen Neuen verbindet. Er ist kein konservativer
Doktrinär. Konservatismus ist ihm stetige Entwicklung.

Um die Lehre Stahls geschichtlich einzuordnen, erfolgt eine Gegenüberstellung
der zeitgenössischen Sozialphilosophen und Gesellschaftskritiker
Hegel, Kierkegaard, Marx, Donoso Cortes und Wichern.

Ausgangspunkt der Staatslehre Stahls ist der Mensch, der ehrfurchtsvoller
sein soll, da er ein .Datum' ist, das unter .Data" steht.
Hier zeigt sich schon in ganzer Tiefe der antirationalistische Charakter
6einer Lehre. Nur die Ehrfurcht vermag das riskierte Wesen Mensch zu
zügeln. Stahl sieht die Gefahren, denen der Mensch ausgesetzt ist, wenn
er enthemmt ist. Mit dieser Betonung der Ehrfurcht steht Stahl dem
Denken Goethes nahe.

Für Stahl ist der Ausgangspunkt aller Gemeinschaftsbildung das
geschichtlich gewachsene Volk. Stahl spricht vom .christlichen' Volk,
weil in ihm eine christliche .Lebenswürdigung' auf religiösem, sittlichem
und rechtlichem Gebiet herrscht. In der christlidien Lebenswürdigung
haben sich die Verhaltensweisen des Volkes stabilisiert, in ihr lebt 6ich
das christliche Volk selbst dar. Hier spricht der Soziologe Stahl.

Der sozialphilosophische Begriff des sittlichen Reiches 6tellt die Verbindung
her zwischen der Einzelexistenz und den Institutionen, die die
Gemeinexistenz gestalten. Der Mensch wird in seiner Doppelseitigkeit
als Einzelwesen und als Gemeinschaftswesen aufgefaßt. Einzelexistenz
und Gemeinexistenz unterliegen den im Sein vorliegenden sittlichen
Anforderungen, die vom christlichen Glauben her ihre tiefere Begründung
erfahren.

Die christliche Kirche soll nach Ansicht Stahls frei sein vom Staat,
aber Staat und Kirche sollen miteinander im Bunde stehen.

Stahl ist christlicher Gesetzgeber. Weil die Institutionen konstitutive
Bedeutung haben für das ausformbare Wesen Mensch, deshalb sind
sie ein theologisches Thema. Stahl sieht nicht auf den Menschen ,an sich'
und nicht auf die Institutionen .an sich', sondern auf den lebendigen
Prozeß zwischen menschlichem Antriebsgefüge und Umweltmaterial.
Die persönliche Entscheidung des Glaubens wird im Gesetz fixiert.

Christlicher Geist materialisiert sich in Rechtsformen. Stahls Anliegen ist
von einem Teil der modernen Soziologie aufgenommen worden. Sie hat
neu erkannt, daß die Menschheit nicht ohne Formung existiert. Die Institutionen
dienen der Kanalisation der menschlichen Verhaltensweisen, sie
erschließen damit dem Menschen die zu seiner geistigen und sittlichen
Höherentwicklung erforderliche Stabilität und Kontinuität. Die Erörterung
der Beziehung zwischen Glaube und Institution war zu Luthers
Zeit nicht spruchreif. Glaube und Institution verhalten sich für Luther
zueinander wie Evangelium und Gesetz.

Im Neuen Testament wird der Prozeß zwischen Institution und
Person gesehen (I. Kor. 12). Stabilität und Kontinuität sind formuliert.
Exegetische und soziologische Gründe fordern die Ablehnung aller abstrakten
Situationsethik, da sie den Menschen von seiner Formenwelt
.abstrahiert'. Konkrete Situationsethik ist zu bejahen, da sie den unmittelbaren
Zusammenhang von Mensch und Institution anerkennt.
Stahls Lehre ist unter gewissen Einschränkungen eine berechtigte Ergänzung
des lutherischen Ansatzes.

Podczeck, Otto: August Hermann Franckes Schrift über eine Reform
des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer
geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des
18. Jahrhunderts: „Der Große Aufsatz". Diss. Halle 1959. 51, X,
184 S.

Die Dissertation bringt die Neuedition der unter dem Titel:
„Großer Aufsatz" bekannten Schrift August Hermann Franckes aus dem
Jahre 1704, jener Schrift, die für den Halleschen Pietismus das bedeutet,
was für den Württembergi6chen Pietismus Speners „Pia desideria" sind.
Eine Einführung über die Entstehungsgeschichte der Schrift ist dem Text
vorangestellt. Die alte Edition — von Wilhelm Fries, Halle 1894 —
genügt nicht mehr den wissenschaftlichen Anforderungen an eine Edition
von Quellen zur neueren Geschichte. Die Hauptmängel der Fries-
6chen Edition sind darin zu sehen, daß Fries den vollen, ursprünglichen Text
von 1704 nicht verwendete bzw. rekonstruierte und die „Anrede..."
(das „Vorwort" Franckes, in dem er den Anlaß für seine Schrift „Freunden
und Gönnern" mitteilt) sowie das „Eigentliche Project. . ." (Vorschlag
zur Gründung einer Großhandelsgesellschaft, aus deren Einkünften
und Überschüssen Francke sein Werk finanzieren will) ausläßt.

Der Titel der Dissertation versucht Franckes Anliegen in seiner
Reform- und Programmschrift mit einem Satze zu sagen, wenn auch die
nichtssagende Bezeichnung „Großer Aufsatz" (von Gustav Kramer zuerst
verwendet) kaum mehr zu verdrängen sein wird. Francke nannte
sein „Universalprogramm" von 1704: „Offenhertzige und gründliche
Nachricht von der inneren Beschaffenheit und Wichtigkeit des Werdcs
des HErrn zu Halle im Hertzogthum Magdeburg, sowol wie es anitzo
stehet, als was unter dem fernem Segen Gottes darvon zu hoffen".
Doch gibt auch dieser Titel nicht das ganze Anliegen Franckes wieder,
das auf eine Verbesserung oder Aufhebung des „verderbten Zustandes,
in welchem nicht allein die Heydnische und andere Völcker, sondern
audi das so genannte Christen-Volck sich biß auf den heutigen Tag befindet
", zielt.

In der neuen Edition wurden alle z. Z. bekannten Manuskripte
bzw. Manuskriptteile verarbeitet. Der ursprüngliche Text von
1704 wurde wiederhergestellt (Fries bietet eine Mischung der Texte
von 1704, 1709 und der drei Texte von 1716), denn ein eigentliches
Original ist nicht mehr vorhanden. Selbst die Auffindung des Originals,
das 1719 in die Hände des Freiherrn von Canstein kam, könnte die
Edition nicht gefährden, da es höchstens orthographische Abweichungen
bringen dürfte. Alle nicht in das Jahr 1704 gehörenden Text-Versionen
werden im textkritisdien Apparat nach der Art der Ausgabe von Speners
„Pia desideria" (Kurt Aland, Kl. Texte für Vöries, u. Übungen 170,
Berlin 21955) geboten. In einem zweiten Apparat — sachliche Anmerkungen
— wird das Wichtigste zum Verständnis des Textes mitgeteilt:
Bibliographische Angaben zu den von Francke zitierten Büchern und
Manuskripten, biographische Angaben zu den von Francke genannten
Personen sowie Erläuterungen (besonders aus den „Fußstapfen .. .") zu
den von Francke erwähnten Sachen, die sein eigenes „Werk" betreffen.
Auf eine vollständige Bibliographie — sie müßte eine Bibliographie zum
Halleschen Pietismus sein — wurde verständlicherweise verzichtet, zumal
der Sachverständige die vorhandenen Einzelbibliographien zu den
im „Großen Aufsatz" genannten Themen kennt. Ebenso fehlt ein
eigentlicher „Kommentar". Ein solcher käme, wäre er im Rahmen einer
Dissertation möglich, bei dem zu kommentierenden Inhalt dieser
Franckeschrift einer neuen Darstellung der Geschichte des Halleschen
Pietismus gleich, wollte er nicht nur auf die — teilweise völlig überholte
— ältere Literatur zurückgreifen. Eine neue „Geschichte des Halleschen
Pietismus" zu schreiben, dürfte aber erst dann möglich sein,
wenn das Programm der Quellenpublikationen zu diesem Thema erheblich
weiter fortgeschritten sein wird (vgl. Kurt Aland, Die Annales
Hallenses ecclesiastici, in: WZ Halle, ges.-sprachwiss. Reihe 4, 1955,
S. 378 f.). _