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1960 Nr. 10

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Praktische Theologie

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

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gliedern eine Art Elementarunterricht zu geben über den Umbruch
, der Moderne seit etwa 120 Jahren durch die Technik. Der
Wandel wird erblickt in (S. 9) dem Zug „von der Seßhaftigkeit
zur mobilen Jobgesellschaft, von den gewachsenen zu den fabrizierten
Daseinsmitteln, vom personbezogenen Werk zur funktio-
nalisierten Teilarbeit, vom Feierabend zur leeren Freizeit, von
der Groß- zur Kleinfamilie und von der Familie als Produktions-,
Erziehungs- und Lebensgemeinschaft zur wachsenden Übernahme
dieser Leistungen durch den Staat. Behauptet wird (S. 11) dann
weiterhin, daß Wissenschaft und Technik Gabe des Christenglaubens
seien und daß wir kein Recht haben, die Wissenschaft
und Technik zu verachten (S. 19), bei aller Gefährdung des Menschen
, der den technischen Weg nun einmal beschreiten konnte
und mußte.

Im zweiten Teil (S. 24—74), „Der Osten und das Technische
Zeitalter", wird zunächst die Lehre des jungen Marx nach den
zuerst 1932 herausgegebenen Pariser Manuskripten dargestellt
und gewürdigt (in diesen Seiten dürfte die wertvollste Belehrung
liegen, die kirchliche Kreise in dieser Schrift erhalten), wenn ihm
freilich auch letztlich testiert wird, daß er „eine fanatische und
revolutionäre Utopie" (S. 38) verwirklichen will. Weiterhin
wird in Auswahl die Geschichte des Marxismus skizziert mit eingehenderer
Darstellung der Schrift von Stalin „Über den dialektischen
und historischen Materialismus" und der Kommunismus
als die „rote Gegenkirche" (S. 59) im Anschluß an eine katholische
Darstellung gekennzeichnet. Kommt bei der Darstellung
des jungen Marx eine gewisse Entdeckerfreude zum Vorschein,
so fällt die weitere Darstellung des Marxismus völlig in populäre
Propagandavorstellungen katholischer Herkunft zurück.
Schade!

Im dritten Teil (S. 76—113), „Der Westen und das Technische
Zeitalter" wird dargestellt, wie Technisierung und Automatisierung
den Menschen entmenschen und den „Westen, der
den Weg des Kommunismus nicht gehen will, vor die Frage
stellen, wie er diesen überpersönlichen Mächten gegenüber echte
menschliche Freiheit erringen und behaupten will. „Darum geht
es, um die freie Bereitschaft des Individuums, mit allen Kräften
des Herzens zu antworten auf den Ruf, der durch den anderen
Menschen an mich ergeht. So nur verwirklicht sich Freiheit. In dieser
Weise frei sein können wir aber nur als solche, die sich mit
den Nebenmenschen wissen in dem großen Seinszusammenhang,
den wir Schöpfung nennen. Darin soll diese Welt als Gottes
Schöpfung zu ihrem Ziel kommen, daß ein jedes Geschöpf ohne
Zwang das auslebt, worauf es angelegt ist: in der Bereitschaft für
die Mitgeschöpfe den Schöpfer zu verherrlichen, Abglanz seines
Schöpfertums zu sein. Und daß er diese Bestimmung für alle Geschöpfe
und vor der ganzen Schöpfung bewußt übernehme, macht
die Freiheit des Menschen aus" (S. 109). Von diesem Freiheitsbegriff
aus begreifen sich Sätze wie: „Wir vergegenwärtigten uns,
daß man unter dem kommunistischen System gerade da, wo die
Industrialisierung immer entschlossener durchgesetzt wird, mit
viel Idealismus zu großen Opfern bereit ist. Die tiefere Ursache
für die Konsumgier und Anpassungsbereitschaft der westlichen
Menschen liegt gewiß darin, daß ihnen ihre inhaltlose Freiheit
zum Schemen wurde. Dieses Gespenst, das an die Stelle der echten
Freiheit getreten ist, gibt den Menschen Ersatzformen einer
individuellen Freiheit, die sie als Erfüllung hinnehmen, ohne den
Selbstbetrug zu merken" (S. 112).

Der vierte Teil (S. 116—139), „Das Evangelium in dieser
Zeit", versucht auf die Verlegenheiten des Menschen in Ost und
West eine Antwort zu geben. „Weil Gott seine Welt nicht aufgibt
, darum dürfen auch wir uns ihr nicht versagen an der Stelle,
wo wir jetzt und hier stehen, angefochten von den Leitbildern
des Ostens und des Westens, aber zwischen Verzauberung und
Verzweiflung gerufen und gehalten..." (S. 120 f.). „Darum
kann die Hilfe auch nicht kommen durch irgendeine Änderung
eines Systems, sondern nur durch den, der in seiner Person die
Liebe ist: Jesus Christus" (S. 122). Die „sekundären Systeme,
die unser Dasein tragen und unser Menschsein gefährden", sind
für uns die „Mächte und Gewalten, die uns zum Segen oder zum
Fluch werden können" (127). Angesichts ihrer Macht darf geglaubt
werden: „Der Herr aber ist noch größer in der Höhe!"
(S. 228). Auch innerhalb der industriellen Welt ist dem besinnlichen
Christenmenschen Schöpfungserfahrung möglich, und die

Botschaft der neuen Schöpfung gestattet uns ein getrostes Wandern
zwischen Optimismus und Pessimismus im Sinn der lutherischen
getrosten Verzweiflung (S. 139).

So viel Schönes und Erquickendes in dem Büchlein auch gesagt
wird, so schätzenswert es ist, wenn eine so belesene und
ausgezeichnet die Lesefrüchte kombinierende Verfasserin wie
Frau Bourbeck den skizzenhaften Versuch macht, weite evangelische
Kreise mit diesem Grundproblem unserer Zeit vertraut zu
machen und die bisherige Diskussion in populärer Weise zusammenzufassen
—, es drängen sich drei Fragen auf:

1) Wird nicht der Umbruch der Technik auf dem Hintergrund
einer christlich-romantisch verklärten Vergangenheit gesehen
und darum auch verkürzt gezeichnet? „Damals? Das war
die Zeit der seßhaften Ordnungen, die mit dem Ackerbau begannen
und da6 Miteinanderleben der Menschen trugen und gestalteten
, das dann in den letzten zweitausend Jahren zu seiner
Eigentlichkeit kommen sollte durch die christliche Botschaft"
(S. 7).

2) Wird der — westliche — Leser nicht irregeführt, wenn
die kommunistische Welt, trotz allen redlichen Strebens nach
methodischer Liebe und Objektivität, das hoch anerkannt werden
muß, schließlich und letztlich dann doch als die „Gegenkirche
" beschrieben wird, die es — Gott Lob — im Westen nicht
gebe? Ist der Eindruck vermieden bzw. meint die Verf. etwa, daß
sich im „Westen" in ganz anderer Weise „Schöpfungsreste" erhalten
hätten als im Osten? Lehrt uns das Evangelium nicht
noch distanzierter zu reden und damit zu vermeiden, daß wir
Theologen kurzschlüssige Begründungen für ganz andere Frontbildungen
hüben und drüben liefern?

3) Kann man eigentlich auf die phänomenologisch erfaßten
Nöte des industriellen Zeitalters, die durch kein System im
Grund behoben werden könnten, nun das Evangelium als
Heilmittel empfehlen, selbstverständlich als geglaubtes und
befolgtes Evangelium? Fehlt da nicht ein ganzes weites Feld
von Zwischenerwägungen, die 6ich gerade Christen nicht
ersparen dürfen (und für die Theologen freilich nicht sachkundig
sind), bei denen sachlich und vernünftig nach der
rechten politisch-wirtschaftlichen Gestaltung des menschlichen
Zusammenlebens im technischen Zeitalter gefragt werden muß,
hoffentlich mit einer durch den Glauben befreiten und nüchternen
Vernunft? Das Büchlein aber vermeidet nicht den Schein (den die
Verf. am allerletzten will!), als ob der christliche Glaube nun auf
die Verlegenheiten in Ost und West hin den Anspruch erhöbe,
auf diese Verlegenheiten die Hilfe präsentieren zu können.

Naumburg/Saale Johannes Hamel

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