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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

784

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Scharfenberg, Joachim

Titel/Untertitel:

Johann Christoph Blumhardt und die kirchliche Seelsorge heute 1960

Rezensent:

Köberle, Adolf

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Seite 1

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783

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

784

Stammhirn ihren materiellen Apparat hat, erscheint als Sonderfall
eine6 umfassenden Hellsehens, wobei in statu incarnationis das
Gehirn als „Vorposten" des Übersinnlichen gelten muß (185).
Das Verhältnis der Raum-Zeit-Verfassung zum Jenseits verlangt
nach einer Klärung beim Phänomen der Vorschau, die für theologisches
Empfinden zu ungeschützt gelegentlich „prophetisch" genannt
wird. Als Kern der philosophischen Problematik hier schält
sich die Frage nach der Willensfreiheit heraus, die in Frage gestellt
zu sein scheint, wenn echte Vorschau vorliegt, die auf Annahme
einer umfassenden Vorbestimmtheit dränge. Ringger
möchte statt von Freiheit des Willens lieber von der Freiheit des
Ich sprechen, um die affektiven Quertreibereien eines chaotischen
Wollens als menschenunwürdig auszuschließen. Aber auch dann
noch geht die Rechnung nicht glatt auf. Die mitgeteilten eindrucksvollen
Fälle „weisen wahrscheinlich lediglich darauf hin,
daß der Blick des Sehers manchmal bloß bis zur Kreuzwegsituation
vordringt. Das nicht vorausgeschaute Endresultat dürfte in einem
transzendenten Sinn doch vorbestimmt sein" (37). Als weitere
philosophische Probleme seien genannt: Zufall und Schicksal,
Schlaf und Tod, Bewußtsein und Seele.

Wir glauben einen besonderen Hinweis auf ein schwer
drückendes seelsorgerliches Anliegen schuldig zu sein, — es betrifft
den Spuk, den der in das Erfahrungsmaterial Eingeweihte
schwerlich noch wird leugnen können. Zu seinem Verständnis
wird Eigenständiges herzugetragen, diesmal unter Zuhilfenahme
unseres Wissens vom Unbewußten. Aus Beziehungen des Todes
zum Schlaf scheine sich zu ergeben, „daß der Tod zwar eine weitgehende
Ausschaltung des Wachbewußtseins herbeiführt, nicht
aber des Unbewußten" (119). Unerledigtes unbewußtes und bewußtes
Geschehen scheint in den Todesschlaf hinübergenommen
werden zu können. Aber die Einschränkung ist bemerkenswert:
„Die Spukphänomene, ob personen- oder ortsgebunden, dokumentieren
sich ausnahmslos als Geschöpfe der triebhaft-archaischen
Schicht des Unbewußten" (124). Ringger kann sagen, daß sich
der Spuk im „Strandreich" des Jenseits ereigne. Er zeigt eine Verwandtschaft
mit dem Schock, und Ringger glaubt aus dem Material
nachweisen zu können, daß durch die Verstehenshilfe eines
Mitlebenden eine Einwirkung auf den Verstorbenen erfolgen
könne, die bewußtwerdend und damit befreiend wirke. Totenbräuche
, besonders aus dem Tibetanischen Totenbuch bekannte,
werden als Belege herangezogen. Dem ganzen Fragenkomplex ist
eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit gewidmet, was zu wissen
einigen in besonderer seelsorgerlicher Not Schwebenden nicht
unwichtig sein dürfte.

Gerade weil die Thematik des Buches überaus heikel ist, mag
sich der Rezensent der Pflicht der eigenen Stellungnahme nicht
entziehen. An den animistischen (telepathischen) Phänomenen
kann m. E. ein Kundiger nicht mehr zweifeln, zumal sie durch die
experimentelle Arbeit Rhines wissenschaftlich breit unterbaut
sind. Eine nicht ganz kleine und sicherlich schwer ins Gewicht
fallende Gruppe von Phänomenen ist bereits seit Mattiesen leichter
und befriedigender spiritistisch als animistisch zu erklären,
was durch das Buch Ringgers neu erwiesen wird. Die Behauptung
von der Schlüsselstellung der spiritistischen Phänomene für eine
umfassende Welt- und Menschendeutung wird noch umkämpft
bleiben; die Theologen mögen aufgefordert sein, sich in die
Kampfeszone zu begeben. Die Frage nach der Unsterblichkeit der
Seele muß frei von dogmatischer Voreingenommenheit geprüft
werden. Wir registrieren, daß Fritz Blanke unter dem Eindruck
der parapsychischen Forschung zur Bejahung der Unsterblichkeit
der Seele gekommen ist, ein einsamer Schwimmer gegen den
Strom! (in „Aussichten in das Leben der .zukünftigen Welt' / Tod,
Jenseits, Auferstehung in katholischer, orthodoxer und evangelischer
Sicht", Marburg 1959 = Ökumenische Texte und Studien
Heft 7, S. 25 ff.). Das letzte Wort kann hier u.E. noch nicht gesprochen
werden, weil die Wirkung von leib-seelischen Spaltungsvorgängen
im Sterben noch ungenügend erforscht ist und die
Möglichkeit bestehen dürfte, daß es sich bei Spukerscheinungen
nicht nur um immaterielle Geistwesen handelt.

Rostock Gottfried Holtz

Bischoff, A.: Sucht, Verlockung und Ethos.
Wege zum Menschen 12, i960 S. 175—185.

Grat ton, Henri: Methode phenomenologique et analyse existentielle
en Psychotherapie.

Sciences Ecclesiastiques 12, 1960 S. 205—227.
Löwe, Richard: Zur Krise der Dankbarkeit.

Pastoralblätter 100, 1960 S. 20—24.
Stuermann, Walter E., und Konstantin Geocaris: The Image of

Man — The Perspectives of Calvin and Freud.

Interpretation — A lournal of Bible and Theology 14, 1960 S. 28—42.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Scharfenberg, Joachim: Johann Christoph Blumhardt und die
kirchliche Seelsorge heute. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
[1959]. 123 S. gr. 8°. DM 14.70.

In einem Eingangskapitel „Hauptprobleme evangelischer
Seelsorge" wird an Hand eines geschichtlichen Überblicks deutlich
gemacht, wie sehr auch die Seelsorge in Mitleidenschaft gezogen
wurde durch die Vorgänge, die wir als Umformung des
Christentums durch den Geist der Neuzeit bezeichnen. Demgegenüber
möchte die Darstellung Blumhardts zurückrufen zu
einem Verständnis der Seelsorge, die dem biblischen Ganzheitsdenken
gerecht wird. Drei Kapitel (Das Vorspiel, Der Mensch
und die Mächte, Die Seelsorge als Kampf mit dämonischer Wirklichkeit
) schildern eindrucksvoll, wie Blumhardt durch das schwere
Ringen mit der Gottliebin Dittus zu einem Charismatiker der
Seelsorge zubereitet wurde. Dem Pfarrer in dem kleinen Schwarzwalddorf
Möttlingen ging neu auf, wie sehr der Mensch in dieser
Weltzeit der Herrschaft dämonischer Gewalten unterworfen ist,
wie sehr darum um den Menschen gekämpft werden muß und
wie der Sieg über die Anfechtung zuletzt allein möglich ist in der
Kraft, die der Christusname ausstrahlt. Bei allem satanologischen
Realismus wollte Blumhardt „dem Dämonischen doch nicht die
Ehre erweisen, daß es zum eigentlichen Gegenstand des Interesses
und der Betrachtung gemacht wird", es darf immer nur als Hintergrund
dienen für den, der zu seiner Überwindung in die Welt
kam.

Zu den Wegen und Zielen der Seelsorge rechnete Blumhardt
vor allem die Beichte und das Gebet. Dagegen lag ihm jede Art
von Bekehrungsfanatismus fern. Der Seelsorger muß warten können
, bis die Gottesstunde im Menschenleben schlägt. Weil
Gottes Heil den ganzen Menschen erfaßt, darum wird und muß
sich die Weseiüswandlung bis in die Leiblijchkeit hinein auswirken
. Doch wollte Bad Boll niemals eine Gebetsheilanstalt
sein. Immer sollte die Freiheit des Geistes Gottes bewahrt bleiben
, der gibt und versagt, wie es ihm gefällt. Blumhardts Seelsorge
durchbrach nicht nur das platonische Innerlichkeitsdenken,
er überwand auch den religiösen Individualismus, bei dem der
Fromme von sich selbst nicht loskommt. Das Ziel der Seelsorge
muß eschatologisch 6ein, daß der Mensch hineingenommen wird
in die große Reichserwartung. Wird ihm diese Blickrichtung zuteil
, dann bekommt er auch ein neues Verantwortungsgefühl für
den Nächsten, den man mitnehmen muß auf dem Weg. Es ist der
vorliegenden Studie gelungen, ein geschichtliches Phänomen in
neuer Weise zu erhellen und es fruchtbar zu machen für die uns
heute in der christlichen Gemeinde gestellte Aufgabe.

Tübingen Adolf Köberle

Bourbeck, Christine: Kommunismus. Frage an die Christen. Der

angefochtene Mensch des technischen Zeitalters in Ost und West.
Nürnberg: Laetare-Verlag 1957. 143 S. 8°. Kart. DM 3.80.

Der Obertitel — wohl vom Verlag vorgesetzt — erweckt
falsche Erwartungen. In Wirklichkeit will die Verfasserin dem
angefochtenen Menschen des technischen Zeitalters in Ost und
West in Form der skizzenhaften Zeichnung seiner ihn in seinem
Menschsein so bedrohenden Umwelt und der biblischen Besinnung
auf die Botschaft, die dieser Umwelt unendlich überlege"
ist, ein Stück weit raten, ihn trösten und mahnen. Die Art der
Ausführungen entspricht etwa Ansprachen und Vorträgen vor
interessierten Gemeindekreisen (Frauenhilfe, Jugendkreise»
Männergruppen).

Im ersten Teil (S. 6—22), „Das Technische Zeitalter", wird
versucht, traditionell denkenden und empfindenden Kirchen-