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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

781-783

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Ringger, Peter D.

Titel/Untertitel:

Das Weltbild der Parapsychologie 1960

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

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W. stellt fest: das Neue Testament überliefert uns kein
Sozialprogramm, auch kein System sozialethischer Prinzipien,
ßondern es verkündigt das Gebot der Liebe „in einer wahren
Fülle der Konkretionen ..., die ... immer neuer Auslegung ...
fähig sind" (82). D. h. die neutestamentliche Paränese ist in bestehende
Verhältnisse hineingesprochen, ohne sie theologisch zu
rechtfertigen und ohne sie theologisch zu kritisieren (Sklaverei!)-
Mit Recht zitiert W. zweimal (93.112) zustimmend CA 16,5
(in talibus ordinationibus exercere caritatem). Wenn das so ist,
wird man aber in „Fragen der theologischen Grundlegung der
evangelischen Soziallehre und Sozialethik der Gegenwart" (11)
noch mehr kritische Zurückhaltung üben müssen, als W. es
ohnehin schon tut. Z. B. ist der Satz: Die Kirche muß „soziale
Forderungen, kritische wie positive, entwickeln" (66), zumindest
mißverständlich. Denkt W. hierbei an die weltliche
Christenheit oder an die kirchlichen Amtsträger, womöglich an
die gottesdienstliche Verkündigung? Im zweiten Fall wäre ein
unfruchtbarer (und durchaus nicht „barmherziger") Dilettantismus
zu befürchten, wie das katholische Sozialprogramm zeigt.
Ebenso ist die Kirche in der Gefahr, ihre Zuständigkeit zu überschreiten
, wenn sie es für unmöglich erklärt, „an die perfekte
Gesellschaft", „in der alle sozialen Gegensätze beseitigt" wären,
„zu glauben" (168). Die Beseitigung der sozialen Gegensätze
ist nun mal nicht eine Glaubensfrage. Auch ist der häufige Gebrauch
, den W. von der Kategorie des „Dämonischen" (151. 170.
187 u. ö.) macht, bedenklich, weil dadurch einer Entschärfung
des Gewissens durch Abwälzung der Schuld auf anonyme Mächte
Vorschub geleistet wird. Vor allem ist die Anwendung von
Apokalypse 13 auf den Staat problematisch, zumal angesichts
der reformatorischen Antichristauffassung.

Berichtigungen: S. 81- stelle Zeile 32 und 33 um. S. 334: Anmerkungen
zu 20 fehlen.

Halle/Saale Erdmann Schott

Becker, Walter: Recht und Ethik im Wandel?
Deutsches Pfarrerblatt 60, 1960 S. 250—251.

C o 11 m e r, Paul: Die Fürsorge in der gewandelten Welt von heute.
Die Innere Mission 50, 1960 S. 67—79.

G r i n, Edmund: De Calvin ä Charles Secretan — Une etape de la
pensee economique et sociale protestante.
Theologische Zeitsdirift 16, 1960 S. 194—215.

Kap t ein, Roelof: Die konstituierenden Faktoren der Ehe in biblischer
Sicht.

Wege zum Menschen 12, 1960 S. 1—8.
M o 1 t m a n n, Jürgen: Die Wahrnehmung der Geschichte in der christlichen
Sozialethik.

Evangelische Theologie 20, 1960 S. 263—287.
Pohl, Bruno: Freizeit in Utopia.

Monatschrift für Pastoraltheologie 49, 1960 S. 137—152.
Renkewitz, Heinz: „Ideal-Leitbild-Nachfolge".

Wege zum Menschen 12, 1960 S. 193—200.
Wr e n - L e w i s, John: Christian Morality and the Idea of a Cosmic

Fall.

The Expository Times 71, 1960 S. 204—206.

PSYCHOLOGIE WD BEL1G10NSPSYCH0WG1E

Ringger, Peter: Das Weltbild der Parapsychologie. Mit einem Vorwort
von G. Frei. Olten-Freiburg/Br.: Walter-Verlag [1959]. 223 S.
8°. Lw. DM 14.80.

Der Parapsychologie ist es bisher nicht gelungen, einen größeren
Kreis von Theologen für sich zu interessieren. Gründe dafür
dürften in der Übermacht des immanentistisch-naturwissenschaftlichen
Denkens der Neuzeit zu suchen 6ein, darum auch in
der Verfemung des magisch-mystischen Denkens, wie es bis zum
Ausgang der Romantik viele Gebildete beherrschte, und endlich
'n einer dogmatischen Prinzipientreue, die besonders seit dem
zweiten Drittel unseres Jahrhunderts die Annahme einer unsterblichen
Seele bekämpft. Die Parapsychologie hat gegen die tiefgestaffelte
gegnerische Front einen schweren Stand. Doch 6ollte
eMe möglichst unvoreingenommene kritische Prüfung der vorgelegten
Tatbestände und Theorien möglich 6ein. Ein Geschlecht,
das die Entdeckung des Unbewußten, eine tiefgreifende Umgestaltung
des naturwissenschaftlichen und damit auch des geistigen
Weltbildes und im Versuch der Entmythologisierung die
Begegnung von evangelischer Botschaft und wissenschaftlichem
Denken in einer veränderten Welt erlebt, darf sich die Ablehnung
der Parapsychologie nur aus Gefühlsgründen nicht gestatten.

Man kann das Buch Ringgers, der als Präsident der Schweizer
Parapsychologischen Gesellschaft und Herausgeber der Zeitschrift
„Neue Wissenschaft" als Mann profunder Kenntnisse ausgewiesen
ist, nicht als ein Lehrbuch der Parapsychologie bezeichnen,
denn dazu setzt es zu viele elementare Kenntnisse voraus. Es ist
ein Beitrag zur Diskussion um hauptsächliche und entscheidende
Probleme. Damit ist wohl auch schon gesagt, daß Fragen, die anderen
sehr wichtig sein können, unter Umständen ausgeklammert
sind, weil der Verf. entsprechend seinen Intentionen auswählt.
So ist die Theorie der Synchronizität von C. G. Jung in einer
Kürze behandelt, die einem Übergehen gleichkommt, sicherlich
bona fide, weil sich der Verf. zu ihr in der „Neuen Wissenschaft"
bereits geäußert hat. Aber wer wie unsereiner die Ausführungen
dort nicht kennt und nicht vor Augen bekommen kann, bedauert
die Lücke. Auch das Problem der Besessenheit wird übergangen,
um ein zweites Beispiel zu nennen. Wie sehr es sich im Buch um
einen Diskussionsbeitrag handelt, bestätigt 6chon die Obacht auf
die sprachliche Form, die ein Höchstmaß von sprachlicher Vorsicht
verrät. Konjunktive, Fragen, Wörter wie „wahrscheinlich",
„möglich", „vielleicht" übersäen die Seiten. Den Berichten über
Vorfälle und Erscheinungen fällt selbstverständlich eine Hauptrolle
in der Diskussion und Beweisführung zu. Doch wird mit
ihnen sparsam umgegangen; man hätte im Interesse der weniger
informierten Leser einen reicheren Gebrauch wünschen können.
Aber wer den zermürbenden Kampf um die Frage der zureichenden
Beglaubigung kennt, versteht das Maßhalten. Jedenfalls wird
an allen entscheidenden Punkten die Theorie durch verantwortlich
ausgewählte Berichte untermauert, oft durch 6olche aus der
letzten Vergangenheit, die man in den älteren Werken noch
nicht finden konnte.

In einem Buch, das als Diskussionsbeitrag zu charakterisieren
war, ist die Frage nach dem Standort des Sprechers wichtiger
als die nach den behandelten Themen. Ringger nimmt, wenn ich
recht sehe, den gleichen Standpunkt ein wie vor ihm Emil Mattie-
sen, der sich der höchsten Wertschätzung erfreut: die animistische
und spiritistische Schule ständen nicht in einem Verhältnis des
Gegensatzes, sondern der Ergänzung, ein Großteil der Erscheinungen
möchte animistisch zu erklären sein, ein beachtlicher Rest
aber nur spiritistisch. „Ergänzung" ist nicht im Sinn einer gleichberechtigten
Nebenordnung, sondern einer gestaffelten Rangordnung
zu verstehen, in der die spiritistischen Phänomene die
Spitze bilden, weil sich durch sie eine allumfassende immaterielle
Welt kundgibt, in die auch die animistisch zu deutenden Phänomene
eingeordnet sind. Die Phänomene insgesamt sind Zeugnis
des mysterium conjunetionis, also der Einheit des Kosmos und
des Anschlusses an ihn, dessen Kern und Wesen immaterielle
Geistigkeit ist. Die Weltschau ist antimaterialistisch in letzter
Schärfe. Von daher verteht sich u. a., daß vom leiblichen Menschen
als inkarniertem Wesen gesprochen wird. Die anthropologische
Gesamtschau verdankt viel E. Dacque, J. v. Uexküll, H.
Fritsche, am meisten aber wohl Plato. Der Mensch als „Erstgeborener
" der Schöpfung ist die Entelechie des Schöpfungswerkes
, weswegen die Tierseele mit H. Fritsche die „abgeirrte
Geschwisterseele" genannt wird (73).

Der schockierte Leser wird fragen, ob Beweismaterial für
solche Thesen in die Diskussion geworfen werden kann. Nach
Ringger durchaus! Das Verhalten der Paraphänomene zu Raum,
Zeit, Kausalität und Materie, das in Kap. III diskutiert wird,
sprenge das immanentistisch - naturwissenschaftliche Weltbild.
Noch schwereres Gewicht fällt auf die Phänomene des Spuks, soweit
sie nicht animistisch erklärbar sind, der Sterbebettvisionen
und der „Exkursionen" aus dem Leib in periculo mortis. Die
Phänomene erzwängen die Postulierung eines mehr als vier-
dimensionalen „Raumes", d. h. eines Seins unter Aufhebung von
Raum, Zeit, Leiblichkeit und Kausalität, also wohl einer reinen,
d. h. jenseitigen Geistigkeit. Im Vorfeld verbleiben Erörterungen
über das Tier im Bann des Okkulten.

Der Verf. empfindet deutlich, daß philosophische Fragen von
großem Gewicht auf ihn zukommen, und es ehrt ihn, daß er in
Auseinandersetzung mit ihnen eintritt. Die Erinnerung, die im