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1960 Nr. 1

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 1

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in deren Beurteilung zu ganz entgegengesetzten Konsequenzen."
Luther findet in der „Vorausbestimmung der Weltgeschehnisse
Trost und gerade das (im Sinne Kohelets) servum arbitrium
ist ihm in Wirklichkeit das freie" (98). „Beim Prediger wird aus
der Erkenntnis vom unethischen Charakter der Wirklichkeit als
Schlußfolgerung zuletzt eine Anklage gegen Gott abgeleitet.
Bei Luther aber führt die Erkenntnis der abgründig und Wurzel -
haft bösen Welt niemals zu einer Anklage gegen Gott, sondern
nur zur Anklage gegen den Menschen" (99).'

Dieses Ineinander von historischer Fehlinterpretation und
sachlicher Deutung, das zur Überwindung der skeptischen Positionen
des Predigers führt, wird dann ausführlich zur Darstellung
gebracht. Zunächst kommen die hermeneutischen Voraussetzungen
Luthers, sein Verständnis des Alten Testaments,
Christus im Alten Testament, die Gestalt Salomos, das Mißverständnis
, in Kohelet Salomo als Verfasser zu sehen, die
„Theologie der Wunderleute" (107) (wie Wölfel Luthers Geschichtstheologie
in bezug auf die „Wundermänner" nennt) und
Luthers Vorverständnis des Predigers zur Klärung. Hier, wie
auch im Anhang (241—266), der sich mit „Kontinuität und Entwicklung
in der Kohelet-Auffassung Luthers" (von 1513 bis zur
Herausgabe der Vorlesung durch Freunde 1532) befaßt, ist Wölfel
ganz in seinem Element als Historiker. Einleitungsfragen,
Einzelheiten der historischen Zusammenhänge zur Verwendung
von Einzelstellen (bes. wichtig werden Pred. 7,21; 9, 1; 11, 3)
und der äußeren Umstände der Vorlesung, Luther als Exeget im
Hörsaal (vgl. 264 f.) und mehr dergleichen wird anschaulich und
zuverlässig erörtert. Aber den wichtigeren Eindruck gewinnt man
von den mehr systematisch-theologisch anmutenden Kapiteln 2
bis 4: „Verlust und Neubegründung des Menschseins"; „Die
Wiedergewinnung Gottes"; „Ethik als Freiheit zur Welt".

Der Verlust des Menschseins vollzieht sich unter dem Regnum
vanitatis. Die Welt ist der Ort der Eitelkeit. War dem Prediger das
Tun eitel, so hat Luther „den der Eitelkeit eigenen Ort entdeckt", es
ist das menschliche Herz selber. „Nicht das Tun ist nichtig, sondern der
Täter ist eitel" (120). Ihr Wesen ist nach Luther ein „appetitus rerum
novarum", ein „Aus-sein-auf" (125). Die Neuwerdung des Menschseins
geschieht unter dem Regnum Christi, in der Rechtfertigung und Renovation
, schafft das Cor pacatum und ist „eschatologische Existenz" im
Anbruch. — Die „anthropozentrische Verkrampfung" bei Kohelet hatte
den Verlust Gottes und seiner Welt zur Folge, die „Lösung des personalen
Problems" (durch die Rechtfertigung) bringt die „Wiedergewinnung
Gottes und eine neue Sicht des gesamten Kosmos" (170). Hier
kommt W. auf die Probleme der Gotteslehre zu sprechen, in besonderer
Hinsicht auf sein Wirken als „Weltregent", in seinem opus alienum, als
der Richter, in bezug auf den Menschen, auf die Probleme der VerStockung
und der Glaubensgewißheit.

Es ist erstaunlich, was alles in der Koheletvorlesung Luthers
enthalten ist, der Hauptquelle von Wölfeis Lutherintei-
pretation (= WA 20, 1—203). Immer mehr wird aber auch sichtbar
, was diese Theologie als Antwort auf die so besonders skeptischen
Fragen unseres skeptischen Zeitalters bedeutet. Wölfel
greift hier sowohl über die Vorlesung als auch über die Interpretation
Luthers hinaus. Das 4. Kapitel „Ethik als Freiheit zur
Welt" (196—238) enthält mehrere exkursartige Ausführungen
und Anmerkungen über Spezialthemen der Lutherforschung: Zur
„Existenzänderung" und Korrelation von Glaube und Werk
(197 f.), zum rechten Usus/uti „in der dialektischen Distanz des
Haben-als-hätte-man-nicht" (202 ff.), „zur positiven Wertung
der Vernunft hinsichtlich ihrer sachbezogenen Seite" (209 ff.:
vgl. zur Aequitas 225 ff.: „Beispiele der Weisheit"; „Gedanken
zur Jugenderziehung", 232—34, „Zu Obrigkeit und Widerstand",
234-38). Im 4. Kapitel werden zur endgültigen Stellungnahme
auch die schon früher (188. 176) behandelten Themen „Gesetz
und Evangelium" und „Zwei-Reiche-Lehre" aufgegriffen (Exkurse
I u. II, 213 ff.). Die Hauptgedanken dürften aber in den
„Prinzipien des Handelns" (196-216: Berufung zum Beruf; „Der
Mensch als Hüter der Schöpfung" unter dem Grundsatz der
„Sachlichkeit" als ethischem Grundbegriff - hier vermissen wir in
der Lit. den gleichnamigen Beitrag von R. Hermann, ZsystTh 5,
1928, S. 250-312) und in „Bewährung des Glaubens in der Anfechtung
" zu suchen sein (217-225: „Alter und Neuer Mensch";
„Die Situation der Anfechtung"; „Ethik des Beharrens", letztere
als Handeln mit dem Kreuz vor Augen, „kein Puppenspiel ohne

innere Bewegung, sondern... ein Geschehen voll Schmerz und
Freude" (224)). - Mit der Kraft „seines glaubenden Verstehens"
vermag Luther „die großen Fragen und Nöte der Menschheit zu
durchleuchten" — vor denen Kohelet in auswegloser Enge gleich
der modernen Welt „dem Verzweifeln nahe ist" —, nicht als
„Kraftheros", sondern weil ihm durch die Gnade Gottes die
Pforte dazu aufgetan ist (239).

Wenngleich die Koheletdeutung (vollendete Skepsis!) noch
Fragen, z. B. Selbstverständnis im Kanon, offen läßt, so scheint
mir der Beitrag zur Lutherforschung auf richtigem Pfade zu sein:
Luthers „Spiritus sanctus non est scepticus" ist angesichts der
Simul-Struktur des Menschen im Kampf zwischen altem, skeptischen
Adam und neuem, glaubenden Sein der Kernsatz für die
Wiedergewinnung Gottes und für die Befähigung, am Aufbau
seiner Welt mitzuarbeiten in sinnvoller Arbeit (240. 170. 196).

Eine Korrektur: Lit. Vz. Nr. 194: Im Titel meines Aufsatzes steht
„Augustinismus" statt „Katholizismus".

Greifswald Horst Ii ei n tk e r

H e c k e 1, Martin: Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger
Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation.
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rcchtsgeschichte 76, 1959 S. 14]
bis 248.

K n o k e, Walther: Sdiwenckfelds Sakramentsverständnis.

Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte XI, 1959 S. 314—327.
Knolle, Theodor: Legendäre Luther-Worte

Luther — Mitteilungen der Luthergcsellschaft 1959 S. 114—120.
Molnar, E. C. S.: The Catholicity of the Utraquist Church of

Bohemia.

Anglican Theological Review 41, 1959 S. 260—270.
M ü 1 h a u p t, Erwin: Luther und Calvin (Eine Jubiläumsbetrachtung).
Luther — Mitteilungen der Luthergesellschaft 1959 S. 97—113.

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Leube, Martin, D. Dr.: Das Tübinger Stift 1770—1950. Geschichte
des Tübinger Stifts. Stuttgart: Steinkopf 1954. VIII, 732 S. gr. s".
Lw. DM 15.-.

Mit diesem stattlichen Band hat Verf. sein umfangreiches
Werk „Die Geschichte des Tübinger Stifts" abgeschlossen. Vorausgehend
sind drei Teilbände erschienen: 1. Teil, 16. und 17.
Jahrh., Stuttgart 1921, 244 S.; 2. Teil, 18. Jahrh. (1690-1770).
Stuttgart 1930, 349 S.; 3. Teil, Von 1770 bis zur Gegenwart.
Stuttgart 1936, 408 S. Der abschließende Band ist vom Verf. auf
der Rückseite des Titelblatts als „die erweiterte Bearbeitung der
Geschichte des Tübinger Stifts, dritter Teil (Stuttgart 1936)" bezeichnet
. Eine solche empfand der Verf. als notwendig, weil der
dritte Teil seinerzeit, wenn irgend möglich, zur Feier des 400-
jährigen Bestehens des Stifts (Sommer 1936) hatte erscheinen sollen
, jedoch bis zu diesem Termin die Ausarbeitung „in der Hauptsache
auf die Zeit bis 1835" sich hatte beschränken müssen, und
bis zur Gegenwart es nur möglich war, „einige Linien zu ziehen
und ein zusammenfassendes Schlußwort" zu geben. Was für 1936
zu leisten dem Verf. nicht mehr möglich war, wird nun in dem
1954 erschienenen abschließenden Band nachgeholt, und die
Darstellung wird bis zum Jahr 1950 fortgeführt. Sie ist in drei
große Abschnitte gegliedert. Erster Abschnitt: „Die
Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert (1770-1815)."
Nadi der Umreißung des „geschichtlichen Rahmens" widmet Verf.
ein besonderes Kapitel dem „Herzog Carl Eugen und seiner Einwirkung
auf das Stift bis 1787", beschreibt dann ausführlich
„Das Jahrzehnt der Reform 1788-1797", vor allem, wie unter den
neuen Statuten für das Stift von 1793 und dann unter Einwirkung
der französischen Revolution das Leben im Stift sich gestaltete,
und wie „bevorzugte Geister" (ein G. J. Planck, L. T. Spittler,
G. D. Hartmann, ein Jahrzehnt später der zur Pairswürde in
Frankreich erhobene Reinhard, wieder wenige Jahre später Hegel,
Hölderlin, Schelling und ihre Freunde im Stift) mit dem Stift und
seinem Geist sidi auseinandersetzten. Den Schluß dieses ersten
Abschnitts bildet die Zeit unter Herzog Friedrich II. (dem nachmaligen
König), charakterisiert durch den Antagonismus zwischen
der absolutistischen Strenge, mit der dieser Monarch auch das