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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

769-771

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Zwicker, Heinz

Titel/Untertitel:

Goethe, Wesen und Glaube 1960

Rezensent:

Emmel, Hildegard

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769

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

770

Krüger, Walther: Walter Kraft.

Musik und Kirche 30. 1960 S. 148—153.
Lewis, Elaine T.: Hymn Translating.

The Bible Translator 11, 1960 S. 49—68.
Müller-Schwefe, Hans - Rudolf: Bachs Kantaten als Auslegung

des Wortes Gottes.

Musik und Kirche 30, 1960 S. 81—94.
R ü t h y, Albert Emil: Bemerkungen und Erwägungen zu den alt-
katholischen Liturgien (Fortsetzung).

Internationale Kirchliche Zeitschrift 50, 1960 S. 93—106.
S c h e y 11, Siegfried: Musik im Getto. Soziologischer Kommentar zur

modernen evangelischen Kirchenmusik.

Musik und Kirche 30, 1960 S. 107—113.
Schnitzler, Theodor: Eucharistie in der Geschichte. Ein kirchen-

und liturgiegeschichtliches Werkbuch. 2. Aufl. Köln: Bachem [i960].

153 S. 8°. Kart. DM 3.80.

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Zwicker, Heinz: Goethe, Wesen und Glaube. Bern: Haupt [1959].
211 S., 1 Porträt gr. 8°. Lw. sfr. / DM 16.80.

Das vorliegende Buch versetzt den Rezensenten in Verlegenheit
. Es ist Ausdruck ehrlicher Bemühung und großer Belesenheit
, zeugt aber zugleich von einer so überraschenden Unerfahren-
heit in der Handhabung wissenschaftlicher Methode, daß es dem
Rezensenten peinlich ist, es in einer wissenschaftlichen Zeitschrift
zu besprechen.

Wenn der Verfasser im allgemeinen sachlich Richtiges über
Goethe — „Wesen und Glaube" — ausführt, 60 bezeichnet diese
Tatsache den im Augenblick aufs Ganze gesehen einheitlichen
Stand der Goetheforschung, die der Verfasser verarbeitete.
Erfreulich ist, daß er, obwohl er auch eine Reihe von älteren Arbeiten
auswertete, nicht ein idealistisch-optimistisches Goethebild
zeichnet, sondern auf die „Schatten im Erbkreis" (Überschrift von
Kap. II), die „Bedrohte Jugend" (Überschrift von Kap. III) und
das „Leiden am Dasein" (Überschrift von Kap. IV) hinweist und
von hier aus die Lebcnsleistung Goethes als stets neu gewonnene
Meisterung schwer erfahrener Not begreift, einer Daseinsnot, die
Goethe im Alter besser zu verdecken und vor der Umwelt zu
verbergen wußte als in jüngeren Jahren (XIV). Auch in den Kapiteln
, die Goethes „Begegnung mit dem Pietismus" (IV), sein
•Verhältnis zu den Kirchen" (IX) und seine persönlichen
Glaubensvorstellungen (X; XII; XV) behandeln, wird das in der
Goetheforschung Erarbeitete mit Einsicht referiert. Das Gleiche
kann auch für die Teile gelten, die sich mit Goethes Wesen,
seiner persönlichen menschlichen Eigenart befassen.

Nicht begreiflich ist jedoch bei all dem, wie der Verfasser
die „tiefe Überzeugung" haben kann, „des Dichters Not, Lebenskampf
, Erkenntnisweise, Weltanschauung, Werk, Weisheit,
Glaube und Gottvertrauen sei auch für die künftige Entwicklung
einer neuen Theologie von ernster, richtungweisender Bedeutung
" (S. 9). Die gelegentlichen Ausfälle gegen Karl Barth wirken
nur als persönliche Angriffe (S. 112; 121; 137), ändern aber
nichts an der Tatsache, daß Zwicker in Goethe eine h i s t o r i -
* c h e Erscheinung behandelt, die weder gegen die evangelische
Rheologie verteidigt zu werden braucht, noch in den Dienst einer
'-neuen Theologie" gestellt werden kann. Im übrigen 6ei dem
künftigen Benutzer des Buches mit einer Stellenangabe gedient:
?uf Seite 112 bezieht sich Zwicker auf: Karl Barth, Die kirchliche
Dogmatik, III, 2, S. 286 f.

Die Unfruchtbarkeit der Diskussion, in die Zwickers Buch
'Uhren könnte, leitet sich aus der Unzulänglichkeit seiner Arbeitsweise
her. Von der Überzeugung ausgehend, daß Goethe6 Leben
wichtiger sei als sein Werk, — „Uns dünkt, mit Bielschowsky,
Se.!n Leben sei das gehaltreichste, anziehendste, bewundernswürdigste
unter allen seinen Werken" (S. 11), — von dieser Überzeugung
her läßt Zwicker Goethes Werke in eigenartiger Weise
zurücktreten: Er zitiert Goethe nicht nach einer Goetheausgabe
(ein einziges Mal erscheint in einer Fußnote eine Angabe nach
der „Sophien-Ausgabe, S. 154), sondern, von Einzelstellen und
Versen abgesehen, die ohne Angabe ihrer Herkunft erscheinen,

werden alle Goethezitite nach Werken der Sekundärliteratur gebracht
. Dies bedeutet, daß in Zwickers Buch als Stellenangabe
für ein durch Anführungsstriche gekennzeichnetes Goethewort
die Seite gilt, auf der es Bielschowsky, Fairly, Vietor, Spranger,
Muschg oder ein anderer zitiert. Auf diese Weise wird z. B.
„Dichtung und Wahrheit" sowohl nach Bielschowsky wie nach
Carus wie nach Barker Fairly zitiert. Wenn schon der Rezensent
gestehen muß, daß er sich außer Stande sieht, den Zitaten
nachzugehen, weil der Besitz mehrerer Goetheausgaben in solcher
Situation ja unwesentlich geworden ist und er ständig sämtliche
von Zwicker benutzten Werke der Sekundärliteratur heranziehen
müßte (es sind immerhin 53 Nummern im Literaturverzeichnis
), wie soll der Leßer, an den das Buch 6ich richtet —
und es kann nur an einen nicht in der Fachwissenschaft stehenden
Leser gerichtet sein — wie soll er zu den echten Goethestellen
gelangen? Daß er sie nachschlüge, müßte ihm empfohlen
werden, zumal Zwicker nicht sehr sorgfältig zitiert. Sowohl
Goethestellen wie Zitate aus der Sekundärliteratur erscheinen, —
wie Stichproben ergaben, — mitunter abgewandelt. So ersetzt
Zwicker in den angeführten Stellen aus Friedrich Gundolfs
Goethe-Buch die Fremdwörter durch deutsche Wörter: statt
„Symbole" läßt er Gundolf „Gleichnisse" sagen, 6tatt „momentan
" lieber „augenblicklich" (S. 10). Gleichfalls nicht als
einfache Schreib- oder Druckfehler können Ungenauigkeiten
angesehen werden, die den Versrhythmus verderben: Die Verse
Faust II, 11745 ff. zitiert Zwicker (übrigens nach sich selbst:
Zwicker, Heinz, Reich Gottes, Nachfolge und Neuschöpfung,
1948, S. 203):

„Was euch nicht angehört,
das müßt ihr meiden;
was euch das Innerste zerstört,
dürft ihr nicht leiden" (S. 84).

Statt:

„Was euch nicht angehört.
Müsset ihr meiden,
Was euch das Innre stört,
Dürft ihr nicht leiden".
Mit dem Vers ist der Inhalt geändert; ,das Innerste zerstören
' und ,das Innre stören' bedeutet sehr Verschiedenes.

Daß Zwicker die Zitate bei der Drucklegung nicht mit dem
Original verglichen hat, geht daraus hervor, daß er Goetheverse
Schiller zusprechen kann. Das VII. Kapitel (Überschrift: „Beschränkung
, Entsagung, Stille") beginnt:

Von Goethes größtem und bedeutendstem Freunde, Friedrich
Schiller, stammt das Gedicht:

,So ist's mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muß sich zusammenraffen.
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.'

Diese Lehre, Stimmung und Lebenshaltung ist, in ihrer männlichen
Härte, kraftvollen Zielsicherheit und unerbittlichen
Strenge für Schiller äußerst bezeichnend..." (S. 80).

Die angeführten Verse aber sind die beiden letzten Strophen
de6 bekannten Sonettes von Goethe: „Natur und Kunst, sie
scheinen sich zu fliehen . . .". Sie stehen als 6olche durchaus richtig
am Anfang dieses Kapitels. Zwickers Ausführungen, inwiefern
sich Goethes Gesamthaltung von der in jenen Versen ausgesprochenen
Meinung unterscheidet, scheinen daher überflüssig
zu sein: „. . . bei Goethe war die Gesamthaltung weniger schroff
und starr, etwas milder, ausgeglichener, beweglicher, reifer,
freier, wie für das aufmerksame Ohr schon aus der, im Vergleich
zu den Gedichten, leicht veränderten Ausdrucksweise unserer
Darstellung einigermaßen hervorgeht" (S. 81). Dennoch spricht
Zwicker hier etwas aus, was er bei sorgsamerer Arbeitsweise sehr
wohl hätte vorbringen können. Erich Trunz sagt in der Anmerkung
zu jenem Sonett (Hamburger Goethe-Ausgabe, Bd. 1,
S. 5 29): „Die Schlußzeilen des Sonetts sind durchaus Goetheschen
Geistes, aber sie hätten wohl ohne die Gespräche mit Schiller
nicht diese philosophisch-strenge und zugleich rhetorisch-glanzvolle
Formulierung erhalten". Bei einer solchen Gelegenheit