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1960 Nr. 1

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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53 Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 1 54

24 f.). Auf Sigune trifft in besonderem Maße die Beobachtung
Scfawieterings (Zs. f. d. A. 81. 60) zu, daß „die triuwe göttlicher
Liebe in menschliche Gesinnung hineingenommen und menschliche
triuwe als Opfer, Sühne, Barmherzigkeit, Teilhabe am Leiden
des andern auf die triuwe am Kreuz bezogen ist". Daß Gottes
triwe der weride ie heile bot (P. 119,24), hatte die Mutter
ßchon den Knaben Parzival gelehrt. Der aber hatte dies triuwe-
Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen in lehnrechtlichem
Sinne mißverstanden und mußte sich die metaphorische Bedeutung
erst von Trevrizent aufschließen lassen. Auf Gottes Liebe
(triuwe P. 466, 12 = minne 466, 9) gibt es keinen Anspruch,
6ie läßt 6ich nicht verdienen, 6ie ist frei schenkende Gnade, die
dem schuldigen äne riuwe versagt bleibt und nur dem bußfertigen
Sünder zuteil wird (P. 466, 11 ff.). Durch Christi Opfertod
am Kreuz hat Gott 6eine Liebe zu den Menschenkindern
(= triuwe P. 113, 20 ff.; 448, 10 ff.; 465, 9 f.) offenbar gemacht
und diese ermahnt, nun auch ihrerseits gein got mit
triwenzu leben (P. 499, 17): der toui sol leren triuwe, sit
unser e diu niuwe nach Krisle wart genennet: an Kriste
ist triwe erkennet (P. 752, 27 ff.). Und von dieser göttlichen
Liebe muß nach Wolframs Überzeugung auch im irdischen Bereich,
im Verhältnis zum Mitmenschen etwas durchscheinen. Parzivals
erlösendes Wort für den leidenden Anfortas z. B. ist eine Tat
helliicher triuwe (P. 795, 5). Aus germanischem Gefolgschafts -
ethos ist die bei Wolfram erreichte Verinnerlichung des Begriffes
und Wortes triuwe nicht abzuleiten, damit behält Schwietering
ganz gewiß recht.

Der Nachprüfung bedürftig ist auch die Behauptung des
Verfs., „daß der greifbare Einfluß der Mystik auf Wolfram gering
ist" (S. 304). K. vermißt bei Schwietering eine genaue Definition
, was unter Mystik zu verstehen sei (S. 295), differenziert
aber selbst so wenig, daß er das St. Trudperter Hohelied und
Willirams Kommentar in einem Atemzuge nennt. Die schon die
Zeitgenossen faszinierende Wirkung Bernhards von Clairvaux
liegt weniger in nachweisbaren Einzelzügen seiner mystischen
Theologie, als vielmehr in einem neuen geistig-religiösen Klima,
dem sich Wolfram so wenig wie Gotfrid von Straßburg zu entziehen
vermochte.

In seinem vorwiegend referierenden Gral-Kapitel stellt K.
mit Nachdruck die Hypothese Jessie Westons zur Diskussion, die
die Gralssage aus einem uralten Vegetationsmythos herleitet,
einer keltischen Spielart des Attis- und Adoniskultes, die frühzeitig
verdiristlicht wurde. Für die funktionale Bedeutung des
Grals im Rahmen der Dichtung ist die Ursprungsfrage nicht entscheidend
, denn sie besteht in seinem Symbolwert, in den zahlreiche
, auch heterogene Elemente eingeschmolzen und zu einer
Einheit zusammengefügt sind, „die man nicht wieder in Teile
zerlegen kann" (S. 256).

Die Frage, ob Wolfram irgendwelche Beziehungen zur katha-
rischen Häresie gehabt und ob ketzerische Anschauungen Eingang
in seinen Parzival gefunden haben, wird „mit Sicherheit" (S. 310)
verneint.

Mit Recht hat K. Wolframs enges Verhältnis zur frühmittcl-
hochdeutschen geistlichen Dichtung betont: sie ist die Hauptquelle
6einer nicht mit wissenschaftlichen Maßstäben zu messenden
theologischen Bildung. Sein nicht abstraktes, bildhaftes Denken
war für den Dichter eher ein Vorzug. Und der grüblerische Tiefsinn
, mit dem ein ritterlicher Laie um 1200 eine Antwort auf die
bedrängende Frage nach dem rechten Verhältnis von Gott und
Welt gesucht und gefunden hat, bleibt in jedem Falle denkwürdig.
L>ie Souveränität ihrer dichterischen Gestaltung erhebt sie über
ie Produkte reiner Spekulation und sichert ihr die Bewunderung
W ,fStVerständigen selbst dann, wenn, nach K. (S. 362),
„Wolframs Dichtungen nicht im eigentlichen Sinne zur Weltliteratur
gehören" sollten.

Marburg/Lahn Werner Schröder

Hall in g er, Kassius: Klunys Bräuche zur Zeit Hugos des Großen
(1049-1109). Hrolegomena zur Neuherausgabe des Bernhard und
Udalrich von Kluny.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 76, 1959
S. 99—140.

P f a f f, Volkert: Zur Diskussion um den Ordo Cencius II.
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 76, 1959 S. 301
bis 307.

Roth, Fr.: Sources for a History of the English Austin Friars. II. The

Fourteenth Century.

Augustiniana IX, 1959 S. 203*—264*.
Schwarz, Wilhelm: Jurisdictio und Condicio. Eine Untersuchung zu

den Privilegia libertatis der Klöster.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgesdiidite 76, 1959 S. 34
bis 98. •

Semmler, Josef: Traditio und Königssdiutz. Studien zur Geschichte
der königlichen monasteria.

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Reditsgeschichte 76, 1959 S. 1—33.
T e e u w e n, N. et M e i j e r, A. de: Documents pour servir ä l'histoire
m£dievale de la province augustinienne de Cologne. Extraits des
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Augustiniana IX, 1979 S. 339—356.

KIRCHEN GESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Wölf el, Eberhard: Luther und die Skepsis. Eine Studie zur Kohelet-
Exegese Luthers. München: Chr. Kaiser Verlag 1958. 288 S. gr. 8*
*** Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, hrsg.
v. E.Wolf, 10. Reihe, Bd. XII. DM 12.50; Lw. DM 15.-.

Eine unter der Förderung von W. von Loewenich entstandene
theologische Dissertation von Rang, die ihren Gegenstand
nicht nur in Luther, sondern zu einem knappen Drittel auch in
der alttestamentlichen Bibelwis6enschaft zu begründen und die dann
in die theologische Problematik der Gegenwart vorzustoßen
weiß, hat die Grenzen theologischer Einzeldisziplinen fruchtbar
durchbrochen. Es mag hier genügen, auf die nach der rechten Erfassung
des Gedankeninhalts trachtende Koheletuntersuchung
(= I. Teil) nur hinweisend einzugehen, wenngleich auch das ein
selbständiger Beitrag zur Theologie des Predigers Salomonis ist.
In Auseinandersetzung mit der Forschung wird die Welterfahrung,
das Welt- und Daseinsverständnis dieses atl. Buches dargestellt.

Das Ideal der allgemeinen israelitischen Weisheitslehre bestehe,
in Abhängigkeit von der Weisheitsliteratur des alten Orients, im Utili-
tarismus. Es gelte „die Welt mittels der Weisheit in die Verfügungsgewalt
zu bekommen und dieselbe sich zu Nutz zu beherrschen"
('5). „Die Sicherung des eigenen Lebensglücks, Utilitarismus und Erfolgsdenken
sind so integrative Determinanten der Weisheitslehrc" (17).
Das Buch Kohelet fügt allerdings eine entscheidende Erfahrung zur anderen
biblischen Weisheitsliteratur hinzu. Die Frage des Predigers „Was
hat der Mensch davon?", der End- und Angelpunkt seines Denkens,
sich steigernd bis zur Verneinung eines positiven Verhältnisses zwischen
Gott und Mensch (22), ist vollendete Skepsis: er redet vom „Scheitern
aller Mühe", vom „Widerfahrnis des Todes" als endgültiger Vernichtung
, von der „Illusion der Vergeltung", von „Zufall" und der Machtlosigkeit
ihm gegenüber, von einem Gott als „Inhaber der Schicksalsgewalten
" (61), fern vom Bundesgedanken des AT. Es ist alles nichtig,
aber diese Nichtigkeit ist Verzicht auf Weltgestaltung, „Bankerott der
Ethik" (70) (7, 16: Sei nicht allzu gerecht und sei nicht über die Maßen
weiseI Weshalb willst du dich zugrunde richten?). — Der einem
Spezialkommentar ähnliche I. Teil schließt mit der Herausarbeitung de*
anthropozentrischen Ansatzpunktes des Predigers (84—88) und einem
Anhang zur Geschichte des Buches. Kritisch müssen wir zu Wölfeis Beurteilung
der Weisheit als überhaupt „anthropozentrisch" auf Kl. Koch
hinweisen: „Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?
fZThK 1955). v. Rad warnt ebenfalls vor der „allzu einlinigen Entwicklungskonstruktion
" in der üblichen Beurteilung der Weisheit (Theol.
d. AT 43 5). Luthers Exegese selbst ist hier womöglich treffender al)
die übliche wissenschaftliche Deutung, weil Luther zwischen Jahweglauben
und Weisheit einen lebendigen Zusammenhang voraussetzt.

Der Schwerpunkt liegt nun bei der Lutherforschung im
II. Teil (95 bis 241). Im 1. Kapitel werden Vorfragen geklart.
Von einer modernen Koheletexegese her muß es wundernehmen,
daß Luther das in Skepsis endende Ringen des „Predigers" um
die Fragen Gott, Schicksal, Zeit nicht als „Theologe des
homo naturalis" kennzeichnet. „Luther scheint auf den ersten
Blick mit wesentlichen Thesen des Predigerbuches übereinzustimmen
" und darin für ihn eine Theologie „widder den freyen
willen geschrieben" zu sein (97). Damit ist die Weltanschauung
des Predigers, wie W. meint, zwar verkannt. Es kommt zu dem
merkwürdigen Sachverhalt: „Wo Luther auch die Erfahrungen det
natürlichen Vernunft und des Predigers bestätigt, kommt er doch