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1960 Nr. 10

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

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Johann Friedrich mit veranlaßt worden. Während erstere von Caspar
Cruciger und Georg Rörer, dann von Melandithon und Georg Major
betreut wurde, war an der Jenaer Ausgabe Amsdorf maßgeblich beteiligt
. Im ersten deutschen Band dieser Ausgabe erhob er den bereits
früher aufgestellten Vorwurf der Verfälschung gegen die Wittenberger
Ausgabe, die viel geändert und verschwiegen habe. J. wei6t dagegen
nach, daß Amsdorf in der Jenaer Ausgabe selbst zu Kompromissen bereit
war, indem er z. B. die Schriften Luthers nidit mit aufgenommen
wissen will, in denen Luther das Recht des Widerstandes gegen den
Kaiser ablehnt. Als Grund dieser geplanten Auslassung vermutet J. die
Pietät gegen den Kuifürsten Johann Friedrich, der am Widerstand gegen
den Kaiser gescheitert war (S. 86). Weiter wirft Amsdorf der Wittenberger
Ausgabe vor, daß sie die Schriften anderer Gelehrter mit aufnimmt
. Hier vermutet J. sicher zu Recht, daß dies im Einverständnis
mit Luther geschehen ist, unter dessen Augen doch diese Ausgabe entstand
. Der Vorwurf, Übersetzungen angefertigt bzw. mit aufgenommen
zu haben, ist ebenfalls nicht stichhaltig, da Amsdorf selbst im
Vorwort zum ersten deutschen Band der Jenaer Ausgabe dieses Editionsprinzip
sprengt. Ebenso verhält es sich mit der unchronologischen Ordnung
, da anzunehmen ist, daß Luther das sachliche Ordnungsprinzip der
Wittenberger Ausgabe gewünscht hat. Abschließend zählt J. die Vorzüge
der Jenaer Lutherausgabe auf, die später in der kritischen Weimarer
Lutherausgabe alle weithin wieder in die Tat umgesetzt wurden:
Herstellung des ursprünglichen Textes, Zurückgehen auf die ältesten
Originaldruckc, Abdruck jeder Schrift in ihrer Sprache, vermerkte Irrtümer
Luthers in einem Apparat, chronologische Anordnung sowie die
Ausschaltung aller nicht von Luther stammenden Stücke. Die letzten
beiden Forderungen konnten jedoch weder in der Jenaer noch in der
Weimarer Lutherau6gabe voll und ganz verwirklicht werden.

Der bekannte Lutherfachmann und Bearbeiter der letzten Bände
der WA-Bibel, H. V o 1 z behandelt „Luthers Stellung zu den Apokryphen
des Alten Testaments" (S. 93—108). Erste positive Stellungnahme
Luthers zu einer apokryphen Schrift, zum Gebet Manasse, liegt
aus dem Jahre 1520 vor. Sie hatte eine heftige Kritik Karlstadts zur
Folge, führte aber trotzdem zu besonderer Wertschätzung dieser Schrift
in der lutherischen Kirche. Einige Jahre später schloß sich Luther umfangmäßig
an den ihm als Übcrsetzungsgrundlage dienenden hebräischen
Kanon an, in der Reihenfolge der Bücher richtete er sich jedoch nach
der Vulgata. Diese Anordnung erfolgte aus praktischen Erwägungen,
war sie doch durch den jahrhundertelangen Gebrauch der Vulgata
weithin eingebürgert. Der Ausdruck .Apokryphen' wurde zum ersten
Mal von Johannes Lonicer 1526 in Straßburg gebraucht, als in einem
Septuaginta-Nachdruck diese Schriften den kanonischen nachgestellt
wurden. Hier ist der Einfluß Luthers genau so spürbar wie bei der ersten
Übersetzung der Apokryphen in6 Deutsche, die Leo Jud vornahm und
die 1529 in Zürich erschien. Nachdrucke an anderen Orten sorgten für
die Verbreitung. 1534 erschienen dann die Apokryphen in hochdeutscher
Fassung erstmalig in der Wittenberger Vollbibel. Neun Stücke
unter den zahlreichen Apokryphen wählte Luther aus und versah sie
in den Vorreden mit einem klaren Werturteil: Judith, Weisheit Salo-
monis, Tobias, Jesus Sirach, Baruch, 1. und 2. Makkabäer, Stücke in
Esther, Stücke in Daniel und das Gebet Manasse. Diese Auswahl ist
ebenso wie die Zuweisung des Platzes bis in die Gegenwart maßgebend
. Doch auch auf die katholische Kirche wirkte die Stellungnahme
Luthers ein. Das Tridentinum tilgte z. B. in seinem „Decretum de ca-
nonis scripturis' das von Luther völlig verworfene 3. und 4. Esrabuch.
In der auf diesem Dekret beruhenden offiziellen Vulgata-Ausgabe, der
■Sixto-Clcmentina', wurde wie bei Luther ein apokrypher Anhang
hinzugefügt, zu dem dann auch das Gebet Manasse nach Luthers Vorbild
stillschweigend gerechnet wurde.

F. Lau widmet seinen Beitrag „Der Bauernkrieg und das anschliche
Ende der I utherischen Reformation als spontaner Volksbewegung
(S. 109—134) dem fünfundsiebzigjährigen Johannes Lcipoldt.
Er wendet 6ich entschieden gegen die heute immer wieder aufgestellte
Behauptung, daß durch Luthers Haltung im Bauernkrieg der Reformation
als einer spontanen Volksbewegung ein Ende gesetzt worden wäre.

enn diese bereits von Köstlin-Kawerau und Hausrath benutzte These
stimmen würde, wäre der Bauernkrieg der schärfste und folgenreichste
Einschnitt in der ganzen Reformationsgeschichte. Besondere Zuspitzung
fand diese These in der marxistischen Geschichtsschreibung, nach der
~? ^cf°rmation nun zu einer Fürstenreformation sich verengte. Wenn
sich auch das territorial - staatliche Interesse weithin durchsetzte, so
weist L. doch überzeugend nach, daß über den Bauernkrieg hinweg die
ctormation als spontane Volksbewegung in den Städten weitergegangen
ist, als „spontane Bewegung der gemeinen Bürgerschaft der
<- ?j e . V3)' E>er Fortgang der Reformation in den norddeutschen

~? en lst durch den Bauernkrieg bzw. 6cinen Ausgang weder gehemmt
noch verzögert worden. Nach einem Überblick über die Verfassung der
Madtc im ausgehenden Mittelalter macht L. das allgemein Dargestellte

an einigen Beispielen anschaulich. Erste norddeutsche Stadt, die lutherisch
wurde, war die Altstadt von Magdeburg im Jahre 1524.
Skizzenartig zeigt L. dann den Gang der Reformation in Halberstadt,
Braunschweig, Göttingen, Hamburg, Lübeck sowie Rostock und Hannover
. Als Ergebnisse lassen sich folgende Punkte herausarbeiten: 1. In
keinem Fall ist die Stadtobrigkeit oder das fürstliche Element der Initiator
der Reformation in den norddeutschen Städten zwischen 1525
und 1532. Sie ist eine spontane Reformation von unten her, durch die
Bürgerschaft, die Zünfte und Gemeinheiten. 2. Oftmals werden die
reformatorischen Forderungen mit politischen Tendenzen verbunden,
indem das Stadtvolk einen stärkeren Einfluß auf die Regierung der
Stadt fordert. 3. Der lutherische Charakter der Reformation steht einwandfrei
fest. Ein Mißtrauen gegenüber dem Namen Luthers ist nirgends
spürbar. Belege für eine nachlassende Popularität Luthers sind
nicht nachweisbar. 4. Ansätze zur Gemeindekirche werden bald von
einer Tendenz zur Obrigkeitskirche verdrängt. — Wenn auch neben der
engbegrenzten norddeutschen Reformation die territoriale Reformation
einen anderen Weg genommen hat, so ist es doch L. zu danken, hier
ein Problem aufgerissen zu haben. Die endgültige Klärung wird weitere
spezielle und ausführlichere Untersuchungen notwendig machen. Doch
kann schon jetzt von der teilweisen Unrichtigkeit der These .Bauernkrieg
— Ende der Reformation als spontaner Volksbewegung' gesprochen
werden.

Ausführliche Buchbesprechungen sowie die für jeden Forscher unentbehrliche
Lutherbiographie runden diesen sowie den vorhergehenden
Band ab. Es sollte jedoch versucht werden, das Berichtsjahr der
Bibliographie dem Erscheinungsjahr des Jahrbuches etwas mehr anzugleichen
. Es ist gerade bei einer jährlichen Bibliographie unbedingt notwendig
, sie dem Benutzer sobald wie möglich zugänglich zu machen.
Ein Abstand von drei Jahren ist hier zu groß. Da dieses Desideratum
dem Herausgeber bekannt ist, kann in der Zukunft hier mit Abhilfe
gerechnet werden. —

Dem Luther-Jahrbuch ist eine weite Verbreitung zu wünschen,
bringt es doch die neuesten Forschungsergebnisse aus einigen Gebieten
der Reformationsgeschichte in kurzer, knapper Form. Sicher gern bemerkt
wird der starke Anteil der historischen Beiträge gegenüber den
systematischen. Doch wäre die Forschung für eine weitere Zurückstellung
der Systematik gewiß dankbar, ist doch der historische Luther, seine
Biographie — vor allem der späten Jahre — in den letzten Jahrzehnten
stark vernachlässigt worden. Allen Theologen, Reformationshistorikern,
Germanisten und auch Religionslehrern sollte das Luther-Jahrbuch zu
einem rechten Vademecum werden.

Berlin Hans-Ulrich D el i u s

B r ä n d 1 y, Willy: Oswald Mykonius in Basel.

Zwingliana XI, 1960 S. 183—192.
Edelmann. Heinrich: Die Ammänner Zwingli „zum Wilden Hus".

Zwingliana XI, 1960 S. 193—197.
Jenny, Markus: Zwingiis mehrstimmige Kompositionen. Ein Basler

Zwingli-Fund.

Zwingliana XI, 1960 S. 164—182.
Staedtke, Joachim: Heinrich Bullinger und die Täufer.

Zwingliana XI, 1960 S. 198—204.
Zeeden, Ernst Walter: Die Deutung Luthers und der Reformation

als Aufgabe der Geschichtswissenschaft.

Tübinger Theologische Quartalschrift 140, 1960 S. 129—162.

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Geiselmann, Jo6ef Rupert, Prof. Dr.: Die theologische Anthropologie
Johann Adam Möhlers, ihr geschichtlicher Wandel. Freiburg/Br.:
Herder 1955. XIX, 438 S. gr. 8°. DM 25.60.

G. unternimmt den Versuch, „die Wandlungen in Möhlers
Menschauffassung von seinen kirchenrechtlichen Vorlesungen an
bis zur .Symbolik' sowie innerhalb der .Symbolik' zu verfolgen"
(IX). Da Möhler mit den Geistesströmungen seiner Zeit engen
Kontakt hatte, stellt G. auch die geistesgeschichtlichen Zusammenhänge
dieser Entwicklungsgeschichte dar. Das Bild, das sich ihm
ergibt, ist nicht nur historisch lehrreich, sondern hat auch für die
gegenwärtige Diskussion um die Anthropologie unmittelbar Bedeutung
. G. selber denkt vor allem an die „durch Rudolf Bultmanns
Theologie der Existenz aufgeworfenen Fragen" (426). -
G. unterscheidet nach einem kurzen aufklärerischen Anfangsstadium
drei Stufen in Möhlers theologischem Entwicklungsgang:
1) eine von Schleiermacher beeinflußte antiaufklärerisch-romantische
; im Gegensatz zu dem autonomen Einzelindividuum der