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1960 Nr. 10

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Neues Testament

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

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anzutreffenden Termini und Formulierungen sind weitgehend
berücksichtigt. Das Buch ist eine saubere, gewissenhafte, philologisch
solide Arbeit, die sich für Unterrichtszwecke geeignet erweisen
wird. Der Autor ist vielfach dem umfangreichen und textkritisch
zuverlässigen Markuskommentar von Vincent Taylor'
verpflichtet, von dessen konservativer Grundhaltung er nur unbeträchtlich
abweicht.

In C's Buch kommt eine Defensivhaltung zum Vorschein, die
sich gegen die Ansicht wendet, der Mk.-Evangelist habe nach dem
Tode Jesu geprägte religiöse Anschauungen zum Ausdruck gebracht
. Des Verfassers Abwehrstellung gegen diese Ansicht kennzeichnet
sein ganzes Werk. So lesen wir schon zu Mk 1 : 1
QQX'l T(™ evayyetiov 'Irjoov Xqiotov, daß der Genitiv 'Irjaov
Xqmzov als subjektiver Genitiv aufzufassen sei: „die gute Botschaft
, welche Jesus der Christus verkündigt hat" (S. 36). Der Rezensent
sieht diese Erklärung für unzutreffend an und hält die
Übersetzung „die gute Botschaft von (betreffend) Jesus, dem
Christus" (evangelium de Iesu Christo, nicht a Iesu Christo)
für geboten. Immerhin ist es statthaft, Cs Auffassung zu
vertreten, wenn man dabei konsequent verfährt. Unstatthaft ist
es, wenn C. fortfährt: „But Jesus was not only the herald of good
tidings; he was also himself the content of the good tidings he
announced" und anschließt: ,'lrjaov Xyiorov is not only a
subjective genitive; it is also (!), implicit at least, an objective
genitive at the same time" (S. 36). Im Englischen gibt es ein
Sprichwort, das man hier wohl anwenden darf: You cannot have
your cake, and eat it. Daß Jesus „sich selbst gepredigt" habe,
d. h. eine Lehre über seine eigene Person verbreitet habe, widerstreitet
dem historischen Befund der Forschung.

Daß die von C. vertretene Auffassung zu Schwierigkeiten
führt, ist unvermeidlich. Die Verse Mk 4 : 11—12 werden aU authentischer
Ausspruch Jesu ausgegeben: „[The /uvot^giov] is the
secret that the kingdom of God ha6 come in the person and
words and works of Jesus . . . The secret of the kingdom of God
's the secret of the person of Jesus" (S. 153) — wohlverstanden,
dies wird nicht als Ansicht des Kommentators oder des Evangelisten
vorgetragen, sondern als Jesu eigene Lehre ausgegeben: Das
Gottesreich 6ei „intimatcly connected with his own person . . .
It is in his words and works and person that the kingdom has
come" (S. 66)'. Der Autor geht so weit, daß er die Bitte um das
Kommen des Gottesreiches in dem Unser-Vater-Gebet (Mt6:10)
— die Jesus selbst ausspricht — als gleichbedeutend erklärt mit
dem /ingdva i?d in 1. Kor. 16 : 22 (S. 66). Wie ist da6 zu verstehen
? Hat Jesus zu Gott gebetet, daß Gott Jesus kommen
lassen möge?

Die Gedankenverwirrung beruht vor allem darauf, daß der
Verfasser nicht gewillt ist, einen Trennungsstrich zwischen dogmatischer
Darstellung und historischer Untersuchung zu ziehen.
Was dem Dogmatiker verstattet ist, darf der Historiker sich nicht
erlauben. Ohne an diesem Ort eine Untersuchung des Tatbestandes
geben zu können, oder zu wollen, möchte der Rezensent
kurz erwähnen, daß sich in der neutestamentlichen Predigt
drei Entwicklungsstufen eindeutig voneinander abheben.
Stute Eins: Jesus predigte das Kommen des Gottesreiches.
"tute Zwei: Nach Je6u Tode wandelte sich die Erwartung des
unvermittelten Einbruchs des Gottesreiches in die nahe Erwartung
der Wiederkunft Jesu. Stute Drei: Als die Parusie ausblieb,
änderte auch die Predigt ihren Charakter — es wurde nun versündigt
, daß das Gottesreich bereits eingetroffen sei, indem es in
"er Person und irdischen Wirksamkeit Jesu seinen Anfang genommen
habe. Dieser (zugegebenermaßen schematische) Aufriß
des Entwicklungsgangs der neutestamentlichen Predigt läßt sich

J) Vgl. M. Smith, Harvard Theol. Review 48, 1955, S. 21—64;
F. A. Burkiii, The Hibbcrt Journal 55, 1956/57, S. 150-158.

) Philipp Viclhnucr hat in seinem wichtigen, von Cranfield leider
unbeachteten Aufsatz ,,Gottesreich und Menschensohn in der Verkündigung
Jesu" (Festschrift für Günther Dehn: Neukirchen 1957. S. 51
J9) nachgewiesen, daß die Vorstellung des anbrechenden Gottes-
reiches in der Predigt Jesu nicht mit der Vorstellung vom kommenden
Menschensohn verbunden ist. Das ursprüngliche Motiv ist da« der
™en Gottesherrschaft; die Vorstellung des die Gottcsherrschaft herbeiführenden
Menschcnsohncs ist ein hinzugetretenes, also späteres
Konkrctisicrungsmittel.

unschwer aus verschiedenen zeitlich aufeinanderfolgenden Schriften
des Neuen Testaments herausfinden. Für den Dogmatiker ist
die zeitliche Abfolge unwesentlich. In einer historisch angelegten
Untersuchung darf jedoch nicht, wie bei Cranfield, Stufe Drei
an den Anfang de6 Entwicklungsweges gestellt werden*.

Erklärungen einzelner Perikopen werden von C. nicht selten
eingeleitet mit den Worten „undoubtedly Petrine", „probably
Petrine", d. h. auf Petri Erinnerungen zurückgehend. Gelegentlich
liest man: „even Bultmann aeeepts vv. ... as historical".
Von dem Bericht über die Speisung der 5000 (Mk 6 : 34—44)
heißt es: „may be based on Petrine reminiscence" (S. 216). Die
Darstellung des Wandeins auf dem See (Mk 6 :45—52) entstamme
„the memory of an actual incident... It 6eems .. . that
we have here Petrine reminiscence" (S. 224). Die Verklärungsgeschichte
(Mk 9 : 2—8) bereitet dem Verfasser einige Schwierigkeit
, aber „On the whole, it seems rather more likely that the
Transfiguration itself [vv. 2b, 3] is factual" (S. 294).

Die herangezogene Literatur ist der Aufgabe, welche der Verfasser
sich stellte, angemessen. Ob die Unterlassung jedes Hinweises
auf Erich Grässers „Das Problem der Parusieverzögerung"
(Berlin 1957) und Willi Marxsens „Der Evangelist Markus"
(Göttingen 195 6) auf Übersehen oder auf Absicht beruht, kann
nicht gesagt werden.

Es ist bedauerlich, daß Cranfield in dieser philologisch gediegenen
, sauberen Arbeit sich bei der Auslegung des Erzählungsstoffes
mit gestrigen Ansichten zufrieden gibt.

London Paul Winter

*) Werner Georg Kümmels Aufsatz „Futurische und präsentische
Eschatologie im ältesten Urchristentum" erschien zu spät (New Testament
Studies 5, Januar 19 59, S. 113—126), um von Cranfield in seinem
Markuskommentar berücksichtigt zu werden.

Braun, Herbert: Die HeÜ6tatsachen im Neuen Testament.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 57, 1960 S. 41—50.
Gas ton, Lloyd: Sondergut und Markusstoff in Luk. 21.

Theologische Zeitschrift 16, 1960 S. 161—172.
L u c k, Ulrich: Kerygma, Tradition und Geschichte Jesu bei Lukas.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 57, 1960 S. 51—66.
McArthur, Harvey K.: The Dependence of the Gospel of Thomas

on the Synoptics.

The Expository Times 71, 1960 S. 286—287.
O e h 1 e r, W.: Der Apostel Paulus und die Obrigkeit.
Deutsches Pfarrerblatt 60, 1960 S. 271—272.

Strecker, Georg: William Wrede — Zur hundertsten Wiederkehr

seines Geburtstages (mit Bibliographie W.s).

Zeitschrift für Theologie und Kirche 57, 1960 S. 67—91.
Turner, H. E. W.: The Tradition of Mark's Dependence upon Peter.

The Expository Times 71, 1960 S. 260—263.

KIRCHEN GESCHICHTE: ALLGEMEINES

Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft. Begr.
v. W. S a s - Z a 1 o z i e c k y. Im Auftrage des Vorstandes redigiert
v. Herbert Hunger. V. Graz-Köln: Böhlaus Nachf. 1956. VIII,
128 S., 18 Taf. gr. 8°. Kart. DM 20.-.

Infolge Arbeitsüberlastung des Referenten erfolgt der Bericht
über den vorgenannten Jahrgang des Organs der österreichischen
Byzanzforschung mit einiger Verspätung; für die Zukunft
soll jedoch die termingerechte Berichterstattung wieder gewährleistet
werden. Brachte der 4. Band — vgl. die Besprechung in
dieser Zeitschrift 82, 1957, 119 f. - ausschließlich Arbeiten von
Wiener Gelehrten, so ist der vorliegende um die Mitarbeit auch
ausländischer Forscher bemüht gewesen. Dafür ist die Zahl der
Beiträge von spezifisch theologischem Interesse in diesem Jahrgang
geringer als in vorangegangenen. Wir informieren im folgenden
über den Inhalt der sechs Untersuchungen, die er umfaßt.

Sie folgen in ihrer Anordnung im wesentlichen dem chronologischen
Prinzip. Han« G e rs t i n g e r bringt in Erinnerung, daß nicht erst
unsere Zeit, sondern bereits die Spätantike den Wohnungskauf kannte,
und legt zum Exempel S. 1 ff. den Pap. Graec. Vindob. 26251 der Samm-