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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

744-746

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cranfield, Charles E. B.

Titel/Untertitel:

The gospel according to saint Mark 1960

Rezensent:

Winter, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

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ren Wissens über die Geschichte Jesu und der ältesten Christenheit
hinzuweisen und vor der Vermischung historischer Fakta
und gegenwärtig umlaufender Fiktionen als dem fast unvermeidbaren
Resultat des hier eingeschlagenen Weges zu warnen. Jedenfalls
geht es nicht nur um eine petitio principii.

Indizienbeweise, wie der Verf. sie für das von ihm behauptete
historische Ereignis allein anbieten kann und konsequent
anbietet, sind nicht jedermanns Plaisir. Die Überzeugt-
heit, mit der 6ie vorgetragen werden, und die Lückenlosigkeit
ihrer Logik dürfen nicht verdecken, daß ihre Prämissen fragwürdig
sind. Welcher naive Leser unserer Perikope würde darauf
verfallen, daß das Petruswort und die Zeitangabe auf ein
Datum des von apokalyptischen Erwartungen getragenen Laubhüttenfestes
deutet, daß der Gang in die Einsamkeit des hohen Berges
und die drei begleitenden Jünger unsern Text mit der Ver-
suchung6- und Gethsemane-Geschichte verbinden, daß aus ihnen
gemeinsam eine andauernde Angefochtenheit Jesu, und zwar
durch das politische Messiasideal des Zelotismus 6ich ergibt und
die Verklärung endlich historisch Jesus Gewißheit über seinen
Messiasberuf im Sinne des leidenden Menschensohnes gegeben
hat? Konnte die heidenchristliche Leserschaft des Mk das alles
leichter dem Text entnehmen? Zweifellos macht Gelehrsamkeit
ihre Behauptungen mit einer Fülle lexikalischer, historischer,
religionsgeschichtlicher, theologischer Argumente wenn nicht
plausibel, 60 doch zum mindesten diskutabel, und der Verf. erfreut
sich denn auch der Unterstützung angesehener Eideshelfer.
Es wäre töricht, im Namen des einfachen Bibellesers dagegen zu
protestieren, daß die Interpretation des NT auf solche Weise zur
Domäne einer exklusiven und teilweise esoterischen Wissenschaft
gemacht wird. Doch ist der Mut zu bewundern, mit welchem der
Verf. zu behaupten wagt, seine Interpretation führe aus dem Gestrüpp
der Spekulationen heraus. Der Rezensent erlaubt sich
jedenfalls zu bemerken, daß er seinerseits von allen kunstvoll
aufgespürten Gründen und Hintergründen nichts hält und darin
nur Spekulationen erblickt. Die vermeintlichen Anspielungen
sind ihm nicht deutlich genug, 60 viel Romantik traut er Jesus
nicht zu, 60 harmlos und für uns heute bedeutungslos wollen ihm
dessen Versuchungen nicht erscheinen, der, unbekümmert um den
politischen Tagesstreit, Zeloten und Zöllner um sich sammelte,
aber Kindschaft und Kreuz offensichtlich nicht stoisch unerschüttert
miteinander verband.

Der Verf. selber schürt von seinen Ergebnissen her das Mißtrauen
gegen seine Methodik. Muß man nicht fragen, ob Wissenschaft
oder Apologetik ihn leitet, wenn er das Motiv der Metamorphose
dem Mk-Text abspricht und nur das Weißwerden der
Gewandung Jesu betont wissen will? Wäre nicht das allein schon
eine Metamorphose und mindestens ein Wunder, zumal wenn
man die Visionstheorie in Übereinstimmung mit dem Bericht des
Evangelisten ablehnt? Welchen Sinn hat es dann jedoch, dieses
Wunder als Hinweis auf die stete unmittelbare Gottesgemeinschaft
schon des irdischen Jesus zu verstehen, es also symbolisch
zu deuten? Enthüllt sich hier nicht die Verlegenheit dessen, der
die Historizität wenigstens eines Kerns der Geschichte retten,
zugleich aber dem Mirakel ausweichen will, weil er Historizität
dann nicht mehr behaupten könnte? Welche Verheißung hat die
via media der Erbaulichkeit? Beweist nicht die Geschichte vom
blutflüssigen Weibe, daß Mk ohne Skrupel Jesus als Manaträger
zeichnet, dessen do£a sich sogar 6einer Gewandung mitteilt?
Was 6olI, wenn man schon die Objektivität des Vorganges verteidigen
muß, die sehr dehnbare Kategorie des „Erlebnisses", die
doch auch bei einer Vision passen würde? Erlaubt der Text solche
Psychologisierung und Rationalisierung des Geschehens? Wird
damit nicht einfach für unsern Bedarf zugeschnitten und das
Wunder in die Maßkonfektion eingereiht? Dasselbe scheint mir
der Fall zu sein, wenn Elia, auf Grund der Maleachi-Weissagung
als Friedensbringer deklariert, zusammen mit Mose als Mittler des
alten Bundes antitypisch dem neuen Bundesstifter und leidenden
Menschensohn gegenübergestellt sein soll. Warum läßt die Perikope
von all dem nichts mehr erkennen, was dem Verf. so entscheidend
ist? Die Auskunft, das kerygmatische Interesse der
Gemeinde habe das Schwergewicht des Skopus von der Bedeutung
des Vorganges für Jesus auf die für die Jünger verlagert, befriedigt
nicht. Denn die angebliche Spannung zwischen dem Eingang
der Erzählung und ihrem Fortgang ist ja nicht wirklich
durch eine Verschiebung der Blickrichtung von Jesus auf die
Jünger erzeugt, sondern das notwendige Gefälle von der Exposition
zum Skopus, der sich in der Himmelsstimme bekundet.

Die Rezension will nicht die Lektüre der anregenden und in
ihrer Fragestellung symptomatischen Monographie überflüssig
machen, sondern gerade dazu reizen. So verzichtet sie auf die
eigene Analyse des Textes und die nur von da aus mögliche
Auseinandersetzung mit dem Schlußteil der Arbeit, der sich um
das Kerygma der einzelnen Synoptiker müht. Zustimmung und
Kritik würden sich hier die Waage halten. Das besagt, daß Verständigung
von der Interpretation des Textes aus weithin möglich
wäre, daß jedoch der Einsatz bei dem Problem des historischen
Ereignisses auch hier hindernd im Wege steht. Daß die
Problematik dieses Einsatzes 6charf heraustritt, ist der wichtigste
Ertrag der vorliegenden Untersuchung.

Tübingen Ernst Käs ema n n

Cran field, Charles Ernest Burland, M.A.: The Cospel according to
Saint Mark. An Introduction and Commentary. Cambridge: Cambridge
University Press 1959. XVI, 480 S. 8° = The Cambridge Greek
Testament Commentary. £ 2.—.—.

Nach dem 1957 veröffentlichten Buch von Professor Charles
Francis Digby Moule „The Epistles of Paul the Apostle to the
Colossians and to Philemon" folgt als zweiter Band in der Reihe
„The Cambridge Greek Testament Commentary" ein Kommentar
zum Marku6evangelium, der C. E. B. Cranfield, derzeit Lektor an
der Theol. Fakultät in Durham, zum Verfasser hat. Die Reihe, in
der der Kommentar erschien, hat in der Hauptsache den Zweck,
Studierenden der Theologie als Hilfsmittel zu dienen und sie in
das grammatische Verständnis des Originaltextes sowie die theologische
Auslegung desselben einzuführen. Nach einer kurzen
„Introduction" auf 25 Seiten bietet C. einen Kommentar auf
444 Seiten.

Ort und Entstehungszeit des Mk.-Evgl. werden in Rom, kurz
nach der neronischen Verfolgung, um etwa 65—67 p. Chr. n.
angesetzt. Der Evangelist benutzte bei der Niederschrift Quellen,
die nach der Art der von W. L. Knox1 postulierten Traktate oder
„independent tradition-units" vorgestellt werden (wenn auch C.
im Hinblick auf Ausmaß und Umfang dieser „units" nicht mit
Knox übereinstimmt). Die Quellen gehen auf Augenzeugen der
Wirksamkeit Jesu zurück; das Mk.-Evgl. 6ei daher als „primary
source of information about the ministry of Jesus" anzusehen
(S. 10). Beträchtliche Teile des Evangeliums geben die Erinnerungen
des Apostels Petrus wieder (S. 11 und passim): „a con-
siderable amount of the material in Mark wa6 derived directly
from Peter" (S. 16). Daneben sei dem Evangelisten „sayings material
. . . from a collection of sayings for catechetical teaching"
zur Verfügung gestanden, wie e6 in Rom für katechetische Zwecke
in Anwendung war (S. 12). Die Quellen zeichnen sich durch reiches
und anschauliches Detail aus; soweit der Mk.-Evangelist
seinen Quellen folgte, sei daher 6eine Darstellung lebhaft, farbig,
anschaulich, auch in Einzelzügen exakt; wo er Verbindungsstücke
zwischen seinen Quellen hergestellt hat, ermangle die Darstellung
der Anschaulichkeit (S. 15). „The evidence points to Mark's
being not a creative literary artist but an extremely honest and
conscientious Compiler" (S. 16). Nicht nur umfangreiche Stoffteile
, sondern der Aufbau des Evangeliums als eines Ganzen gehe
vielfach auf einen historisch verläßlichen Zeugenbericht zurück:
„That Peter . . . is likely to have remembered not only particular
incidents but also the general course of the ministry must surely
be granted. There is then no need to dismiss the Markan frame-
work as . .. artificial" (S. 18).

Cranfields Kommentar wird den ihm von seinem Verfasser
und von dem Herausgeber der Reihe „The Cambridge Greek
Testament Commentary" gestellten Zweck erfüllen. Der Verfasser
verfügt über gediegene griechische Sprachkenntnisse; seine
lexikalischen und grammatischen Anmerkungen 6ind ausführlich,
ohne überladen zu sein. Semitische Parallelen der im Mk.-Evgl-

') Vgl. H. Greeven, ThLZ 81, 1956, Sp. 439—442; R. Bultmann,
Gnomon 30, 1958, S. 274-280.