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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

740-742

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Wallach, Luitpold

Titel/Untertitel:

Liberty and letters 1960

Rezensent:

Schoeps, Hans-Joachim

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739

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

740

Loretz, O.: Der Glaube des Propheten Isaias an das Gottesreidi
(Schluß).

Zeitschrift für katholische Theologie 82, 1960 S. 159-181.

Mai er, Johann: Zum Begriff "irr in den Texten von Qumran.

Zeitschrift f. d. alttestamentliche Wissenschaft 72, 1960 S. 148—166.

Nötscher, Friedrich: Heiligkeit in den Qumranschriften (Fortsetzung
).

Revue de Qumran 2, 1960 S. 315—344.
Rendtorff, Rolf: Hermeneutik des Alten Testaments als Frage
nach der Geschichte.

Zeitschrift für Theologie und Kirche 57, 1960 S. 27—40.
Rengstorf, K. H.: Das alte und das neue Gottesvolk.

Pastoralblätter 100, 1960 S. 409—419.
Reuter, Theo: Die Länge der Schöpfungstage.

Igreja Luterana XXI, 1960 S. 55—60.
S c h o f i e 1 d, J. N.: The Religion of the Near East and the Old

Testament.

The Expository Times 71, 1960 S. 195—198.

1UDA1CA

__Zimmels, H. J„ Rabbi Dr.: Ashkenazim and Sephardim. Their

i Relations, Differences, and Problems as Reflected in the Rabbinical
^ Responsa. With a Foreword by Israel Brodie. London: Oxford Uni-
vereity Press 1958. XV, 347 S. 8° = Jews' College Publications, N. S.,
No. 2. Lw. 42 s.

Dieses aus den Quellen gearbeitete Buch ist eine wahre
Fundgrube für die Geschichte des jüdischen. Brauchtums im
Mittelalter, zumal die Re6ponsenliteratur der mittelalterlichen
Rabbiner ohnehin nur einem relativ kleinen Kreise zugänglich
ist. Im einzelnen mögen gewiß die Divergenzen im Kult zwischen
den aschkenasischen und 6ephardischen Juden religionsgeschichtlich
nicht von allzu großer Bedeutung sein, gleichwohl bietet
Zimmels eine vorzügliche Einführung in die religiöse und soziale
Problematik des mittelalterlichen Judentums. Im Liturgischen
gehen die Unterschiede auf die Verschiedenheiten in den palästinensischen
und babylonischen Bräuchen zurück. Die Juden in
Deutschland, Frankreich und den meisten christlichen Ländern
folgten dem palästinensischen Ritus, während die spanischen
und orientalischen Juden den babylonischen übernahmen. Nirgends
jedoch hat sich eine reine Form dieser beiden Ritusgruppen
erhalten. Die Unterschiede weisen gelegentlich recht interessante
Merkmale auf, wenn wir etwa lesen, daß einzelne Sephardim
beim Gebet nicht den Kopf bedeckten, ein Brauch, der
sonst für den jüdischen Gottesdienst gerade charakteristisch ist.
Von großem Einfluß auf die Gestaltung der Riten waren neben
den politischen Ereignissen vor allem die Einflüsse der Mystik.

Sephardim und Aschkenasim unterschieden sich grundlegend
in bezug auf die kulturelle Situation. Die sephardischen Juden besaßen
im Gegensatz zu ihren aschkenasischen Brüdern eine ausgedehnte
Kenntnis der Medizin, Naturwissenschaft und Philosophie
. Da die Sephardim den talmudischen Text von den babylonischen
Akademien erhielten, d. h. also auf einem mehr oder
weniger direkten Wege, ist die sephardische Textüberlieferung zuverlässiger
, ohne daß sehr viel emendiert werden mußte. Bei der
Bibelexegese bevorzugte die französisch-deutsche Schule den
„derasch" (die homiletisch-symbolische Erklärung), der spanischen
Schule hingegen stand eine Vielfalt von Möglichkeiten zur
Verfügung, da sich die spanischen Juden mit hebräischer Sprache
und Grammatik, Philosophie und Mystik beschäftigten: R. Joseph
ibn Abitur (10. Jhdt.) bevorzugte die Methode des Midrasch,
Mose ibn Gikatilla (11. Jhdt.) die rationalistisch-historische,
Abraham ibn Esra (12. Jhdt.) war ein kritischer Denker, Salomon
ibn Gabirol (gest. 1058) ging als Philosoph an die biblischen
Quellen heran, Nahmanides schließlich interpretierte die Bibel
als Mystiker. Das kulturell hohe Niveau der spanischen Juden
schloß jedoch nicht ein, daß 6ie gegenüber dem Religionsgesetz
eine liberalere Haltung eingenommen hätten. Die Sephardim waren
weit mehr als die deutsch-französischen Juden der karäischen
Gefahr ausgesetzt und daher gezwungen, in der Abgrenzung
gegen die Karäer das Religionsgesetz streng zu befolgen.

Auf keinem einzigen Gebiet der Liturgie oder des religiösen
Brauchtums stimmen die Sitten der Sephardim mit denjenigen der
Aschkenasim völlig überein, am stärksten jedoch divergieren die

Riten bei der Hochzeit. Ein grundsätzlicher Unterschied ergab
sich bereits dadurch, daß Rabbenu Gerschom ben Judah (960
— 1028) für die aschkenasischen Juden die Monogamie und das
Verbot der ungerechtfertigten Ehescheidung eingeführt hatte.
Diese Entscheidung, ursprünglich nur für Deutschland bestimmt,
beeinflußte auch zahlreiche andere Gemeinden, sogar auch sephardische
(Aragon). Die spanischen Juden übernahmen ferner nicht
die aschkenasische Bestimmung, daß ein Ehemann die Unterschrift
von hundert Rabbinern benötigt, wenn er sich von einer
geisteskranken Frau scheiden lassen will. Schließlich war der Beruf
des Heiratvermittlers (Schadehen) im Mittelalter nur im
französisch-deutschen Kulturkreis bekannt, erst vom 16. Jahrhundert
an erwähren auch sephardische Quellen einen Heiratsvermittler
.

Zimmels stellt eine lange Reihe von Erschwerungen zusammen
, die 6ich die deutschen Frommen des 12. und 13. Jahrhunderts
auferlegten, und die den Sephardim unbekannt waren
(vgl. S. 188ff.). Der Grund für diese freiwilligen Einschränkungen
lag vor allem in den fürchterlichen Verfolgungen, denen die Juden
Frankreichs und Deutschlands vom Beginn der Kreuzzüge an
ausgesetzt waren. Eine Folge dieser äußeren Bedrängnis war die
Versenkung in die religiösen Quellen des Judentums, in welchen
die Menschen Trost suchten und fanden. So öffneten sie sich auch
mystischen Strömungen. Diese jüdische Geistesbewegung führt
den Namen „Chaside Aschkenas", die Frommen in Deutschland,
in deren Mitte das Sefer Chasidim entstand. Mit der mystischen
Versenkung zusammen ging das Bestreben, sich durch Fasten zu
läutern. Zahlreiche weder in Bibel noch Talmud begründete Fasttage
gehen auf die „Frommen" zurück.

Die besondere geistige Situation in Deutschland förderte die
Aufgeschlossenheit für abergläubische Bräuche, die meist aus der
nichtjüdischen Umwelt stammten. Die sephardischen Juden hingegen
übernahmen nur solchen Aberglauben, den sie aus dem
Talmud oder aus einer P6eudo-Wissenschaft (Astrologie u.a.) ableiten
konnten. Diese kritischere Haltung nehmen die Sephardim
auch gegenüber dem Religionsgesetz ein. Philosophisch geschult,
versuchten sie hinter den alttestamentlichen bzw. talmudischcn
Geboten einen rationalistischen Sinn zu entdecken, während sidi
die Aschkenasim die Einstellung von R. Jacob b. Ascher zueigen
machten: „Wir braudien keine Gründe für die Gebote zu suchen;
sie sind für uns königliche Dekrete, 6elbst wenn wir ihren Grund
nicht wissen" (Tur, Jore dea, Kap. 181) (typischerweise in einer
Polemik gegen Maimonides).

Im letzten Teile seines Buches beschäftigt sich Zimmels mit
Gemeindeproblemen der Aschkenasim und Sephardim, wie sie in
den rabbinischen Responsen zum Ausdruck kommen, ferner mit
der verschiedenartigen Aussprache des Hebräischen und Fragen,
die sich ergeben, wenn Kontakte zwischen Sephardim und
Aschkenasim entstehen.

Das Buch enthält insgesamt drei Vorworte; eines stammt
vom englischen Oberrabbiner, eines vom Autor, ein drittes
schließlich von dem Vorsitzenden des „Publication Comittee".
Statt dieser Vorreden wäre gewiß ein Abkürzungsverzeichnis für
die zahlreichen von Zimmels zitierten mittelalterlich-jüdischen
Werke am Platze gewesen, auch hätte ein Literaturverzeidinis
nicht zu fehlen brauchen. Für ein Studium des mittelalterlichen
Judentums wird dieses Werk hervorragende Dienste leisten.

Basel Ernst Ludwig Ehrl ich

Wallach, Luitpold: Liberty and Letters. The Thoughts of Leopold
Zunz. London: East and West Library 19 59. XI, 157 S. gr. 8° •
Publications of the Leo Baeck Institute of Jews from Gcrmany. Lw.
17 s. 6 d.

Der aus Deutschland (Laupheim/Württ.) stammende Mediävalist
Wallach, (zuletzt vgl. seine Abhandlung „Alcuin and Char-
lemagne", Traditio 9, 1953, 129ff.) hatte schon 1936 eine Arbeit
über Zunz verfaßt, von der aber nur ein Teildruck vorliegt. Mit
Hilfe des Leo Baeck Institute (London, New York, Jerusalem)
konnten jetzt 6eine sieben Kapitel und einen etwas verunglückten
Epilog umfassenden Zunzforschungen zur Veröffentlichung
gebracht werden. Der Akzent ruht auf dem Idcengcschiditlidien
und nicht auf dem Biographischen, obschon es zu bedauern ist,
daß die große Briefpublikation des gleichen Instituts aus dem