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Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

735-737

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Aeschimann, André

Titel/Untertitel:

Le prophète Jérémie 1960

Rezensent:

Bardtke, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

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ALTES TESTAMENT

A e s c h i m a n n, A.: Le prophete Jeremie. Commentaire. Neuchätel:
Delachaux & Niestie [1959]. 247 S. 8°. sfr. 9.50; geb. 12.50.

Der Verlag Delachaux & Niestie hat eine ganze Reihe solcher
Kommentarwerke herausgebracht, so von W. Vischer zwei
Bände zu den fünf Büchern Mose und den vorderen Propheten,
Baischeits Einführung in das AT, Gollwitzers Kommentar zum
Lukasevangelium, Thurneysens Jakobuskommentar sowie Lüthis
Kommentar zum Johannesevangelium. Alle diese Werke haben
den Vorzug, zwar allgemeinverständlich geschrieben zu sein, aber
dennoch so wissenschaftlich gearbeitet zu sein, daß 6ie als eine
glückliche Synthese zwischen wissenschaftlicher Exegese und
allgemeinverständlicher Auslegung anzusprechen sind. Das gilt im
besonderen von dem vorliegenden Werk Aeschimanns, der zwar
bescheiden ausspricht, keinen neuen Forschungsbeitrag liefern zu
können, aber sich gründlich und sachkundig in der vorhandenen
Jeremialiteratur umgesehen hat und ein eigenes Jeremiaverständ-
nis vorlegt. Als die besondere Aufgabe seines Kommentars bezeichnet
er, das Buch des Jeremia in den historischen Kontext zu
stellen und dabei das prophetische Wort in seiner Aktualität für
den modernen Menschen deutlich zu machen. Diese Zielsetzung
entspricht dem gesamten Kommentarwerk, das jeweils den Menschen
des betreffenden biblischen Buches und den Gott, dessen
Zeuge dieser Mensch ist, herauszustellen trachtet. Aeschimann ist
aus der Schule von Lucien Gautier hervorgegangen und ist schon
lange in geistlichen Ämtern, die ihm seine prophetischen Studien
vertiefen halfen, tätig.

Der Kommentar bietet keine laufende Übersetzung, sondern
setzt die Kenntnis des masoretischen Textes sowie der LXX
voraus. An französischen Übersetzungen werden vorausgesetzt
die „Version Segond", die „Version Synodale", die „Bible du
Centenaire" und die „Bible de Jerusalem". Man mag dieses Fehlen
einer eigenen Übersetzung als einen Mangel beklagen, er
wird aber aufgewogen durch die Art, wie der Verf. auf den Urtext
eingeht und wie er seine Auslegungen mit Übersetzungen aus
dem hebräischen Urtext durchsetzt. Der Auslegungsteil ist so angelegt
, daß nach kurzer Einleitung, für gewöhnlich eine erste
„Ortsbestimmung" des Textes, Noten zum Text gegeben werden
, die Textkritisches, Einzelheiten der historisch-kritischen
Interpretation sowie Übersetzungsmöglichkeiten betreffen. Griechisch
wird gelegentlich ohne Transkription geschrieben, Hebräisch
erscheint nur transkribiert. Die Auslegungen sind mitunter
etwas kurz. Nicht alle Fragen, die Anrecht auf Besprechung haben,
werden besprochen. Aber hier wird bei jedem Kommentar etwas
zu wünschen übrig bleiben.

Zweiunddreißig Druckseiten füllt die Einleitung, die zunächst
das Königreich Juda mit dem König, Beamten, Priestern,
Propheten, Volk des Landes, Handwerker und Sklaven bespricht.
Unter den „Ereignissen eines Jahrhunderts", die im zweiten Kapitel
besprochen werden, fällt da6 negative Urteil auf, das über
Manasse gefällt wird, ohne daß der Versuch gewagt wird, irgendeinen
Grund für das Verhalten Manasses zu finden; Manasse erscheint
zuweilen bei den Historikern in dem Licht eines „Judas
Ischarioth des AT", doch wohl sehr zu Unrecht! Dieser König,
seine a6Syrertreue Haltung und dazu seine lange Regierung gewährten
dem Land die äußere Ruhe und die Möglichkeit stiller
Entwicklung, wenn es überhaupt konstante Verhältnisse bilden
wollte. Das dritte Kapitel zeichnet die Wirksamkeit des Jeremia
in den verschiedenen Jahrzehnten und Perioden seines Lebens.
Dann folgt die Besprechung des Buches Jeremia, wobei Verf. 6ich
im wesentlichen auf die Ergebnisse Mowinckels zurückzieht in der
Unterscheidung der Quellen A, B, C; dann bilden 46-51
Quelle D und die Kapp. 30-33 die Quelle E. Der prophetischen
Botschaft des J. ist das Kap. V gewidmet, wobei das eigentlich
Neue und Wesentliche der Botschaft des J. unter den Begriffen
Interiose, Personnalise, Spiritualise entfaltet
wird. In dem Satz Jeremie annonce l'Evangile erreicht
die Ausführung ihren Höhepunkt und zeigt zugleich auch
die Eigenart der hier vorgelegten Auslegungsarbeit, die offenbarungsgeschichtliche
Linien zum NT ausziehen will. Interessanterweise
erscheint die von J. empfangene Offenbarung als eins der

wesentlichen Elemente für die Lösung des Problems „Einheit
beider Testamente". Bei der Besprechung der geistlichen Persönlichkeit
des Propheten im 6. Kapitel sagt Verf. mit Recht, daß
Jeremia nächst David der Mann ist, den wir am besten kennen,
und dessen Herzschlag wir zu spüren meinen. Er besitzt ein
temperament extremement sensible, aber keine
sensiblerie. Sensibilite und timidite 6ind
Charakterveranlagungen, dagegen war sein Glaube erworbene
Eigenschaft. J. gehörte nach T. Fallot zu den „croyants de
premiere main". Ein letztes Kapitel behandelt die literarisch
feststellbare Nachwirkung des Jeremia bi6 in die Schriften
des NT hinein. Freilich ist nach Meinung des Rezensenten zuviel
getan, wenn man nachjeremianische Spuren in den Psalmen finden
will, so in Ps. 1 und 69. Hier hat den Verf. seine Jeremialiebe
vielleicht über das Ziel hinausgeführt.

Einige Einzelheiten seien zur Charakterisierung des Buches noch
erwähnt. Es fällt auf, daß der Verfasser öfter den Begriff de« Heldischen
auf Jeremia anwendet. Es kann bei einer Persönlichkeitszeichnung nicht
ausbleiben, daß Begriffe verwendet werden, die mitunter zuviel enthalten
. Das ist bei diesem Begriff der Fall. Ein Held trägt auch Züge,
die Jeremia nicht gehabt hat. Der Held reizt von sich aus das Schicksal.
Jeremia steht aber im Namen seines Gottes und muß gegen Jahwe und
sich die Volkswut reizen. Das ist aber nicht genau die Situation des Helden
. Es fragt sich überhaupt, ob man mit so abgebrauchten Begriffen
einer Prophetengestalt nahen und mit ihnen sie zu erfassen trachten soll.
Ob dafür nicht überhaupt eine neue Begriffsprägung notwendig erscheint
? Gerade derartige Kommentare wie der vorliegende sollten in
dieser Sorgfalt der Begriffssprache ihre Hauptaufgabe sehen.

Gut ist das Einfühlungselcment, über das Verf. verfügt. S. 132
vergleicht er 20, 14—18 mit Hiob 3, 3—21, wobei er der Jcr.-Stelic die
zeitliche Priorität gibt wegen des persönlichen, weniger literarischen
Akzentes.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Verf. im laufenden
Au6legungstext 6ich auf die verschiedenen Kommentatoren älterer und
neuerer Zeit beruft. Calvin erscheint öfter, auch Luther wird zu
Kap. 29, 11 ff. mit seiner großartigen Übersetzung zitiert. Duhm,
Cornill und andere neuere Exegeten tauchen ebenfalls auf. Zu Kap. 29
und der dort erkennbaren Haltung der 597 exilierten Juden vergleicht
Verf. die Haltung der Thessalonicher, die die Wiederkunft des Herrn
und das Ende der Welt erwarteten. Er dehnt diesen Vergleich nur auf
die mentalite aus und hat zweifellos damit nicht unrecht, wenn
man daran denkt, daß diese Haltung der Exilierten wohl auf den im
Exil ergangenen Prophetensprüchen beruhte. Aber man muß auch das
politische Element dieser Haltung sehen, das gerade die Parallele zu
den Thessalonichern nicht wahrscheinlich macht. Bei Kap. 30/31 nimmt
Verf. an, daß ein älteres Jeremiaorakel aus der Zeit des Josia mit Bezug
auf die verbannten Israeliten de6 Nordreichs später der Situation
des Südreichs und seiner Verbannung angepaßt sei, letzteres entweder
durch Jeremia selbst oder einen seiner Schüler. Verf. spricht in diesem
Zusammenhang von der Polyvalenz des prophetischen Wortes. Für die
Nachfahren mag diese wohl zugegeben werden. Bei 31,31—34 entscheidet
Verf. sich für jeremianische Herkunft dieser berühmten Stelle,
weil sie in der Linie des Propheten läge unter Bezugnahme auf Jcr. 24,7.
Bei Kap. 33 hält er jeremianische Verfasserschaft bei Vers 4 —5a und
12 f. für möglich. In Kap. 34 führt er das Anwachsen der Sklaverei auf
politische Verwirrungen und die babylonische Invasion zurück, die viele
Israeliten zwang, sich in die Sklaverei zu verkaufen. Doch ist wohl das
Sklavenproblem älter. Schon im 8. Jahrhundert zwang die Umstellung
von der Natural- zur Geldwirtschaft viele Bauern in Lohnarbeit und
Sklaverei, die Zeit des assyrischen Tributes ließ danach keinen Wohlstand
aufkommen. Das Sklavengesetz im Dt. im Vergleich zum Bundcs-
buch läßt doch wohl das Sklavenproblem älter erscheinen, nicht bloU
als Produkt der Situation des Sommers 586. Soll man die Widerrufung
der Sklavenbefreiung nur auf die Untreue zurückführen oder nicht
vielmehr auf eine Staatsraison, die in der Aufhebung der Belagerung
plötzlich vor einer neuen Situation stand und dieser Rechnung tragen
mußte? Mir scheint, daß die ausschließlich ethische Beurteilung nicht
genügt. Prophetisches Urteil und staatliches Handeln aus politischen
Motiven stehen oft, 60 auch hier, im Gegensatz zueinander.

Durch den zweiten Entwurf der Urrolle von 605 will Verf. erklären
, daß Anspielungen auf spätere Ereignisse in die früheren Jcrcmia-
sprüche hineingekommen sind. Le prophete a pu „gauchir
le texte de ses oracles successif« en tenant
compte de ce qui s'etait passe depuis leur
premiere emission (S. 195). — Für die Gründe, die Ismacl
zur Ermordung Gedaljas veranlaßtcn, muß gesagt werden, daß sie allesamt
nicht überzeugend sind. Es kann nicht die Aufgabe sein, nach
Gründen zu fragen, wenn nur eine einzige Quelle zur Verfügung steht-
Hier wird man nie über bloße Mutmaßungen herauskommen. Bei den