Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 10

Spalte:

725-734

Autor/Hrsg.:

Lohff, Wenzel

Titel/Untertitel:

Lutherische Dogmatik zwischen Kerygma und Dogma 1960

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

725

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 10

726

Lutherische Dogmatik zwischen Kerygma und Dogma

Bemerkungen zur Dogmatik Regin Prenters1

Von Wenzel L o h f f, München

Erlösung" (Christologie) § 25—33 (271—415) und: „Der Mensch
der Erlösung" (Pneumatologie, ordo salutis, Eschatologie) § 34
—40 (416—544). Im Ganzen ist also der traditionelle Aufbau
eingehalten, die Christologie dabei schon umfangmäßig als
Haupt- und Herzstück der Dogmatik ausgewiesen.

In § 7 und 10 wird die Bedeutung des Bekenntnisses formal
entfaltet. Es ist in erster Linie „gottesdienstliches Bekenntnis",
d.h. der lebendige Vorgang der Überlieferung der evangelischen
Botschaft in der Gemeinde und nur insofern auch formulierbar als
Symbol, erst sekundär wird es zum theologischen Lehrbekenntnis
. Es geht daher nicht an, um der Abgrenzung gegen den
Katholizismus willen den Begriff der Überlieferung ausschließlich
in Gegensatz zur Schrift zu stellen. Die Differenzierung der
Konfessionen zeigt sich vielmehr in der verschiedenen Funktion,
welche die Überlieferung für ihre Lehre besitzt. Die römische
Kirche läßt die Botschaft der Schriften untergehen in der Tradition
als universaler pneumatischer Realität, welche durch das
lebendige Lehramt garantiert wird. Seinen dogmatischen Ausdruck
findet dies Verständnis in dem „intimen Zusammenhang
zwischen Papalismus und Mariologie" (113), „ ,Neue Dogmen",
die der Papst proklamiert, können nur ,mariologischer' Art sein.
Die .christologischen' sind ja formuliert" (114). Die konfessionelle
Bestimmtheit der Dogmatik im Sinn Prenters richtet sich
daher in erster Linie gegen den römischen Katholizismus, und
zwar so, daß gegenüber der Entmächtigung der biblischen Botschaft
durch das unfehlbare Lehramt, welche die Heilsgewißheit
raubt, die unmittelbare Macht des Evangeliums bezeugt wird,
von seiner Wahrheit selbst zu überzeugen (153). Verglichen
damit sind alle anderen Gegensätze sekundär. Gegen die anderen
Konfessionen bewahrt die Dogmatik deshalb grundsätzlich Offenheit
. Prüfstein für eine mögliche Kirchengemeinschaft wäre nach
Prenter eine theologische Stellungnahme zur Confessio Augustana
(nicht etwa deren Annahme). Ein organisatorischer Zusammenschluß
ohne Lehrgemeinschaft ist ihm gemäß CA VII
fragwürdig (165). Aus dieser ökumenischen Haltung heraus lehnt
Prenter einen kirchenrechtlichen „Konfessionalismus", der sich
auf die Bekenntnisse als fixierte Autoritäten beruft, temperamentvoll
ab, weil in ihm das Hören auf die Botschaft der Schrift
aufhöre.

Vor einigen Jahren ist der lutherischen Theologie das
Zeugnis ausgestellt worden2, daß es ihrer Arbeit an neuen
Aspekten fehle und daß sie immer mehr auf den Bereich der
lutherischen Kirche beschränkt sei. Gegenüber der seit 1950
alles beherrschenden Auseinandersetzung zwischen „Positivismus
" und „Existentialismus" schien der konfessionelle Gegensatz
an Bedeutung zu verlieren. Ein dogmatisches Denken, das durch
ihn bestimmt ist, schien notwendig gegenüber dem Niveau der
heutigen Problematik abzufallen und auf ihm keine Antworten
mehr zu haben. Inzwischen ist freilich C. H. Ratschows bedeutendes
und eindeutig lutherisch geprägtes Werk „Der angefochtene
Glaube" erschienen und schon zuvor wurde mit der
Begründung der Zeitschrift „Kerygma und Dogma" — 6chon im
Titel — ein neues theologisches Programm ausgegeben, an dessen
Ausarbeitung erstmalig auch das skandinavische Luthertum
maßgebend beteiligt ist.

Die Dogmatik des Aarhuser Systematikers R. Prenter, die
nun in zwei Bänden in deutscher Übersetzung vorliegt, kann in
gewissem Sinne als eine Ausführung jenes Programms angesehen
werden. Sie versteht sich als „Auslegung des Dogmas" und
insofern als „Zwischenglied zwischen der allgemein formulierten
Einsicht des Dogmas und der konkreten Ausformung der
Verkündigung" (6). Doch heißt das nicht, daß sie Explikation
formulierter Dogmen zu sein habe. Prenter will von Dogma
mit Barth nur im Singular reden und es als unmittelbare Aussage
des Glaubens im Bekenntnis verstehen (5). So kann er die Dogmatik
geradezu für „dogmenfrei" erklären (7). Sie ist an die im
Bekenntnis erfaßten heiligen Schriften gebunden, nicht an formulierte
credenda und kann daher auch unmittelbar als Zwischenglied
zwischen Exegese und Homiletik bezeichnet werden (172)
— eine Ortsbestimmung, die an anderer Stelle gerade für das
Dogma gegeben wird (4).

Mit der Charakterisierung der dogmatischen Arbeit als
..Zwischenbestimmung" eignet sich Prenter die Einstellung an,
die seit der „dialektischen" Erneuerung des dogmatischen Denkens
den meisten Entwürfen gemeinsam ist: jene Zurücknahme
der dogmatischen Aussage in den geschichtlich bestimmten Lebensakt
von Hören und Bekennen, durch welche auch der Sachgehalt
der Aussage (im Gegensatz sowohl zur alten pura doc-
trina wie zur neuprotestantischen Deduktion oder Deskription)
in eigenartiger Weise in die Schwebe gebracht wird. Es ist klar,
daß von daher auch der konfessionelle Charakter der Dogmatik
gegenüber dem älteren (altprotestantisch-doktrinären wie neu-
protestantisch - morphologischen) „Konfessionalismus" in bestimmter
Weise modifiziert werden muß. Wie er gemeint ist,
2e'gt sich bereits in der Grundlegung, die im Gegensatz zum
..religionsphilosophisch - apologetischen Typus" (exemplifiziert
an Schlc iermachcr und Nygren) als Auslegung und Kritik überkommener
Bckenntnisüberlieferung gefaßt wird. Als Prüfung
konfessioneller Überlieferung an der heiligen Schrift ist sie
••konfessionell-ökumenische Äutoritätskritik" (29).

Der konfessionellen Bestimmtheit der Dogmatik will Prenter
auch im Aufbau Rechnung tragen. Er folgt dem sachlichen

Prenter sieht hierbei den Sinn der reformatorischen Bekenntnisformulierungen
wesentlich in ihrem Überlicferungs-
charakter — in der positiven Formulierung der Heilsbotschaft.
Würde der vor allem in den reformatorischen Bekenntnissen
wesentliche Charakter der antihäretischen Entscheidung stärker
betont, so müßte wohl die Verbindlichkeit der reformatorischen
Lehrbekenntnisse (von denen besonders die Konkordienformel
eine u. E. nicht ganz gerechtfertigte scharfe Kritik erfährt 129)
und ihre (in der Verkündigung der Recht fertigung unumgängliche
) „kirchen recht liehe" Bedeutung dogmatisch höher
angesetzt werden. Das würde allerdings auch weniger bedenklich
sein, weil die Bedeutung der Lehrbekenntnisse tatsächlich mehr
in der Abweisung klar erkannter Verfehlungen am Evangelium
als in der das Schriftstudium lähmenden Schaffung einer partiku-

_ -------- — .....«' ■ »f,vil. I i I I ■ ■ ■ I ■••««■-■VI ■ ' " | «M* 'II UflJ JUll 11 I M UUIUIII Ulli II H. Hl

Fortschritt der Artikel der Augsburgischen Konfession, natürlich laren Lehrkonformität zu suchen ist.

Sritl^W?" Systemat'sie™"g- Yon /en mit durchlaufender j Die iutherisdle Ei enart von Prenters Dogmatik zeigt sich

sinn!nZahl,vers'jhenen Banden enthalt der erste in § 1-3 die Be- materiell in der Bedeutung, welche die Unterscheidung von Ge-

nnung über die Aufgabe der Dogmatik in § 4-14 (29-179) setz und Eva ljum in der gesamten Darstellung bis zu den

«: eigentlichen Prolegomena und schließlich in §15-24 die ]et2ten Di besjtzt Sie ist nicnt „Lehre" im objektiven

s2yon„ deL Schöpfung mit den Abschnitten: „Der Gott der Sinnc, ge6chweige denn „Prinzip" im Sinne eines obersten

und n mGo"cslehre- Schöpfung und Erhaltung) (180-230) Axjoms gje ste,]t skh vielmehr dar a]s ein lebendiger Vorgang,

lehref^ Mc , der Schöpfung" (Anthropologie und Sünden- dessen Vollzug immer wieder erst den spezifisch „evangelischen"

von LI ilv- 1 i ZWeite Band sdlließt daran an die Lellre I Charakter dogmatischer Sätze herausarbeitet, die für sich genom-

—^r^nosung, wiederum mit den Abschnitten: „Der Gott der men aucfa unevangeiisch, „gesetzlich" mißverstanden werden

«u jlJT'niVi1' Regül: Schöpfung und Erlösung. Dogmatik. (Übers. können und dann gerade das Gegenteil des rechten Glaubens

iThre von Z IZ^c Chr, B°«hncke - Sjöberg.) I.: Prolegomena. Die ; darstellen.

-554. oA^^^TiJ^^L ^ Darin, daß diese Unterscheidung ein existentieller Vorgang

DM H.50; Lw. 2US. DM M.Ü Ruprcdlt 1958/6°' gr 8 • Ka ' im Leben des Glaubens selbst ist, erweist sich auch der Vorrang

J) O. Weber, Grundlagen der Dogmatik I, 1955, 178 f. des Glaubens vor der Lehre, der in der konfessionalistischen