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1960

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

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Theologische LiteratuTzeitung 1960 Nr. 9

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ist Unglaube gegen Gott" (S. 85). Die Freizeit gibt Möglichkeiten
zur Bildung, sie kann dem Ausbrechen aus dem Spezialistentum
und aus der Verkümmerung des menschlichen Lebens dienen
(S. 95). Sie soll aber auch Entspannung, nicht jedoch Zerstreuung
bringen. Unter diesem Gesichtspunkt werden Kino, Teilnahme
an Sportveranstaltungen und anspruchslose Geselligkeit positiv
gewertet (S. 99 ff.). — Ein Abschnitt über den Lohn leitet zur
Lehre vom Eigentum über. Beim Lohn wird unterschieden zwischen
dem Lohn als Besoldung und dem Lohn des Fabrikarbeiters.
Die Besoldung soll frei machen zum Dienst, frei von der Frage
nach dem Durchkommen (S. 103 f.). Beim Lohn wird nicht nur
unterstrichen, daß e6 keine absolut gerechte Lohnordnung gibt
(S. 108), sondern, daß der Arbeiter neben besserem Lohn auch
eine gerechtere Ordnung der Arbeit fordert (S. 150). Dabei darf
über der Ordnung der Arbeit in der Gesellschaft die Ordnung
der Arbeit im einzelnen Betrieb nicht übersehen werden (S. 152).
Die Fragen des Leistungslohns und des Familienlohns (S. 110 ff.)
und der Mitverantwortung des Arbeiters im Betrieb (156 ff.)
werden in ihrem Für und Wider erörtert. Was das Eigentum anbetrifft
, so hat die christliche Gemeinde weder eine neue Eigentumsordnung
zu verkündigen, noch die bestehende als gottgewollt
zu verteidigen (S. 126). Schutz des Eigentums ist keineswegs
etwas Selbstverständliches. Es muß vielmehr geprüft werden
, welches Eigentum geschützt werden kann. Bei steigenden
Bodenpreisen werde die Frage nach der Begrenzung der Freiheit
dessen, der Land besitzt, immer dringender (S. 139 f.). Andererseits
wird die Möglichkeit, von großen Vermögen einen rechten
Gebrauch zu machen, durchaus bejaht. Das wird durch Hinweis
auf das Mäzenatentum unterstrichen (S. 142 ff.). Der Verf. hebt
die Gefahren der im modernen Geld- und Kreditwesen eingetretenen
Versachlichung des Leihens und Ausleihens hervor, ebenso
die Gefahren de6 Renten- und Versicherungswesens (S. 131 f.).
Vielleicht müßte hier auch der Gewinn, der in solcher Versachlichung
liegt, noch mehr bedacht werden. Abgesehen von der
wirtschaftlichen Notwendigkeit wird durch die Institutionalisierung
des Kreditwesens in Banken und Sparkassen der Umfang
des privaten Wuchers 6tark eingeschränkt. Die großen sozialen
Leistungen der verschiedenen Versicherungsinstitutionen, der
Kranken-, Arbeitslosen- und Altersversicherungen sind zunächst
einmal einfach anzuerkennen, unbeschadet der Mängel in Organisation
und Leistung, die auch in Überorganisation und die Eigenverantwortung
schmälernder Leistung bestehen können.

Der kritische Leser des Buches möchte manches ausführlicher
erörtert haben, vor allem was die wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnisse und die Versuche anbetrifft, die damit verbundenen
Probleme zu lösen. Auf anderes dagegen hätte verzichtet werden
können. Das gilt besonders von manchen biblischen Partien, zu-
nal der Verf. 6elbst immer wieder betont, daß die Ordnungen
des AT und des NT nicht in gesetzlicher Weise verbindlich geflacht
werden dürfen. Die langen Erwägungen über das Eigentum
in Israel z.B. (S. 113 ff.) erübrigen sich damit eigentlich. Oder
soll en die Einrichtungen und Ordnungen des ,.Gottesvolks" doch
eine maßgebende Bedeutung haben? Die vorbildliche Funktion,
die die um das Evangelium von Christus gesammelte Gemeinde
für das rechte Verhältnis von Ruhe und Arbeit haben soll (S. 4).
«ie Art, wie das Feiern und die Arbeit der Gemeinde zur Ruhe
und Arbeit im eigentlichen Sinn erklärt werden, könnten darauf
hinweisen. Sie erinnern an Barths umstrittene Bestimmung des
Verhältnisses von Christengemeinde und Bürgergemeinde. Vor
allem vermißt man eine grundsätzliche Klärung, welche Bedeutung
die Vernunft, d. h. die Urteilsfähigkeit und das Verantwortungsbewußtsein
auch der Nichtchristen in allen sozialethi-
S(hen Fragen hat.

Mnrl>urg/Lalin Hans Graß

'^ombois, Hans: Die weltliche Strafe in der evangelischen Theologie.

Mit Beiträgen von W. Hardwig, K. Janssen, C. H. Ratschow und
*• Rendtorff hrsg. Witten: Luther-Verlag 1959. 172 S. 8° = Forschungen
und Berichte der evangelischen Studiengemeinschaft, hrsg. v.
G Howe, Bd. 16. Kart. DM 9.80.

Im Blick auf die bevorstehende westdeutsche Strafrechtsreform
haben einige Theologen und Juristen des Christophorusstiftes
(.früher in Hemer/Münster, nun in Heidelberg) sich der schwierigen
Frage nach der theologischen Motivierung der Strafe zugewandt
. Das Buch enthält folgende Aufsätze: Dr. theol. Trutz
Rendtorff, Münster, beginnt mit einer historischen Übersicht, betitelt
,,Die Begründung des weltlichen Strafrechts in der theologischen
Ethik seit Schleiermacher". Dies ist der umfangreichste
Beitrag (S. 9—97). Der folgende Aufsatz trägt den Titel „Vom
Sinn der Strafe" (S. 98—116) und stammt von Prof. D. Dr. Carl
Heinz Ratschow, Münster. Privatdozent Dr. jur. Werner Hardwig,
Hamburg, diskutiert „Tat- und Täterstrafrecht im Lichte der
Strafrechtsreform" (S. 117—141), Prof. Lic. theol. Karl Jansen,
Münster, „Tat- und Täterstrafrecht in theologischer Beleuchtung"
(S. 142—159). Abschließend folgen die „Diskussionsbemerkungen
zur theologischen Begründung des weltlichen Strafrechts" (S. 160
—172) von Staatsanwalt a. D. Dr. Hans Dombois.

Fast auf allen Gebieten der gegenwärtigen Sozialethik stößt
die Diskussion auf die Frontlinie, die auf der einen Seite durch
eine lutherisch orientierte Theologie und auf der anderen Seite
durch die sogenannte christologische Ethik (K. Barth und Anhänger
) gebildet wird. In der Debatte um die theologische Motivierung
der Strafe stehen die Standpunkte, die P. Althaus,
W. Eiert und Fr. Gogarten eingenommen haben, in einem unversöhnlichen
Gegensatz zu Karl Barths Versuch, das Recht aus
der in Christus geschehenen Rechtfertigung abzuleiten. In den
vorliegenden Aufsätzen werden von mehreren Verfassern Gogar-
tens und K. Barths Auffassungen als zwei extreme Standpunkte
einander gegenübergestellt. Als ein Resultat der Debatte scheint
sich jedoch bei der Mehrzahl der Teilnehmer die Auffassung
durchgesetzt zu haben, daß keiner der beiden extremen Standpunkte
befriedigend ist, obwohl beide sicherlich auf etwas Richtiges
hinweisen (vgl. S. 8 3 und 161 f.). Am weitesten in Richtung
auf ein neues, positives Fundament stößt Trutz Rendtorff vor
(vgl. S. 8 5 ff.). Er vertritt die Ansicht, daß der Ausgangspunkt
eine Anthropologie sein muß, die damit Ernst macht, daß der
Mensch ein Sünder ist. Die Rechtsordnung ist sowohl Gottes
Reaktion auf die Sünde als auch „Gnadenordnung, weil die
Schuld nicht erst an ihr entsteht, sondern ihre Voraussetzung ausmacht
, weil sie darum den Menschen in seiner Schuld zum Leben
bewahrt". „Die Strafe ist wirksames zu-Recht-bringen des Täters,
sie hält ihn bei der Rechtsordnung fest, fügt ihn ihr wieder ein."
Falsch ist es dagegen, die Lehre von Recht und Strafe aus einer
Lehre vom Staat als „Schöpfungsordnung" abzuleiten. Denn dies
führt leicht dazu, daß die Strafe nur als „Wiederherstellung der
verletzten Rechtsordnung" betrachtet wird (vgl. S. 71). Einen,
wenn möglich, noch größeren Fehler begeht man jedoch, wenn der
Ausgangspunkt K. Barths gewählt wird. Denn soll das Recht aus
der Tatsache abgeleitet werden, daß die Welt in Christus versöhnt
ist, kann man, wenn man konsequent verfährt, überhaupt
zu keinem Strafrecht gelangen!

Nach Ansicht des Rezensenten ist Rendtorff auf der rechten
Spur. Die in seinem Entwurf angedeuteten Prinzipien bahnen
einen neuen Weg, der aus der Sackgasse herausführt, in welche
die gegenwärtige theologische Diskussion über Recht und Strafe
geraten ist. Von Rendtorffs Ausgangspunkt her scheint man auch
die Basis für ein Gespräch mit den Juristen und für die Teilnahme
an der Debatte über die Gestaltung der Gesetze zu gewinnen.
Es darf, wie mehrere Verfasser betonen, nicht länger so bleiben,
daß die Theologen schweigen, sobald es konkrete Fragen zu behandeln
gilt. Die Sozialethik darf nicht nur Prinzipien aufstellen,
sondern muß auch die komplizierte Wirklichkeit unserer Gegenwart
studieren und die verschiedenen Alternativen gegeneinander
abwägen können. Das vorliegende Werk weist in die rechte Richtung
, wenn es auch noch keine endgültigen Lösungen anbietet.

Lund (Schweden) Gunnar Hillerd»!

Greiffenhagen. Martin: Die Verstehensproblematik im Dialog
zwischen Soziologie und Theologie, untersucht am Beispiel der Institution
.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1960 S. 159—176.
Karrenberg, Friedrich: Die Eigentums-Diskussion in der neueren
evangelischen Theologie.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1960 S. 136—148.
K ö b e rl e, Adolf: Die Schwangerschaftsunterbrechung in der seel-.
sorgerlichen Beratung.
Die Innere Mission 50, 1960 S. 97—103.