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Ausgabe:

1960 Nr. 1

Spalte:

46-48

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnackenburg, Rudolf

Titel/Untertitel:

Gottes Herrschaft und Reich 1960

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 1

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daß Jesus während seiner mehrjährigen Wirksamkeit ein Passah
in Galiläa verbracht hat und damals nicht nach Jerusalem gezogen
ist- Dieses Passah sei Joh. 6, 4 gemeint, und insofern für Nicht-
Pilger der Synagogengottesdienst an den Sabbaten vor Passah
als Vorbereitung auf die Feier des Festes fern von Jerusalem besonders
wichtig gewesen sei, lasse Joh. 6, 59 in Verbindung mit
6, 4 fragen, ob nicht der Abschnitt Joh. 6, 1-59 (um diesen Teil
des Kapitels geht es in der vorliegenden Arbeit) in Beziehung zu
bestimmten jüdischen Passah-Vorstellungen stehe bzw. von ihnen
her seine richtige Beleuchtung erfahre. In einer Reihe von Teiluntersuchungen
bemüht Verf. sich in anregender Weise um die
Klärung dieser Frage.

Im Abschnitt „John 6 and the Synoptic Parallels" (S. 6—13) geht es
darum, ob hinter der Ansetzung des Stoffes von Joh. 6 zur Passah-Zeit
ältere Traditionen stehen können oder ob es sidi hierbei um einen von
vornherein ungeschichtlichen, weil lediglich auf bestimmte joh. Tendenzen
zurückgehenden Zug handelt. Diese Vorfrage wird im ersten Sinn
entschieden, und zwar durch Vergleich mit der synopt. Darstellung in
Mark. 6,20—8,31 Par. (unter Ausscheidung freilich des Problems der
Doppelüberlieferung S. 7). Spuren davon, daß Einzelheiten der Mark.-
Darstellung mit der joh. Anordnung übereinstimmen, werden S. 9—11
in 5 Punkten zusammengestellt. Obwohl diese Beobachtungen weder
einzeln noch in ihrer Gesamtheit völlig zwingend sind, mag das Ergebnis
gleichwohl richtig sein: „John returns to the 'original' grouping of
the Gospel material" (S. 12). Im folgenden Abschnitt "The Jewish
Passover Texts and their Relation to John 6" (S. 14—19) ist nicht übersehen
, daß unsere Kenntnis der in den Tagen Jesu in der Passah-Zeit
zur Verlesung kommenden Perikopen und der sonstigen Passah-Texte
durchaus lückenhaft ist, doch betont Verf., daß wir über das Wichtigste
trotzdem informiert sein dürften. Daraus ergibt 6ich, daß vor allem die
Erinnerung an das Manna-Wunder eine bedeutende Rolle gespielt hat.
Darauf, daß Josua 5, 12 zu den Passah-Lektionen gehört hat, wird Ge-
wicht gelegt (S. 15. 19) und auch der Nachweis geführt, daß die Reihenfolge
„Speisung / Wandel auf dem See" nicht gegen die Parallelität mit
„Durchgang durch das Rote Meer / Manna-Wunder" spreche (S. 18.
Anm. 2). Interessant ist die Beziehung zwischen ungesäuertem Brot und
Manna, die dem Judentum (unter Einbeziehung auch von Gen. 18) bedeutsam
erschienen ist (S. 14).

Im Abschnitt "The 'Imperishable' Bread and the Three Ages"
(S. 20—2 5) wird im Anschluß an Daube (vgl. diese Zeitschr. Jahrgang
1958, Sp. 348 ff.) der Aufbau von Joh. 6 untersucht und auf Grund der
rabbinischen Verwendung der 3 Verben in Ruth. 2, 14c deren Wichtigkeit
für die typologi6che Auslegung herausgestellt. Die Beziehung zwischen
Speisungswunder, Manna-Rede und Abendmahl tritt hierbei erstmals
stärker in das Blickfeld (S. 22 ff.). Der nächste Abschnitt "John 6
and the Jewish Passover Haggadah" (S. 2 5-29) bemüht sich um den
Aufweis wichtiger Übereinstimmungen: die von Daube belegte „tripartite
form" (S. 25 f.) und die Vierzahl von Fragen (S. 26 f.), die auch in der
Manna-Rede zu erkennen seien (S. 27 ff.).

Eine neue Seite des Problems wird im Abschnitt "The Passover
Celebrations of the Early Church as a Milieu for John 6" (S. 29—3 8)
aufgedeckt. Es wird (ohne übermäßige Betonung quartadeeimanischer
Eigentümlichkeiten) der Nachweis unternommen, daß die Urkirche noch
das Pas6ah gefeiert habe, und zwar nach jüdischer Liturgie. Beträchtlichen
Raum nimmt hierbei die Auswertung der Passah-Homilie des
Melito von Sardcs ein (S. 30—3 5). Solche typologisdie Ausdeutung des
Exodus-Stoffes, wie sie schon im NT vorkomme (S. 36f.: 1. Kor. 10, 1 ff.;
5. 6 ff.), ergebe den rechten Hintergrund für Joh. 6. Dodi sei in diesem
Kapitel auch historisdies Material verarbeitet: "The Historical Back-
ground of John 6" (S. 38—42). Die Notizen 6,4. 59 könnten durchaus
ursprünglich sein (S. 38). Beziehungen zwischen Mahlzeit und Messiasreit
, wie 6ie für das galiläische Passah Jesu (Speisung) anzunehmen seien,
würden zudem auch im Sondergut Luk. 22, 15—18 sichtbar (S. 39 f.).
Unter dem Einfluß des Todes-Passahs Jesu habe die Manna-Rede später
ihre endgültige Form erhalten (S. 42). Ein letzter Abschnitt untersucht

The Charactcr of the Last Supper" (S. 42-52). War Jesu letztes Mahl
uun ein Passah-Mahl? Unter Modifikation eines Vorschlages von Theo

reis« meint Gärtner: es sei ein Passah-Mahl gewesen (die Synopt. Unterdahl
"h"1"pd'CS' WaS nidlt daS redlte Bi,d er?ebe)' aber ein Passah-
a*™ „°jne Passah-Lamm (weswegen Joh. es nicht als Passah-Mahl schildere
und mit seiner Chronologie im Recht sei).

Man muß dem Verf. zubilligen, daß er sich vor Überspitzungen
hütet und bei seinen Thesen stets vorsichtig zu Werke
geht, beme bennft darf daher unbeschadet ihres geringen Umfang
als ein beachtenswerter Beitrag zur Diskussion über die in Joh. 6
vorliegenden Probleme gewertet werden.

Einige der Einwände, die geltend zu machen sind, seien genannt. Ob
der Satz Mark 8, 14 b, falls er die Deutung auf Jesus als Lebensbrot
verlangt (S. Ii), schon auf den Evangelisten selbst zurückgehen kann?

Die Erwähnung des Sauerteigs Mark. 8,15 Par. mit der Passah-Situation
in Verbindung zu bringen (S. 13), halte ich für eine exegetische Spielerei.
Daß Apg. 20,6 sich auf eine Passah-Feier innerhalb des judenchristlichen
Teils der Gemeinde von Philippi beziehen müsse (S. 30. 51), ist
in keiner Weise sicher. Vielleicht handelt es sich nur um eine Zeitangabe
(vgl. E. Haenchen, Apg. S. 522). Ist jedoch, was mir wahrscheinlicher
ist, ein Feiern des Fe6tes gemeint, so ist die Möglichkeit nicht
fernzuhalten, daß Paulus mit den Judenchristen von Philippi an der Feier
der dortigen kleinen jüdischen Gemeinde teilgenommen hat. Die Frage,
ob und wieweit es damals im Judentum eine Passah-Feier ohne Passah-
Lamm gegeben hat, muß doch wohl noch gründlicher studiert werden.
Beachtlich ist der Hinweis Gärtners auf Josephus, Ant. 14, 214 (S. 42 f.),
aber ergibt sich von hier aus ein sicherer Beleg für eine in der Diaspora
übliche lammlose Passah-Feier? Auch die Ausführungen bei E. Stauffer,
Jesus S. 87. 1 58, Anm. 10 sind zu fragmentarisch. Was die von Stauffer

5. 86 festgestellte Nicht-Erwähnung des Lammes in den synopt. Berichten
betrifft: sollte nicht die Formulierung von Luk. 22, 15 f. stärker beachtet
werden? Daß Jesus seine Deuteworte nicht beim Essen des Lammes gesprochen
hat, läßt auch eine andere Erklärung zu als die, daß überhaupt
kein Lamm auf dem Tische lag. Auch die Erwähnung der Fische Mark.

6. 3 8 Par. (Gärtner S. 49) muß diese nicht notwendig als Ersatz für ein
fehlendes Passah-Lamm und somit ak Argument für die Existenz einer
lammlosen Passah-Mahlzeit erscheinen lassen (beim letzten Mahl ist
ohnehin von Fischen nirgends die Rede). Daß die Schafe Joh. 2, 14 joh.
Hinweis auf Passah bzw. Polemik gegen die Notwendigkeit eines Passah-
Lamms sein sollen (S. 51), ist wenig glaubhaft (und die Rinder und Tauben
?). Zu Unrecht rechnet Verf. auch mit der Möglichkeit, daß die joh.
Bezeichnung des Passah als eines Festes „der Juden" dieses von einem
christlichen Passah unterscheiden wolle (S. 52).

Bern Wilhelm M ichael i s

Schnackenburg, Rudolf: Gottes Herrschaft und Reich. Eine
biblisch - theologische Studie. Freiburg: Herder 1959. XVI, 255 S.
gr. 8°. Lw. DM 21.50.

Die katholische Arbeit am Neuen Testament hat sich in den
letzten Jahrzehnten in zunehmendem Maße auch der Neutestamentlichen
Theologie in ihrem Zusammenhang zugewandt, und
nachdem M. Meinertz 1950 die erste Neutestamentliche Theologie
in deutscher Sprache veröffentlicht hatte, legt nun R.
Schnackenburg eine Untersuchung über Wesen und Entwicklung
des Gottesherrschaftsgedankens vor, die die Gnindstruktur der
neutestamentlichen Verkündigung in ihrem geschichtlichen Ablauf
darstellt. Da6 Buch beruht auf umfassender Kenntnis der
Quellen und ihrer modernen Erforschung, setzt sich in kleinen
Exkursen immer wieder mit abweichenden Anschauungen auseinander
und bietet zweifellos eine eindrückliche Darstellung der
Entwicklung der neutestamentlichen Heilsverkündigung, bei der
weniger die Einzelexegese (die aber überall spürbar wird) als die
Aufspürung von geschichtlichen Zusammenhängen im Blickpunkt
liegt.

Ein 1. Teil (S. 1-47) skizziert „Das Königtum Gottes im
Alten Testament und Spätjudentum". Es wird mit Recht betont,
daß die Vorstellung von Jahwes Herrschaft als König, erfahren in
seinem geschichtlichen Handeln, älter ist als die Bezeichnung
Jahwes als König, daß der kultische Preis des Königs Jahwe, der
kein eigenes Fest erfordert, „Gottes Herrschaft über die Schöpfung
von Urbeginn an, sein Walten in der Geschichte und 6ein
eschatologisches Königtum" verbindet, und daß bei Dcuterojesaja
das eschatologische und das universale Verständnis des Königtums
Jahwes in den Vordergrund treten, während bei ihm der Gedanke
eines irdischen Statthalters des Königtums Gottes fehlt. Für das
Spätjudentum wird das Nebeneinander der alten nationalen und
der apokalyptisch-transzendenten Eschatologie betont und daneben
die verborgene Gottesherrschaft der Rabbinen gestellt, der
durch Gesetzeserfüllung Anerkennung verschafft werden kann,
wobei die theologische Problematik dieser verschiedenen Vor-
stcllungsformen besonders hervorgehoben wird. Doch beansprucht
dieser klare Überblick nicht, mehr als eine Bekanntes
zusammenfassende Einführung zur Erörterung des neutestamentlichen
Befundes zu 6ein.

Das Kernstück des Buches bildet der 2. Teil: „Die Königs-
herrschaft Gottes in der Verkündigung Jesu", auch dem Umfang
nach der größte Abschnitt (S. 49-180). In vier Kapiteln bietet
hier S. allgemeine Ausführungen über das Wesen der Gottesherrschaft
in der Verkündigung Jesu, über die Gegenwart und