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Ausgabe:

1960

Spalte:

615-617

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Dostojevskij, F. M.

Titel/Untertitel:

Pisʾma IV: 1878-1881 1960

Rezensent:

Onasch, Konrad

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615

Theologische Literatuirzeitung 1960 Nr. 8

616

Hettlinger, Richard F.: The Unity of Anglicanism.

Anglican Theological Review 42, 1960 S. 135—141.
Klein, Joseph: Was trennt uns heute von den Katholiken?

Evangelische Theologie 20, 1960 S. 49—70.
Leuba, Jean-Louis: Verschiedene Kirchen, muß das sein?

Una Sancta 14, 1959 S. 233—241.
Petry, Kurt: Weltfronleichnam 1960. Gedanken zum kommenden

Eucharistischen Weltkongreß.

Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts 11, 1960 S. 6—8.
S a r t o r y, Th.: Gedanken zur Regel von Taize.

Una Sancta 14, 1959 S. 242—262.
Westphal, Charles: The Marks of the Church — A Protestant

Viewpoint.

Anglican Theological Review 42, 1960 S. 91—100.

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

D o s t o j e v s k i j, F. M.: Pis'ma IV: 1878—1881. Pod redakciej i s
primecanijami A. S. D o 1 i n i n a. Moskva: Gosudarstvennoe izda-
tel'stvo Chudozestvennoj literatury 1959. 606 S. DM 5.30; Rubel 10.55
(= F. M. Dostojevskij, Briefe, IV. Bd. Unter der Redaktion und mit
Anmerkungen versehen von A. S. D o 1 i n i n).

Der 4. Band der Briefe Dostojevskijs schließt die hervorragende
Ausgabe und Lebensarbeit A. S. Dolinins ab. Der I. Band
umfaßte die Jahre 1832-1867 mit den Nrn. 1-264 (Moskva-
Leningrad 1928). Der II. Band enthielt die Briefe der Jahre 1867
bis 1871 mit den Nrn. 265-393 (Moskva-Leningrad 1930). Hinzu
kommen die von P. N. Sakulin Moskva-LeningTad 1930 publizierten
, bis dahin nicht herausgegebenen Briefe aus dem Dosto-
jevskij-Archiv der Jahre 1839—1865. Die Nrn. dieses Bandes
laufen mit denen von Bd. I in Klammern gesetzt parallel. Der
Bd. III schließlich sammelte die Briefe der Jahre 1871—1878 mit
den Nrn. 394—612 (Moskva-Leningrad 1934), während der vorliegende
IV. Bd. die Nrn. 613—935 enthält. Dabei entstammen
die Nrn. 795—935 den verschiedensten Jahren von 1833 angefangen
. Sie bringen nicht nur Briefe, die bisher an anderen Stellen
, z. B. in den „Erinnerungen" Andrej Michajlovic Dostojevskijs
(Leningrad 1930) veröffentlicht waren, sondern auch Notizen,
Eintragungen u. ä. Wie jeder Band bringt auch dieser letzte eine
Einleitung und zu jedem Brief einen Kommentar. Unentbehrlich
für das ganze Werk ist das Namensregister von S. 473—598.
Gerade mit diesem Register besitzt nun die Forschung ein Instrument
von unschätzbarem Wert, um eine der wichtigsten Quellen
für Dostojevskijs Leben und Werk, seine Briefe, voll erschließen
zu können. Sie ist dafür dem sovjetischen Gelehrten zu großem
Dank verpflichtet.

Während der Jahre 1878—1880 hat Dostojevskij an den
„Brüdern Karamazov" gearbeitet. Die Briefe dieser Zeit spiegeln
das Werden dieses letzten großen Romanes mannigfach wider
. Ich kann hier nur einige Beispiele nennen. Im Brief vom
16. März 1878 bittet Dostojevskij den Schriftsteller und Pädagogen
W. W. Michajlov, ihm aus seiner Praxis mit Schülern alles
zu schreiben, was für die Schilderung des Lebens von Kindern
wichtig ist. „Ich plane einen großen Roman und werde ihn bald
beginnen, in dem unter anderen auch Kinder, vor allem Minderjährige
im Alter von ungefähr 7 bis 15 Jahren vorkommen werden
" (Nr. 617, S. 6—7). Bereits in seinem Romanfragment
„Netocka Nezvanova" und im „Kleinen Helden" zeigte sich das
durch die Lektüre Rcwsseaus und nicht zuletzt durch die von
dem Jugendfreund Sidlovskij nahegebrachten Romantiker angeregte
Interesse Dostojevskijs für die Kinderpsychologie. Im
„Idioten" spielt das Milieu der Kinder im Zusammenhang mit
Myskin eine wichtige Rolle. Im „Atheismus"-Roman ist es der
„kleine Wolf", der Held des Romanes, an dem er die Schwierigkeiten
in der Entwicklung eines besonderen Kindes aus einer
„Familie aus Zufall" darstellt. Mai 1874 findet sich die Notiz:
„Roman über Kinder, allein über Kinder und den Kinderhelden"
(Leonid Grossman: 2izn' i trudy F. M. Dostojevskogo, Moskva-
Leningrad 1935, S. 226). Im „Jüngling" wieder ist es die Psychologie
eines Halbwüchsigen, aus der im „Ich"-Stil die ganze
komplizierte Handlung reflektiert wird. Im „Memento" zum
Roman der „Brüder Karamazov" (F. M. Dostojevskij, Materialy

i issledovanija, pod redakciej A. S. Dolinina, Leningrad 1935,
S. 81-82, 350-351 und K. Mocul'skij, Dostojevskij, Paris 1947,
S. 468—469) geht der Dichter auch auf die Kinderarbeit in der
Fabrik und das Leben in den Gymnasien ein. Schließlich gehört
auch sein Besuch des Findelhauses im Mai 1876 zu dieser seiner
Beschäftigung mit Kindern („Tagebuch eines Schriftstellers"
1876, Mai, 2. Kapitel). In den Entwürfen zu den „Brüdern
Karamazov" ist es zunächst noch der Idiot, der sich mit Kindern
beschäftigt. Dann weicht er Alesa Karamazov, der auch im Roman
die Zentralfigur dieses Dostojevskij unablässig bewegenden
Themas wurde. Es war die religiöse Potenz der kindlichen Seele,
die den russischen Dichter mächtig anzog, und die sich ihm seit
den Tagen Bjelinskijs mit dem anderen gewaltigen Thema des
„Paradieses auf Erden" verband. In der berühmten Schlußszene
der „Brüder Karamazovs" mit Alesa und den jungen Freunden
des soeben beerdigten H'jusenka verbindet er beide Themen zu
einer für sein literarisches Wollen kennzeichnenden Ekstase und
Vision, von der es fraglich bleibt, ob sie christlich ist.

Es wurde der Name Bjelinskijs genannt, den Dolinin mit
einigem Recht den „Doppelgänger" Dostojevskijs genannt hat
(vgl. A. Rammelmeyer: Dostojevskijs Begegnung mit Bjelinskij,
in: Zeitschr. für slav. Philologie, 11. Bd. (1951), 1 ff. und 273 ff.).
Dostojevskij ist sein Leben lang nicht von Bjelinskij losgekommen
. Er hat ihn weniger aus sachlichen Gründen als aus persönlichem
Affekt gehaßt. Um so interessanter ist ein Brief Dostojevskijs
an einen unbekannten Vater, der ihn um Ratschläge für
die Lektüre seines Sohnes bittet. Dieser Brief ist kurz vor seinem
Tode am 19. Dezember 1880 geschrieben. Dort heißt es u.a.:
„Wenn Sie wollen, können Sie ihm auch Bjelinskij geben. Aber
mit den anderen Kritikern warten Sie noch etwas" (Nr. 789,

5. 222).

Eines der interessantesten Briefdokumente dieses Bandes ist
aber die Antwort Dostojevskijs auf einen Einwurf K. P. Pobje-
donoscevs auf seinen „Großinquisitor". Pobjedonoscev, der
wichtigste konservative und erzreaktionäre Innenpolitiker dieser
Epoche und späterer Oberprokuror des heiligen Synods, hatte
dem Dichter geschrieben: „Ihr Großinquisitor hat auf mich einen
tiefen Eindruck gemacht. . . Nur habe ich irgendeinen Einwand,
eine Widerlegung und eine Erläuterung erwartet, aber sie kam
nicht." Dostojevskij, der mit Pobjedonoscev seit einigen Jahren
befreundet war, antwortete am 24. August/13. September 1879
aus Ems: „Sie stellen eine äußerst notwendige Frage: daß sich bei
mir keine Antwort auf alle diese atheistischen Einwürfe findet,
daß sie ihnen aber erteilt werden muß. Eben das aber ist zur Zeit
meine Sorge und meine ganze Unruhe. Denn die Antwort auf
diese ganze negative Seite wird, so habe ich es beabsichtigt, das

6. Buch „Ein russischer Mönch" sein, das am 31. August erscheinen
wird. Und deshalb zittere ich in Gedanken an es — wird es
eine ausreichende Antwort sein? Und dieses um so mehr, als ja
die Antwort nicht unmittelbar, . .. sondern mehr indirekt sein
muß ... Es muß auch noch die Notwendigkeit des Künstlerischen
vermerkt werden: Es ist notwendig, eine bescheidene
(skromnnuju) und erhabene Figur darzustellen, indessen ist (ihr)
Leben voller Komik und erhaben nur in einem mehr inneren
Sinne, so daß ich unwillkürlich der künstlerischen Forderung
nachkommen mußte, in der Biographie meines Mönchs auch die
trivialsten Seiten anklingen zu lassen, damit er dem künstlerischen
Realismus keinen Schaden zufügt" (Nr. 694, S. 109). Im
Rahmen dieser Rezension kann zum Text dieses Briefes nur Folgendes
gesagt werden: 1. Die Dostojevskij-Forschung ist sich bis
zum heutigen Tage nicht einig, ob in jenem 6. Buch der „Brüder
Karamazov" wirklich eine gültige Antwort auf den Atheismus
Ivan Karamazovs gegeben worden ist. 2. Liegt dieser Mangel an
den von Dostojevskij selbst angeführten Stilmitteln des Komischen
und des Ironischen (vgl. auch Stcnder-Petereen in dieser
Zeitschrift, Nr. 8 (1958), Sp. 575), oder liegt er tiefer, nämlich
in der Grundkonzeption Dostojevskijs, wie ich sie in jenem Artikel
anzudeuten versuchte? Immerhin darf nicht übersehen werden
, daß nicht nur Dostojevskijs erbittertster Gegner, Leont'jcv
(vgl. auch Brief Dostojevskijs an Pobjedonoscev vom 16. August
1880, Nr. 765, S. 195), sondern auch die Mönche von Optina-
Pustyn' des Dichters Schilderung eben in jenem 6. Buch abgelehnt
haben (I. von Kologriwof: Von Hellas zum Mönchtum-