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Ausgabe: | 1960 |
Spalte: | 608-609 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Neuzeit |
Titel/Untertitel: | Die Zweite Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zu Dahlem 1960 |
Rezensent: | Jacobi, Gerhard |
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von dem Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart von Johann
Christoph Adelung (5 Bde, Leipzig 1774—1786): „Dieses Wörterbuch
hat Hamann nicht nur besessen und rezensiert, sondern
auch gelesen, während sich die ganz prominenten Hamann-
Kritiker mit dem Rezensieren begnügen" (VI, p. XVII). Vermutlich
sollte es „Nadler-Kritiker" heißen. Aber wie dem auch
sei, ich würde mich gern der mühseligen Kurzweil unterziehen,
Nadlers ganzen Schlüssel zu Hamann von A.A.G. bis Zyniker
durchzulesen, nur konnte ich nicht eine volle Woche oder länger
alle übrige Arbeit liegen lassen und verzichte lieber auf den Titel
eines prominenten Hamann-Kritikers, als daß ich die Redaktion
und die Leser weitere Jahre auf eine Äußerung zu diesem Lexikon
warten lasse. Dabei will ich Nadlers Warnung nicht ganz
ungehört lassen. Es ist leider wahr, daß wir das Geschäft des
Rezensierens manchmal leichter nehmen als Hamann und seine
Zeitgenossen. Aber wenn ich auch nicht sagen darf, ich hätte
alle Artikel des Hamann-Lexikons gelesen, so habe ich es doch
benutzt. Ich kann verstehen, daß mancher lieber Hamann liest,
ohne ihn zu verstehen, als daß er etwa in jeder zweiten oder
dritten Zeile innehält, um ein Stichwort nachzuschlagen. So ist
es mir jedenfalls gegangen, als ich begann, Hamanns „Versuch
einer Sibylle über die Ehe" mit dem Schlüssel zu lesen. Das wird
bei längerer Lektüre anders. Aber zunächst wurde ich lebhaft an
die Zeiten erinnert, als ich anfing, den hebräischen Text des Buches
Hiob zu präparieren. Was sollte ich aber Höheres zum Lobe
des Hamannlexikons sagen können? Es läßt nach Möglichkeit
nichts aus, was der Erklärung bedarf, und übersetzt noch dazu
alle Zitate aus der Antike (die neusprachlichen nicht).
Eine Übersetzung des Clemenszitates (III, 201, 30) habe ich vergeblich
gesucht. Nadler hat allerdings „die verhältnismäßig wenigen"
Zitate „übergehen müssen, die reine Abschreibungen 6ind und nicht
notwendig zu der betreffenden Stelle gehören" (VI, p. XIV). Das erste
pflegt bei Zitaten die Regel zu sein, und wer will das zweite bei Hamann
immer ganz sicher unterscheiden? Wilke (III, 201, 32) hat weder
im 5. noch im 6. Bande einen eigenen Artikel. Die dankenswerte Verbesserung
eines Hamannschen Schreibfehlers in dem Artikel „Harmonie"
(VI, 166 Hamann schreibt Psalm 58, 56, was Nadler in Psalm 68,26
verbessert) würden wir eher im Apparat erwarten (III, 450), während
andererseits Zitate aus Wieners Lexikon im Apparat überraschen. Was
sollen wir aber z.B. mit der Angabe bei Wiener anfangen: „C. T. D.
Vom historischen Glauben S. 43. 54" (III, 450), wenn Nadler uns
nicht den vollen Namen des Verfassers mitteilen kann. Zwei Druckvereehen
6eien vermerkt, die mir aufgefallen sind: In der Überschrift
des Artikels Menno Simons (VI, 245) ist das Komma zwischen beiden
Namen zu streichen. In der Übersetzung des Horazzitates me gelidum
nemus. .. (VI, 244) ist die Übersetzung von gelidum ausgefallen. Der
Text läßt eine Lücke.
Im Artikel Freudenöl (VI, 136) zitiert Nadler Psalm 45.9:
„Deine Kinder 6ind eitel Myrrhen —" und schreibt dazu: „Der
Psalm hat ,Kinder', H. hat .Kleider'." Gleichwohl setzt H. die
Stelle als wörtlich zwischen Anführungszeichen. Man sieht auch
hier, wie frei H. in seinen Centos mit den Originalstellen umspringt. .
Um 60 törichter ist es, mit dem Finger auf solchen Originalstcllen dem
Herausgeber textkritisch auf die Beine helfen zu wollen. H. setzt
„Kleider" für „Kinder", um den Dreiklang mit Zeile 20 und 24 herauszubringen
". Die beiden anderen Zitate sind l.Mose 27,27 und Hoheß-
lied 4,11. 12. 14 (II, 266). Aber der Urtext von Psalm 45,9 hat
„Kleider", ebenso die Septuaginta und die Vulgata. Sollte die
Lutherbibel, Basel 1751, die Nadler allein für seine Hamannausgabe
benutzt hat („Ich habe nie in meinem Leben eine Konkordanz
benützt.. ." VI, p. XVII), wirklich „Kinder" sagen?
Ich konnte es nicht nachprüfen. Erst recht aber kann ich es nicht
unterlassen, an dieser Stelle Nadler „textkritisch auf die Beine zu
helfen" — um der Bibel und um Hamanns willen. Da Nadler sich
rühmen darf bis in seine reifen Jahre „ausschließlich die Vulgata gelesen
" zu haben (VI a. a. O.), hätte er dort „vestimenta" finden
können.
Das sind gewiß nur wenige und zufällige Bemerkungen, die
höchstens als Verbesserung, nicht als Kritik verstanden sein
wollen. Das Hamannlexikon ist ein sehr nützliches Unternehmen.
Es wird durch die kommentierte Ausgabe der Hauptschriften,
die Fritz Blanke und Lothar Schreiner herausgeben, nicht überflüssig
werden, auch wenn es bequemer sein mag, den Kommentar
unter dem Text zu lesen als häufig in einem Lexikon zu
blättern.
Halle/Saale Hans Urner
N i e m ö 11 e r, Wilhelm (Hrsg.): Die zweite Bekenntnissynode der
Deutschen Evangelischen Kirche zu Dahlem. Text-Dokumente-Berichte
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1958. 240 S. gr. 8° =
Arb. z. Gesch. d. Kirchenkampfes, hrsg. von K. D. Schmidt, Bd. 3.
Kart. DM 14.70.
Den Kirchenkampf 1933 bis 1945 so darzustellen, wie er
wirklich war, ist offenbar schon heute außerordentlich schwer.
Die Wahrheit wird schnell überdeckt durch Einseitigkeiten und
Halbwahrheiten, durch historische Unrichtigkeiten oder auch nur
durch leise Verschiebungen der Tatbestände, vor allem durch
schöne Legenden, die dadurch entstehen, daß man Persönlichkeiten
als Helden sehen und verehren will. In der Kirche sollte
dies alles eigentlich nicht vorkommen; aber auch in ihr tritt eben
das Menschliche-Allzumenschliche in Erscheinung. In sämtlichen
Beschreibungen, die ich bisher über den Kirchenkampf las, entdeckte
ich erhebliche Fehler. Wenn das jetzt schon so ist, wie
wird es erst nach 20 oder gar 50 Jahren sein!
Die Legendenbildung erklärt sich auch von daher, daß keiner
der führenden Männer des Kirchenkampfes Zeit hatte, ein genaues
Tagebuch über die Vorgänge zu schreiben, sie hüteten 6ich
auch, der Gestapo die Einzelheiten in die Hände zu liefern. Aber
selbst wenn ein Tagebuch geschrieben worden wäre, so würde in
ihm doch die Subjektivität des Verfassers eine Rolle spielen. In
jeder Sitzung des Reichsbruderrats zeigten sich Übertreibungen
und Halbheiten, Standhaftigkeit und Furcht, Irrtum und Klarheit
. Wer damals einen Kreis von Bekenntnispfarrern leitete,
mußte bei den Beschlüssen auch immer Rücksicht auf die jeweils
vorhandene oder nicht vorhandene Tapferkeit der Amtsbrüder
nehmen, da man keine Verordnungen erlassen soll, von denen
man von vornherein weiß, daß sie nicht befolgt werden. Auch
kamen plötzlich immer neue Angriffe des Gegners, und zum sorgsamen
Durchdenken der Konsequenzen des kirchlichen Handelns
war oft nicht genügend Zeit. Stets mußte man im Kirchenkampf
unter Druck handeln, unter äußerem Druck und unter Zeitdruck.
Schließlich und vor allem taten sich neue theologische Einsichten
auf, die nicht von heute auf morgen zu verkraften waren,
die jedenfalls nicht nach 24 Stunden zu aktualisieren waren.
Auch eine neue Sicht von der Kirche hob an; die Kirche rang um
ein neues Selbstverständnis. Bis diese Erkenntnisse den letzten
Bekenntnispfarrer erreichten und ihn zu einer existentiellen
Entscheidung zwangen, vergingen naturgemäß oft Monate und
Jahre. Inzwischen gab es schon längst wieder neue Angriffe und
neue Erkenntnisse.
Aus alledem erklärt sich, daß die wahrheitsgetreue Darstellung
des Kirchenkampfes eine überaus schwere Aufgabe in sich
birgt.
Diese allgemeinen Vorbemerkungen wurden hier gerade
darum gemacht, weil sie für das Buch von Wilhelm Niemöller
„Die zweite Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche
zu Dahlem" nicht zutreffen. Nicht nur, daß D. Nicmöllcr auf
jede Hcldenverehrung verzichtet, er legt in diesem Buch lediglich
authentisches Material vor. Eine spätere Zeit wird das Material
theologisch und zeitgeschichtlich auszuwerten haben.
In seiner Dokumentensammlung bringt Wilhelm Niemöller
zunächst eine geschichtliche Einleitung. In ihr ist sonderlich interessant
die Bemerkung aus einer Niederschrift über die Dahlem
vorbereitende Sitzung des Reichsbruderrats vom 15. bis 16. Oktober
1934; in ihr heißt es: „Ein Vertreter behauptet, es gäbe
nur vier Möglichkeiten: Abbruch des Kampfes, Freikirche, Leiden
, Pfarrerstreik." In jener Sitzung habe man sich mit Fragen
beschäftigt, die durch die Stichworte „Interdikt, Büß- und Bittgottesdienste
, Bann, Exkommunikation, Erklärung des Schismas,
Aufruf zum Kirchenaustritt, Kirchcnsteuer6treik, Kanzelabkündi-
gung" zu bezeichnen sind. Zusammenfassend läßt sich sagen:
Dahlem war die notwendige Fortsetzung von Bannen, der theologischen
Erklärung folgte das kirchliche Handeln. Es war leichter
(und ist immer leichter), zu einer gemeinsamen theologischen
Erklärung zu kommen als zu einem gemeinsamen kirchlichen
Handeln. Dennoch ist die Bemerkung Niemöllers richtig: ..D'6
theologische Erklärung von Barmen war nicht als Deklamation