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Ausgabe: | 1960 Nr. 8 |
Spalte: | 602 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Reformationszeit |
Autor/Hrsg.: | Jannasch, Wilhelm |
Titel/Untertitel: | Reformationsgeschichte Lübecks 1960 |
Rezensent: | Stupperich, Robert |
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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 8
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KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT
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F a s t, ' Heinold: Heinrich Bullinger und die Täufer. Ein Beitrag zur
Historiographie und Theologie im 16. Jahrhundert. Weierhof/Pfalz:
Mcnnonitischer Geschichtsverein 1959. 214 S. gr. 8° =■ Schriftenreihe
des Mennonitischen Gcschichtsvcrein» 7.J
Die Täufer besinnen sich in unsern Tagen stark auf ihre Geschichte
. Das zeigte sich mir schon beim Lesen mennonitischer
Gemeindeblätter, vor allem aber beim Erscheinen der von der
Kommission der Konferenz schweizerischer Mennoniten 1931
herausgegebenen umfangreicheren Darstellung „Die Taufgesinnten
Gemeinden". Sie wurde in jahrelanger Arbeit, besonders
während der Wintermonate, von geschichtsfreudigen Bergbauern
im Berner Jura verfaßt, eine ganz achtunggebietende Leistung
. Sie war dem Senior mennonitischer Geschichtsschreibung
D. Christian Neff im Weierhof (Pfalz), dem Sitz des mennonitischen
Geschichtsvereins, gewidmet, der 1913 ff. mit Christian
Hege das „Mennonitische Lexicon" herausgegeben hat. Neuerdings
haben die Mennoniten in den USA das Studium der Täufergeschichte
vorangetrieben. Es sei etwa verwiesen auf Harold S.
Benders Werk über Konrad Grebel (1950), 6eine Untersuchung
über die Zwickaucr Propheten, Thomas Münzer und die Täufer
(in der Theol. Zeitschrift, Basel 1952) oder auf die neue Auseinandersetzung
über die Anfänge des Täufertums in der
Schweiz, resp. im Bernbiet, an der mit Paul Peachey, Die soziologische
Herkunft der Schweizer Täufer in der Reformationszeit
1954, Joachim Staedke, Die Anfänge des Täufertums in Bern
(Theol. Zeitschrift, Basel 1955) in The Mennonite Quarterly
Review, Oktober 1957, nebst Heinold Fast, Delbert Gratz auch
wieder Bender teilgenommen hat. Sollen wir auch noch darauf
hinweisen, daß 1958 „The Mennonite Encyclopedia" mit 4 Bänden
zum Abschluß gekommen ist? Nun aber ist die Täuferliteratur
von Ostfriesland her um eine wertvolle Untersuchung bereichert
worden.
Dr. theol. Heinold Fast in Emden, Mitglied der Täuferakten-
Kommission, hat Heinrich Bullingers Verhältnis zu den Täufern
in seiner Heidelberger Dr.-Dissertation (1957) und jetzt in etwas
erweiterter Buchform herausgegeben, dargestellt. In mehr als 1
jährigem Aufenthalt in Zürich hat der Verfasser die dort reichlich
vorhandenen Archivalien, insbesondere die gewaltige, 11500
Nummern zählende Korrespondenz Bullingers benutzt und dabei
ganz neue Einsichten gewonnen. Ein erster Teil der Arbeit ist allgemein
der persönlichen und schriftlichen Begegnung und Auseinandersetzung
Bullingers mit dem Täufertum gewidmet. Diese
erstreckte sich z. B. bis zur Stellungnahme gegenüber Servet und
den italienischen Häretikern. E6 folgt dann ein Überblick über
die erhaltene Polemik Bullingers gegen die Täufer, wobei weiter
die Quellen und die Tendenz seiner Polemik untersucht werden.
In einem Schlußabschnitt wird endlich materiell auf die einzelnen
loci controversiae: Taufe-Bund, Abendmahl-Bann, Gemeinde der
Heiligen, Kirche-Obrigkeit und Autorität der Heiligen Schrift eingegangen
. Wertvoll sind auch die fast ein Viertel der 214seitigen
Arbeit umfassende Beigabc an Qucllenstücken, 60wie das ausführliche
Personen-, Orts- und Sachregister und eine Literatur-
Auswahl in Ergänzung der schon in den zahlreichen Fußnoten
vermerkten Hinweise auf Quellen und Werke. Wenn wir nun
noch die Resultate der vorliegenden Untersuchung zusammenfassen
wollen, so ergeben sich nach Fast folgende Feststellungen:
L Bullinger faßt den Begriff des Täufertums überaus weit,
ohne die doch vorhandenen Unterschiede genügend zu beachten.
2. Er hat das Geschichtsbild der Täuferbewegung bis heute
frark, aber einseitig, bestimmt, indem er ßie vor allem nur in
A^ ^'""E'gkeit von den mitteldeutschen Schwärmern sah.
uch die ersten Auseinandersetzungen zwischen Zwingli und den
"»ufern waren bislang nur in der Bullingerschen voreingenommenen
Berichterstattung bekannt. Ihre Darstellung des Täufertums
muß kritisch berichtigt werden.
3- In der Polemik gegen die Täufer bringt Bullinger kaum
eue Argumente über Zwingli hinaus vor. Freilich hat er sie mit
esonderer Sorgfalt und viel Geschick verfochten, was ihnen dann
ZU ,hrcr Popularität verhalt".
Bullingers Beziehungen zu den Täufern sind wohl gelegentlich
in zu mildem Licht gesehen worden. Da läßt Fast in seinem
Bullinger-Bild das den Täufern zugewandte Gesicht in schärferen,
strengeren Zügen erscheinen. Ob aber diese Linien vielleicht da
und dort vom Verfasser doch zu stark ausgezogen wurden, dürfte
mit Recht nur der behaupten wollen, der zum mindesten eine
so umfassende und tiefe Quellenkunde zu Bullinger besäße, wie
sie Heinold Fast eigen ist. Mit einer geschichtlich zutreffenden
Feststellung ist freilich noch nichts ausgemacht über die sachliche
Unrichtigkeit oder Richtigkeit einer Stellungnahme, auch derjenigen
. . . Bullingers.
BerI> O.E. Strasser
Jannasch, Wilhelm: Rcfortnationsgcschichtc Lübecks vom Petersablaß
bis zum Augsburger Reichstag. 1515—1530. Lübeck: Schmidt-
Römhild 1958. VIII, 437 S., 9 Taf. 4° = Vcröffentl. z. Geschichte
der Hansestadt Lübeck, hrsg. v. Archiv d. Hansestadt, Bd. 16.
Das vorliegende Werk verdankt seine Entstehung einer sich
über fast ein halbes Jahrhundert erstreckenden Arbeit des Verfassers
an der lübischen Reformationsgeschichte. Dem Buche ist
es auf jeder Seite anzumerken, in welchem Maße der Verfasser
mit seinem Gegenstande verbunden ist und mit welcher Hingabe
an die Sache es geschrieben worden ist. In gewisser Weise ist es
ein Lebenswerk. Es gehört in die Kategorie jener mit minutiöser
Sachkenntnis geschriebenen Geschichtsdarstellungen, die immer
seltener werden. Diese Einzelkenntnis ist seine Stärke und sein
Vorzug. Über die bisherigen Forschungsergebnisse führt es in
vielen Stücken hinaus. Auf die großen Zusammenhänge wird
weniger Wert gelegt. Die Verbindung Lübecks mit der Außenwelt
tritt zurück. Im Vordergrund steht das, was in Lübeck
selbst geschehen ist.
Ausgehend von? den Verhältnissen des Spätmittelalters
werden die kirchliche Verfassungsgeschichte ebenso wie die
Frömmigkeitsgeschichte in ihrer Entwicklung verfolgt. Kirchliche
Einrichtungen wie Klöster, Kommenden, Hospitäler u. dgl.
werden ebenso eingehend geschildert wie das kirchliche Wesen,
das sich in Prozessionen, Ablässen, Devotionen usw. äußert.
Die Reformationsbewegung läßt der Verfasser mit dem Peters-
ablaß beginnen. Wie anderwärts wird auch hier bei den beginnenden
Glaubenskämpfen die Verteilung der Kräfte maßgebend.
Eine aufgeschlossene Bürgerschaft tritt dem altgläubigen Rat
samt Kapitel und Klerus entschieden entgegen. In die religiösen
Kämpfe mischen sich soziale und wirtschaftliche Motive. Von/
diesen wird die Haltung einiger Gruppen maßgebend bestimmt.
Die Darstellung der reformatorischen Anfänge geht daher sehr
in die Breite. Von den Quellen her ist es offenbar nicht anders
möglich gewesen. Seit 1524, wo sich die evangelische Predigt
stärker abzuheben beginnt, treten typische Einzelzüge hervor.
Das Auftreten Johann Ossenbrugges läßt zwar noch immer Fragen
offen, für die Kampfeszeit bleibt aber diese Gestalt charakteristisch
. Bedeutendere Persönlichkeiten und große Ereignisse
fehlen in dieser Anfangszeit. Trotzdem ist das ganze aus zahllosen
einzelnen Zügen zusammengesetzte Bild recht anschaulich
und die Darstellung aufschlußreich. Predigtfahrten, Berührungen
mit andern evangelischen Gemeinden u. a. zeigen die Kraft der
Bewegung, der erst nach zehnjährigem Kampf der Sieg zufallen
sollte. Als Zeichen des geistlichen Lebens werden auch der lü-
bische Buchdruck und das niederdeutsche Lied herangezogen, die
in besonderem Maße den Ernst des Glaubens und den Gesamtcharakter
der Frömmigkeit zum Ausdruck bringen. Die Tatsache
muß dabei unterstrichen werden, daß der Verfasser nach Akten
gearbeitet hat, die zum Teil nicht mehr vorhanden sind. Der
Wert seiner Arbeit wird dadurch noch gesteigert. Die Darstellung
führt bis zur Zeit des Augsburger Reichstags, d. h. bis zur
Entscheidung. Die Mission Bugenhagens und 6eine Kirchenordnung
, die Leistungen des ersten Superintendenten Harm
Bonnus u.a. liegen schon jenseits dieser Grenze. Der vorliegende
treffliche Band, um den man Lübeck beneiden könnte, legt allerdings
den Wunsch nahe, daß eine Fortführung dieser Darstellung
im gleichen Rahmen erfolgen möchte.
MUnstcr/Westf. Robert Stuppe rieh