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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

555-556

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bereczky, Albert

Titel/Untertitel:

Der Becher fliesst über 1960

Rezensent:

Hamel, Johannes

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

556

Die kleine Sammlung will mit erfreulicher Entschiedenheit
bekunden, daß Katheder und Kanzel zusammengehören: „Gerade
da, wo man theologisch mit ganzer Leidenschaft um das
Wort Gottes bemüht ist, darf erwartet werden, daß vorwärtsweisende
Wege auch für die Verkündigung gezeigt werden und
daß rechtverstandene Schriftgelehrsamkeit nicht Hemmung, sondern
Förderung für die Predigt bedeutet" (7). Es ist für die Studenten
in mehr als einer Beziehung bedeutsam zu erfahren, wie
die Forschungsarbeit ihrer akademischen Lehrer sich in deren
Predigtdienst an der Gemeinde auswirkt. Der gemeinsame Wille,
keine ungute Kluft zwischen Katheder und Kanzel aufkommen
zu lassen, gibt genügend Raum für die besondere Eigenart und
Prägung jedes einzelnen Beitrages in hermeneutischer und homiletischer
Beziehung. Man kann, wie bei jeder Predigtsammlung,
nicht erwarten, daß jeder Beitrag ins Schwarze trifft. Mit gutem
Recht geht jeder Prediger seinen eigenen Weg und überläßt es
dem Le6er, sich zu überlegen, wie er es wohl selbst gemacht hätte.
Daß ein solches Bedenken gedruckter Predigten eine fruchtbare
Situation bedeutet, ist keine Frage, gerade auch dort, wo man
es anders machen würde. Vielleicht ist die besondere Situation
eines relativ geschlossenen Universitätsgottesdienstes und die
Mentalität dieser Hörergemeinde mit der Grund dafür, daß das
Gespräch mit dem Hörer nicht überall entschlossen genug aus der
konventionellen Sprache der theologischen Argumentation und
Reflexion heraustritt (10, 32 f., 44 f., 58-62, 69-72).

Bemerkenswert ist die glückliche Art, in der Gollwitzer das
kritische Urteil über den 2. Petrusbrief offen zur Sprache bringt
und gleichzeitig homiletisch und seelsorgerlich auswertet („Aber
das darf un6 ja nicht hindern, das wirklich zu hören, was uns dieser
Mann zu sagen hat, — so wie wir uns ja auch heute nicht
immer nur die glänzendsten Prediger aussuchen, sondern auch
die bescheideneren, unvollständigeren Predigten uns zu dem
dienen lassen sollen, wozu sie uns dienen wollen und können",
16). Die Predigt zeigt, wie ein 6pröder Text bildhaft und lebendig
für die Gemeinde aufgeschlossen werden kann. An dem Beitrag
von Vielhauer über die Verklärung6geschichte kann der
Le6er erregend miterleben, zu welcher Wucht der kerygmatischen
Aussage die existentiale Interpretation eines Textes vorzustoßen
vermag, wenn nur in der Exegese tief genug gegraben wird, aber
auch zugleich, an welchen Grenzen sie halt machen muß.

Ein solcher Band bedeutet wesentlich mehr als nur eine Erinnerung
für die gottesdienstlichen Hörer. Er ist zugleich eine
Art Dokument, das die Konturen einer Fakultät deutlicher sichtbar
macht, denn die Art und Weise, wie sie die Verkündigung
auf der Kanzel auffaßt und verwirklicht, gehört heute mit zu
dem theologischen Profil einer Fakultät. Hierin ist ein deutlicher
Wandel gegenüber noch nicht allzu lange zurückliegenden Zeiten
zu verspüren. Es wäre gewiß nicht ohne Gewinn, wenn auch andere
Fakultäten einen ähnlichen Querschnitt durch ihre Verkündigung
auf der Kanzel vorlegten.

Erlangen Knrt Fror

Bcreczky, Albert: Der Becher fließt über. Die Seligpreisungen für
unsere Zeit ausgelegt. A. d. Ungarischen übers, v. L. M. Somoskcöy
u. H. Bürki-Fillenz. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt [1958]. 94 S.
1°. DM 3.-.

Den bibelstundenartigen Auslegungen von Matth. 5, 3—10
ist als Einleitung, „6tatt eines Vorwortes", eine Auslegung von
Lukas 7, 18—23 vorangestellt. Die Art der Auslegung wird durch
folgendes Zitat auf den ersten Seiten deutlich: „Laßt uns den Weg
zur Seligkeit unter Führung dessen suchen, der wirklich auch
zeigen kann, wo unbekanntes Land liegt, da die Seligkeit wohnt
... Fangen wir so an: die .reiche Welt' selbst bestätigt die .Seligpreisungen
'. Jawohl, die .reiche' Welt i s t unglückselig. Dabei
möchte sie so gerne selig sein. Auf zahllosen Wegen sucht sie die
Seligkeit und jagt ihr nach. Welch riesige Anstrengungen macht
sie! Was opfert sie dafür! .Glücklich will ich sein!' Wieviel Sünde,
Wollust, Greuel, — und auf ihrer Spur, wieviel Leiden, Elend und
Sterben kennzeichnen den Weg des reichen Menschen, der ,das
Glück sucht'!" (S. 11 f.).

Auf diesen erwecklich-pietistischen Ton ist das ganze Büchlein
gestimmt, das gut schon vor 70 Jahren hätte erscheinen können
. Insofern führt der Untertitel („ . . . für unsere Zeit ausgelegt
") in die Irre: zeitgeschichtliche Bezüge finden sich kaum
darin, und wenn, dann in ganz allgemeinen Umschreibungen. So
wird Matth. 5, 9 nach drei Richtungen hin behandelt: „Du mußt
Frieden stiften mit dir 6elbst, du mußt Frieden stiften mit anderen
, du mußt Frieden stiften mit Gott" (S. 76). Im zweiten
Teil (Frieden mit anderen) wird der Raum friedfertigen Verhaltens
gegenüber meinem jeweiligen Nächsten („Es ist vorgekommen
, daß unter Christen ein monatelanges, bitteres Verhältnis
entstand, weil der eine gerade dann 6idh abwandte, als ihn der
andere grüßen wollte", (S. 80) mit sehr viel Beispielen für Frieden-
und Unfriedenstiften angefüllt, aber nirgends überschritten.

Das Schriftchen gewährt einen guten Einblick in die praktische
Verkündigung der reformierten Kirche in Ungarn nach
1945 seitens der pietistischen Gruppe, in der der Name des ehrwürdigen
Altbischof Bereczky am bekanntesten ist. Obwohl es
sehr nahe gelegen hätte, in der Verkündigung der Seligpreisungen
die theologischen Linien vom Text zur Fülle der theologischkirchlichen
Entscheidungen zu ziehen, durch die die Kirchen in
Ungarn in der Ökumene bekannt geworden sind, ist das nicht
geschehen, ja, es war bei diesem Verständnis der Seligpreisungen
auch gar nicht möglich.

Naumburg/Saale Johannes H a m e I

Mühlhaupt, Erwin: Evangelisch leben. Predigten mit Luthers Hilfe.
Göttingen: Vandenhoeck 6t Ruprecht [1958]. 151 S. gr. 8°. Lw.
DM 10.80.

Der Verf., der in den fünf gewichtigen Bänden „D. Martin
Luthers Evangelien-Auslegung" (Göttingen 1951/56) uns in noch
weit größerem Umfange als einst Chr. G. Eberle und M. Kreutzer
den Bibelausleger Luther nahegebracht und die unermeßlichen
Schätze seines Schriftverständnisses leicht zugänglich gemacht
hat, will in diesem Predigtbande zeigen, wie man das, was es von
Luther zu lernen gibt, in der Predigt praktisch anwenden kann.
Er sagt einleitend selbst, worauf es ihm ankommt: er will nicht
nur durch Zitate Luther selbst sprechen lassen, sondern das Besondere
jedes Textes so hörbereit wie Luther aufnehmen, es in
der Gemeinverständlichkeit Luthers weitersagen und auf diese
Weise deutlich machen, wie die biblische Zentralcinsicht von der
Rechtfertigung nicht zu einer Verkürzung der Botschaft führt,
sondern, im Gegenteil, ihre Weite und Lebensnähe bewährt. So
sind denn in der Tat Predigten von einer wohltuenden Quellfrische
und Schlichtheit entstanden. Kein Zweifel: Luthers gesunde
Predigtart hat hier ansteckend gewirkt. Wir streiten jetzt
nicht um exegetische Einzelheiten (etwa S. 32, 86, 142). Wir
freuen uns der Unmittelbarkeit, Durchsichtigkeit, Kraft und
Lebensnähe dieser Predigten. Luther wird sparsam (auf etwa
140 Seiten rund 100 Zitate) und jeweils nur kurz zitiert (wichtig
!); es sind meist Sätze von besonderer Leucht- und Farbkraft.
Wie Luther arbeitet Verf. häufig mit Sprichwörtern; so hilft „die
Weisheit der Ga6se" entdecken, wie das Wort Gottes uns mitten
in unserm täglichen Dasein trifft. Die Sprache i6t (obwohl es sich
zu einem nicht geringen Teil um akademische Predigten handelt)
einfältig und anschaulich, ohne 6impel und platt zu werden. Der
Alltag bietet Gleichnisse und Beispiele. Die Bibel selbst wird,
wie bei Luther, ausgiebig als Beispiclsdiatz benutzt. Die Predigten
haben einen unpathetischen, schlicht menschlichen Ton. Sie
strömen Wärme au6. Hier und da geht die allgemeine Fröhlichkeit
geradezu in Humor über. Verf. liebt sein Gesangbuch; man
fragt sich, ob er im Zitieren von Gesangbuchversen — manchmal
wollen 6ie mir nicht so recht gefallen — des Guten nicht hier und
da ein wenig zuviel getan habe. — Auf alle Fälle könnte unserer
Predigt durch ein solches Vorbild in mehr als einem Punkte geholfen
werden. Unsere intellcktualistische Blutarmut und Blässe,
unsere dogmatisti6che Verengung, unsere unveranschaulichten
Behauptungen und Beteuerungen (ohne daß wir sagten, wieso
das Behauptete wahr ist), unsere oft so unfrohe Art, „Evangelium
" zu predigen, — das alles sind Krankheiten und Schäden,
denen da6 vorliegende Predigtbuch an seinem Teil wirksam abhelfen
kann.

Dölzig/Leipzig Gottfried Voigt