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Ausgabe:

1960 Nr. 1

Spalte:

34-35

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Atlas der deutschen Volkskunde 1960

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 1

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Kennzeichen der Neuauflage des LThK, daß die dogmatischsystematischen
Beiträge gegenüber den historischen in der Raumverteilung
erheblich bevorzugt sind. Offenbar ist das Selbstbewußtsein
der Dogmatiker (um nicht zu sagen der Herrschafts-
anspruch) nicht auf eine Konfession begrenzt. Das hat aber doch
wohl die Konsequenz, daß das LThK nicht nur ein Nachschlagewerk
ist, sondern zum Teil auch ein theologisches Lehrbuch. Damit
6tellt sich dann die Frage nach Tendenz, Haltung und Richtung
des Werkes. Denn ein reines Nachschlagewerk wird man ja
nur danach beurteilen dürfen, ob die gebotenen Informationen
richtig und ausreichend sind. Ein Werk wie das neue LThK, bei
dem ein starker Akzent auf den systematisch-theologischen Darstellungen
liegt, muß darüber hinaus befragt werden, welche
theologische Position es vertritt.

Nun ist die Antwort auf diese Frage beim LThK verhältnismäßig
einfach, da einem katholischen Werk dieser Art von vorneherein
durch die Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes bestimmte
Grenzen gezogen sind. Und es ist eine Selbstverständlichkeit
, die jeder anerkennen wird, daß alle Artikel den katholischen
Standpunkt vertreten. Aber dreierlei muß dazu noch gesagt werden
: 1) Die Darstellung von Phänomenen aus den Bereichen der
evangelischen Kirche und der evangelischen Theologie ist von
einer beachtlichen Kenntnis und einer anerkennenswerten fairness
(ein Musterbeispiel dafür ist der Artikel „Evangelischer Bund"
im Vergleich mit seinem Vorgänger in der ersten Auflage).
2) Die dogmatischen Artikel sind trotz der Bindung an kirchliche
Lehrentscheidungen oft sehr selbständige denkerische Leistungen.
So finden sich z.B. unter den Stichwörtern „Angelologie", „Ekkle-
siologie", „Eschatologie" u. a. „Versuche einer theologisch-
wissenschaftstheoretischen Besinnung über den theologischen
Traktat" der Angelologie, Ekklesiologie, Eschatologie usw.,
d.h. es sind sehr selbständige systematische Abhandlungen. 3) Die
biblisch-exegetischen Artikel (z. B. „Apokalypse", „Apostelgeschichte
", „Bergpredigt") sind trotz ihrer kirchlich-lehramtlichen
Bindung erstaunlich gut. Die historisch-kritischen Probleme
werden gesehen und erörtert, auch wenn uns dann die Lösungen
nicht immer überzeugen.

Es wäre unbillig, wenn man angesichts der Fülle der guten
Artikel an Einzelheiten herumkritisieren wollte. Immerhin soll
doch auf einige Kleinigkeiten aufmerksam gemacht werden. Dabei
kann auf die Aufzählung der Druckfehler verzichtet werden; si;
sind äußerst selten (z.B. I 313 s.v. „Alexandros" von Alexandrien
muß es heißen: Festschrift für G. Dehn). Im Artikel „Antiklerikalismus
" wird das Buch von Th. Ellwein, Klerikalismus in
der deutschen Politik, als antikirchlich deklariert. Das ist einfach
falsch. Denn Ellweins Arbeit ist weder antikirchlich noch antikatholisch
, sondern wendet sich nur gegen den klerikalistischen
Zug in der deutschen Politik. Solche kurzen Urteile, die erfreulich
selten sind, sollten vermieden werden. Denn die katholische Kirche
ist doch nicht identisch mit dem politischen Katholizismus! —
Der Artikel „Adoptianismus" hat schwache Stellen: der Adoptia-
nismus im Neuen Testament ist keine Erfindung der liberalen Kritik
, sondern Tatsache, und von Paulus von Samosata würde ich
auch nicht behaupten, daß er einen krassen ebionitischen Adoptianismus
vertreten habe. — Das Urteil über „Oliver Cromwell" ist
zwar betont sachlich, kann aber doch nicht den Anspruch auf ein
wirklich gerechtes Urteil über diesen Staatsmann (und das war er)
erheben. — „W. M. L. De Wette" ist weniger seiner rationalistischen
Anschauungen wegen (so kann man seine Theologie ohnehin
kaum bezeichnen) als vielmehr wegen seines Briefes an die
Mutter des Kotzebue-Mörders Sand abgesetzt worden. — Der Ar-
k -Dialektische Theologie" ist im großen und ganzen sehr

1 V C-WAgen Und sadlli*' nur der Sdlluß (Die Auflösung der dialektischen
Theologie, 10 Zeilen) ist unbefriedigend. Ganz so
autgelost ' hat sich die dialektische Theologie nun doch nicht! -
Bei „fcbed Jahwe" vermißt man die Erörterung der Frage des leidenden
üottesknechtes im Spätjudentum. - Im Artikel „Edessa"
wird die Aberkios-Inschrift a]s >><Jas mte sichere Zcu(Tnis für die
Existenz des Christentums in Edessa" deklariert. Das ist aber trotz
Ortiz de Urbina höchst unsicher. Außerdem fehlt ein Hinweis
auf W. Bauer, Recntglaubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum
. 1934, S. 6-48; dort immer noch die beste kritische Untersuchung
der Quellen. - Wenn es im Artikel „Erfurt" heißt: „Der

Hammelburger Vertrag von 1530 sichert trotz Abfalls fast der
gesamten Einwohnerschaft zum Protestantismus den ... Besitzstand
des Mainzer Erzbischofs", eo ist das zwar von der konfessionellen
katholischen Geschichtsbetrachtung aus vielleicht
richtig, sachlich aber eine kaum angebrachte Aussage: Der genannte
Vertrag bedeutet eine Vergewaltigung der sich zum Evangelium
bekennenden Bürgerschaft — auch so kann man formulieren
, würde aber auch damit die verwickelten Erfurter Verhältnisse
kaum erfassen. Jedenfalls ist die Sicht der Reformation, wie
sie hier und an anderen Stellen zum Ausdruck kommt, für uns
unannehmbar! - Der Artikel „Erweckungsbewegung" ist zu knapp,
um diesem wichtigen Phänomen wirklich gerecht zu werden. —
Der Artikel „Evangelien" bringt eine sehr umfassende und nützliche
Übersicht über die apokryphen Evangelien. Unklar ist dabei
für denjenigen, der nicht gerade Spezialist ist, welche Auflage der
deutschen neutestamentlichen Apokryphen zitiert wird. Angegeben
wird zu Beginn Hennecke/Schneemelcher (3. Aufl.), zitiert
wird dann aber nach Hennecke (2. Aufl.). Das sollte in den nächsten
Bänden geändert werden.

Zum Abschluß sollen noch zwei Punkte besonders genannt
werden: 1) Die Literaturangaben sind zwar meist knapp gehalten,
aber nur selten wird man Wesentliches vermissen (z. B. fehlt bei
-Asterius" dem Sophisten die Ausgabe von M. Richard, Oslo
!956). Der kurze Artikel „Boethius" hat beinahe zwei Spalten
Bibliographie, und das ist sicher richtig so. — 2) Die beigegebenen
Bilder sind vorzüglich, ja geradezu vorbildlich. Auch die sonstige
Ausstattung (Druck und Einband) ist der guten Tradition des Verlages
Herder würdig.

Im Ganzen darf man also feststellen: Das neue Lexikon für
Theologie und Kirche ist eine bewundernswerte Leistung katholischer
Theologie und Wissenschaft in Deutschland, für die
Herausgebern, Mitarbeitern und Verlag zu danken ist. Es zeigt
einmal mehr, welchen beachtlichen Aufschwung die katholische
Wissenschaft in den letzten hundert Jahren genommen hat und
Welche starken geistigen Kräfte hier wirken. Das LThK wird auch
in seiner neuen Gestalt ein unentbehrliches Hilfsmittel für Theologen
aller Konfessionen sein. Darüber hinaus aber kann es uns
klar machen, welches Gegenüber wir bei kontroverstheologischer
Arbeit haben. Denn daß es sich um ein „Gegenüber" (und oft um
ein „Gegen") handelt, sollte auch an diesem Lexikon erschütternd
klar und deutlich werden. Der Graben ist wirklich tief und kann
kaum durch „abendländisches" Geschwätz verdeckt werden.

Bonn Wilhelm Sch nccmelch e r

Zender, Matthias: Atlas der Deutschen Volkskunde. Neue Folge.
Auf Grund der von 1929 bis 193 5 durchgeführten Sammlungen im
Auftr. d. Deutschen Forschungsgemeinschaft hrsg. Lfg. 1. Karte 1—13.
70 X 80 cm. DM 24.—. Erläuterungen zur 1. Lfg. 232 S. m. 25 Ktn.-
Skizzen 4°. Kart. DM 15.—. Marburg: Elwert 1959.

Dies Atlaswerk (ADV) wird dem Leserkreis dieser Zeitschrift
verhältnismäßig unbekannt sein. Die kartographische Methode
, die vor allem von der Mundartenforschung ausgebildet
war, wurde seit 1928 durch fünf Fragebogen mit mehreren hundert
Fragen auf das Gesamtgebiet der Volkskunde ausgedehnt,
woraus der ADV entstand. Der Plan wurde im Sammelwerk
'.Deutsche Volkskunde", 1928 (Deutsche Forschung), der Öffentlichkeit
unterbreitet. Die reiche Literatur danach findet man im
Wörterbuch der deutschen Volkskunde von Erich und Beitl
(Sammlung Kröner, Bd. 127/128) unter dem Stichwort „Atlas".
Das Riesenwerk, das selbstverständlich im letzten Krieg zum
Stillstand kam, wird nun in neuer Folge, für die 120 Blätter vorgesehen
sind, durch Matthias Zender fortgesetzt „auf Grund der
von 1929 bis 1935 durchgeführten Sammlungen", die im Archiv
des ADV bei der Universität Frankfurt aufbewahrt werden, wo
sie nicht verlustlos den Krieg überstanden. Man muß also wissen,
daß die grundlegenden Erhebungen heute rund 30 Jahre alt sind.
-Ergänzende umfassende Aufnahmen sind zur Zeit nicht möglich,
und sie wären auch über unsern Auftrag hinausgegangen. Sogar
Nachfragen nach bestimmten Einzelheiten . . . haben bei einem
zeitlichen Abstand von fast 30 Jahren und bei den unterdes eingetretenen
Veränderungen nur einen begrenzten Wert." Der Umfang
der Erläuterungen ist auf drei Bände und einen Registerband