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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

546-547

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Holm, Søren

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1960

Rezensent:

Richter, Liselotte

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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die Strukturgesetzlichkeit des ganzen Kunstwerks" (S. 18). Der
mittelalterliche Meister betrachtet doch nicht das Material und
dessen Struktur als die primären Faktoren seines Gestaltens,
sein Werk wird in erster Linie durch den Bildinhalt und den
Zweck bestimmt. Sein Werk kann nicht als freie, subjektive
Äußerung des Künstlers im Sinne der letztverflossenen Jahrhunderte
, nicht als seine private, aus künstlerischer Intuition geborene
Schöpfung betrachtet werden, sondern der Ausführung
des Kunstwerks gingen in der Regel lange und eingehende
Inaugurationsgespräche mit dem Stifter und mit Theologen
voraus1. Gregor Paulsson hat in einem jüngst veröffentlichten
Aufsatz* auf die Unzulänglichkeit aller nur mit formalen Kriterien
arbeitenden Methoden und auf die Notwendigkeit der Beachtung
des Bedeutungsinhalts der mittelalterlichen Kunstwerke
hingewiesen: „Bemerkenswerterweise hat sich die kunsthistorische
Forschung erst in jüngster Zeit mit der Rolle des
Auftraggebers befaßt — seine Bedeutung sollte ja doch unmittelbar
in die Augen fallen. . . Ganz allgemein gilt für das frühe
und das hohe Mittelalter, daß das Verhältnis von Künstler und
Besteller ausdrücklich durch Konzilsbeschluß geregelt war: Gelehrte
Männer, litterati, sollten das Programm der Bilder bestimmen
, während es dem Künstler zufiel, diesem Programm die
anschauliche Gestalt zu geben, d. h. es auch für den Laien erlebbar
zu machen. Er mußte einerseits den Sinn verstehen, den die
theologisch geschulten Auftraggeber in das Programm hineingelegt
hatten, und andererseits mit dem Erleben der Laicnwelt
mitfühlen: in beiden Fällen handelt es sich um Werterlebnisse.
Der Künstler befand 6ich also in einer genau bezeichneten Situation
. Man sollte nicht mit der Vorstellung eines von autonomen
Künstlern bestimmten stilhistorischen Geschehens arbeiten, sondern
den Begriff der Situation einführen. .. Eine solche Betrachtungsweise
führt es mit sich, daß der einzelne kunsthistorische
Gegenstand nicht nur als isoliertes Artefakt (oder als Artefakt
in einer Reihe ähnlicher Artefakte) auftritt, sondern als lebendiger
Teil einer Lebenssituation und Lebensfunktion, eben jener
Situation, in der e6 entstand"'1. Von einer solchen Eingebunden-
heit der Kunstwerke in eine bestimmte Lebenssituation und von
einem Ausüben einer Lebensfunktion ist in dem Buche Wilhelm
Messerers nichts spürbar. Die von M. angewandte Methode des
Arbeitens mit formalen Kriterien führt naturgemäß zum Festhalten
an der Annahme verschiedener „Schulen". Der Verf.
schreibt so auf Seite 59: „Der romanische Stil spiegelt 6ich also
in den nach Schulen verschiedenen Reliefstilen französischer
Bauskulptur in verschiedener Weise, und zwar so, daß jeweils
auch bestimmte allgemein romanische Züge besonders betont
und sinnerfüllt erscheinen: etwa in Burgund Trennung und
Widerspiel von Figur und Grund, im Poitu der »trächtige«
Grund, in der Provence die Objektivierung der Formenwelt, in
Aquitanien die Eigenschaft der Figurenschicht, daß sie für den
Grund stellvertretend 6ein kann. Natürlich lassen sich die bestimmten
Eigenschaften des Romanischen nicht systematisch aufteilen
, doch zeigt sich, daß es ein Grundthema ist, das die
Schulen noch in ihrer großen Verschiedenheit variieren." Auch
hier sei es gestattet, der Anschauung Messerers ein Zitat aus dem
bereits oben erwähnten Aufsatz Gregor Paulssons als Kritik entgegenzustellen
. Paulsson schreibt (a.a.O., S. 11 f.): „Die Hypothese
von der Wanderung der Bauhütten schon im 11. Jahrhundert
war das Fundament für die Konstruktion der lokalen
französischen Architckturschulen — freilich hatte man das jeweilige
Baumaterial als wichtige Variable in die Gleichung eingeführt
. Zur Zeit ist man dabei, diese Lokalschulen aufzulösen;
So hat man gefunden, daß bei weitem nicht alle burgundischen
Kirchen, auch nicht die, die sich im übrigen miteinander verglei-
^en ließen, im sogenannten burgundischen System gebaut sind,
erscheint mir berechtigt, die Frage zu stellen, ob nicht die

') Vgl. Fuglsang/Erhardt: Der Bordesholmer Altar des Hans
"függemann. Schleswig (Verlag Hildegard Bcrnaerts). Preetz'Holstein
(Ernst Gcrdcs Verlag) 1959, S. 6.

') Paulsson, Gregor: Die zwei Qucllpunkte der romanischen Pla-
stjk Frankreichs Toulouse und Cluny, in: Formositas Romanica. Beifüge
zur Erforschung der romanischen Kunst, Joseph Gantner zugeeig-

Frauenfeld (Verlag Huber & Co.) 1958, S. 7-27.

a) Paulsson, G.: a. a. O., S. 12 f.

Zeit reif ist, auch die Bildhauerlokakchuilen aufzulösen."
Unsere Bedenken richten sich beim Lesen des von W. Messerer
verfaßten Buches also bereits gegen die Voraussetzungen seiner
Untersuchung und gegen die Richtigkeit der von ihm angewandten
Methode.

Cuxhaven Alfred Weckwerth

PHILOSOPHIE UND HELIGIONSPHILOSOPHIE

Holm, Seren: Religionsfilosofi. Kopenhagen: Nyt Nordisk Forlag
A. Busck 1955. 483 S. gr. 8°. Kr. 22.— ; geb. 29.-.

Seinem großen zweibändigen Abriß „Religionsfilosofien i
det tyvende Aarhundrede" hat Soren Holm nun ein ebenfalls
umfangreiches systematisches Werk, „Religionsfilosofi", folgen
lassen. Der Standpunkt des Verfassers, deutlich von der Problemstellung
des Neukantianismus und Positivismus geprägt, geht
dahin, die Religionsphilosophie als philosophische und nicht als
theologische Disziplin zu nehmen und deshalb jegliche Bindung
an die Dogmatik irgendeiner positiven Religion zu unterlassen.
Seiner Auffassung nach soll Religionsphilosophie im Pathos der
Distanz zur positiven Religion stehen und das Phänomen der
Religion nur zu ihrem Objekt haben, ohne selbst religiös Stellung
zu nehmen. Positive Religionsformen sind empirisch gegebene
Daten, als Philosophie betrachtet ist die Religionsphilosophie
aber eine Prinzipienwissenschaft und keine historische
Disziplin. Doch die positiven Religionen treten nur in historischen
Formen auf. Es sei aber nicht die Aufgabe der Philosophie, historische
Wirklichkeit zu schaffen. Es war der Irrtum der Aufklärungsphilosophie
, zu glauben, eine „natürliche Religion" konstruieren
zu können. Die positiven Religionen existieren unabhängig
von jeder Religionsphilosophie und sind weit älter als
diese. So kann die Religionsphilosophie kein Ersatz für positive
Religion oder ihre höhere Rangstufe sein, wie es Gnosis und
Hegel wollten. Die lebendigen Kräfte gehen nur von den positiven
Religionen, nicht von den philosophischen Systemen aus.
Und der Verf. kommt zu der merkwürdigen Feststellung, daß die
Philosophie allezeit rezeptiv 6ei, wobei er sich an die einseitige
Interpretation des Hegelwortes klammert, daß die Eule der
Minerva ihren Flug erst beginne, wenn es Abend geworden sei.
Gibt es aber nicht im Gegensatz zum Systemdenken, das immer
Abgeschlossenes einsargt (wozu Verf. offenbar auch seine eigene
Religionsphilosophie rechnet!) auch Philosophie als Problemdenken
im Sinne eines Sokrates und Kierkegaard, die im höchsten
Maße produktiv und anregend wirkten, indem sie den Mut
hatten, durch das Skandalon des Paradox ihre Zeitgenossen zu
ärgern und sie damit aus überalterten Begriffsassoziationen zu
reißen?

Andererseits stellt der Verf. fest, daß die Religionsphilosophie
doch der positiven Religion gegenüber eine kritische Funktion
habe (seltsamerweise aber nicht umgekehrt die Religion der
Philosophie gegenüber). Denn da Wissenschaft, Moral, Kunst
und Religion Geistesformen seien, kann in der positiven Religion
nichts sein, was nicht in den drei Kulturgebieten anerkannt ist.
Es ist also eine seltsame Synthese von Systemdenken und Aufklärungsphilosophie
, die uns in S. Holms Religionsphilosophie
begegnet. Von dieser Sicht aus werden nun leidenschaftslos, aber
auch etwas problemlos die traditionellen Themen der Religionsphilosophie
abgehandelt: 1.) Die Stellung der Religionsphilosophie
innerhalb des philosophischen Systems, 2.) die Fragen des
religiösen Apriori und dessen Stellung in der Philosophie, 3.) die
Wesenheit der Religion, 4.) das Verhältnis zwischen Religion
und Wirklichkeit, wobei die Ausführungen über die Symbolsprache
der Religion hervorzuheben sind, 5.) das Verhältnis von
Mythos zu Geschichte, Metaphysik und Religion, 6.) die Formen
des Gottesbegriffs: Pantheismus, Deismus, Theismus, 7.) die
Gottesbeweise, 8.) das Verhältnis der Religion zu den drei
Seelenvermögen und deren Zusammenspiel in der Religion,
9.) die Beziehungen der Religion zu den Hauptgebieten der Kultur
: Wissenschaft, Moral, Kunst, 10.) das Verhältnis von Religion
und Geschichte, 11.) Gott und Welt, wobei das Kapitel
„Offenbarung" besondere Erwähnung verdient. Kapitel 12 beschäftigt
sich besonders mit dem Thema des Bösen, des Dämoni-