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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

544-546

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Messerer, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Relief im Mittelalter 1960

Rezensent:

Weckwerth, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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aber in der der Beziehungen frei. Immer wieder werden Beziehungen
zwischen Personen und Dingen hergestellt, von denen
der Text nicht spricht. Besonders wichtig ist die Dreiheit der
Verheißungsblätter, sie stehen für sich und bilden die Gelenke
des Gliederbaues, während alle anderen Zwei- und Dreiheiten
eine Vielfalt von Beziehungen aufweisen. Das Resultat ist, daß
sich die frühmittelalterlichen typologischen Entsprechungen zu
funktionellen umgewandelt haben.

Abschnitt 6, das Kernstück des Bu<he6, behandelt das Werk
de6 Exegeten. Der Verf. gibt zu, daß die vollendete Harmonie
zwischen Inhalt und Form es erschwert, sich das Ganze als
Zusammenarbeit zweier Ingenien zu denken. Aber die These von
der Möglichkeit eines Vermittlers gewinnt immer mehr an Wahrscheinlichkeit
. Das Neue, das der Exeget in seinem Urprogramm
gebracht hat, ist das Bildgruppensy6tem. Es kommt auf die
Ganzheit des Inhaltes und nicht auf die Illustrierung aller Textstellen
an. Die Reihenfolge des Textes kann zugunsten des
Systems abgewandelt werden. Das Urprogramm hatte 24 Bilder:
8 Holzschnitte mit Dreibildstreifen. Ein Bildstreifen bildet die
Einleitung, vier den ersten, drei den zweiten Kreis. Die ursprüngliche
Dreiteilung wird durch eine Zweiteilung überwunden
. Es geht dem Exegeten um den polaren Gegensatz zwischen
Gott und Satan. Die Abweichungen Dürers vom Programm zeigen
eine Weiterentwicklung, die der Verf. dem Exegeten zuweist.
Dieser gelangt — wohl während der Arbeit Dürers — durch theologisch
-weltanschauliches Weiterdenken zu einer immer strengeren
Gliederung; z.B. wird auch der zweite Kreis, wie der erste,
aus zwei Visionen aufgebaut. Die gleichwertige Gegenüberstellung
von Gut und Böse wird zugunsten der Gesamtidee als
Leitmotiv aufgegeben usw. Das Wichtigste aber ist die Zweiteilung
, die immer stärkere Symmetrie im Ganzen und in den Teilen
. Und dann hat der Exeget eine neue Auffassung vom Sinn
der Visionseinheit. Was der Text nur nacheinander berichten
kann, sieht der Seher in einer Vision, und das hat der Künstler
darzustellen. Das eigengesetzliche Bild tritt an die Stelle der
Illustration. Die Blattfläche ist nicht mehr bloß Naturraum,
sondern Visionsraum, Abbild des Universums. Hier vollzieht
6ich der Bruch mit der mittelalterlichen Deutung der Apokalypse.
Es handelt sich nicht um ein Geschehen am Ende der Erdgeschichte
. Das Übereinander von Himmel und Erde ist kausales
Bedingtsein, logische Einheit. Die Ganzheitsschau faßt alle Blätter
zur kosmologischen Einheit zusammen. Der Exeget verfügt
über ein enzyklopädisches Wissen. Er bedient sich des Rautenquadrates
so gut wie der Zahlen- und Tiersymbolik und kennt
das moraltheologische Schrifttum so gut wie die volkstümliche
Überlieferung. So ist der übergeordnete Sinn der einzelnen
Blätter nicht mehr im bisherigen Sinne theologisch. Der transzendente
Sinn des Textes ist ins Menschliche abgebogen. Was bedeutet
das Geschehen für den Menschen? Sowohl der Sohn Gottes
als auch das Böse treten in dreifacher Wesenheit auf. Kein Blatt
ist ohne Beziehung auf das Ganze verständlich. Ein unmittelbarer
Einfluß des Cusaners kündigt sich an.

Abschnitt 7 schöpft aus Werk und Werkstatt des Cusaners.
Die drei Verheißungsblätter, die durch die Leuchtervision gleichsam
überbaut werden, erhalten durch den Gedanken der dreieinigen
Einheit Gottes bei Nikolaus von Cues einen neuen Sinn. Der
Exeget wählt au6, was mit der Cusanischen Gotteslehre in Einklang
steht, und Dürer gestaltet es, vor allem in den eben genannten
vier Blättern: zuerst den Einen, dann die Vielheit, wobei in
Blatt XIV die Beziehung auf den Geist nicht vorhanden ist, wie
der Verf. selber kritisch bemerkt. Viel engere Beziehungen aber
entdeckt er zwischen der Vater-Unser-Predigt des Cusaners und
Dürers Apokalypse. Die Entsprechungen im Aufbau der Predigt
und der Holzschnitte werden im einzelnen aufgewiesen, und es
wird besonderer Wert darauf gelegt, daß Einzelheiten in Dürers
Blättern stärkere Beziehung zum Cusaner haben als zum Bibeltext
. Anhaltspunkt für die Disposition ist dem Exegeten die
metaphysische Gottesschau des Cusaners, die Rechtfertigung für
die Auswahl liefert die Vater-Unser-Deutung. Besondere Aufmerksamkeit
widmet der Verf. noch den christologischen Symbolen
und der Darstellung des Geistes. Auch den Erkenntnisweg
des Cusaners findet der Verf. beim Exegeten und bei Dürer wieder
. Johannes ist der Wahrnehmende, der Verstehende, der Erkennende
. Bei Cusanus steht neben der Schau von dem Unveränderlich
-Seienden (symmetrisch-statisch) der Blick auf die vielfältige
Welt (sukzessiv-dynamisch). Ganz ähnlich bestimmen
jeweils das Achsenkreuz, die Diagonale oder der Kreis den Bildaufbau
. Am Anfang steht die Statik, in der Mitte die Dynamik,
am Ende das Ruhen im Kreis.

Abschnitt 8 bemüht sich um die Persönlichkeit des Exegeten.
Er muß eine eigenständige Persönlichkeit aus dem Umkreis des
Cusaners sein, der aber auch aus anderen Quellen geschöpft hat.
Er hat Dürer die Formvorstellungen schon übermittelt, ja, er ist
für die Figurenanordnung und die Flächenaufteilung verantwortlich
. Dürer hat also nichts Originelles geschaffen, sondern sich
dem untergeordnet, der die ganzheitliche Schau an die Stelle der
historisierenden Exegese zu setzen wußte. Die Fäden ziehen 6ich
zusammen: der frühhumanistische Exeget ist 1497 noch lebend
in Nürnberg zu denken, anmerkungsweise wird die Hypothese
aufgestellt, daß der betende Mönch vor der Buhlerin sein Abbild
und er selber mit Dr. Johannes Pirckheimer zu identifizieren
sein könne.

Abschnitt 9 nimmt noch einmal zusammenfassend Stellung
zu Dürers Werk. Der Verf. empfindet seine Abhandlung als eine
negative Vorarbeit auf dem Wege zu Dürer — Dürers persönlicher
Leistung müsse ein weiteres Werk gewidmet werden. Der
Exeget wird als Dürers größter Lehrer bezeichnet, aber auch er
hat wiederum Wesentliches von Dürer gelernt.

Das Buch ist ausgezeidinet ausgestattet, der Verfasser sucht
seine These durch reiches Abbildungsmaterial, durch mühsam erarbeitete
Tabellen und eine Fülle von Anmerkungen zu unterstützen
. Es handelt sich um eine Arbeit, die den Verf. Jahrzehnte
hindurch beschäftigt hat. Man liest die schwierige Untersudiung
mit wachsender Spannung. Der Leser empfängt durch den ausgezeichneten
Kenner des späten Mittelalters manche Belehrung.
Die Spezialforschung über Dürer wird an der interessanten
Hypothese nicht vorübergehen können, selbst wenn im einzelnen
um der Konsequenz willen einmal mehr gesehen wird als Text
oder Bild hergeben. Der methodische Weg, den geistesgeschichtlichen
Hintergrund einer Schöpfung, wie sie Dürers Apokalypse
darstellt, zu erhellen, bedeutet einen Fortschritt, selbst dann,
wenn die kühne Hypothese im Verlauf der weiteren Erforschung
der Zusammenhänge modifiziert werden sollte. Das Buch ist dem
Andenken Max Dvoraks gewidmet.

Das Buch kam durch besondere Umstände erst im Okt. 59
in meine Hände.

Jena Hanna Juisch

Messerer, Wilhelm: Das Relief im Mittelalter. Berlin: Gebr. Mann
1959. 199 S., 67 Abb. a. 26 Taf. 4°. Lw. DM 40.—.

,,Das Relief im Mittelalter" lautet vielversprechend der
Titel des von Wilhelm Messerer verfaßten Buches, sind doch ein
großer Teil unserer bedeutenden Denkmäler mittelalterlicher
christlicher Kunst in Relieftechnik gearbeitet. Betrachtet man die
Abbildungen des Buches, so findet man eine Auswahl der bekanntesten
und in der kun6thistorischen und theologischen
Literatur sehr oft erwähnten Bildwerke. Wer jedoch wesentlich«;
Aufschlüsse über die geistesgeschichtliche Einordnung, über die
inhaltliche Deutung oder über die dogmengeschichtliche oder
kirchenpolitische Situation erwartet, aus der heraus die betreffenden
Kunstwerke entstanden sind, wird bei der Lektüre diese«
Buches enttäuscht. Der Verfasser richtet sein Augenmerk ausschließlich
auf die ,,Besonderheiten des Stils". Selbst die Fragen
der Typologie werden nur vom Stil her behandelt. M. sieht
seine Aufgabe folgendermaßen: „Thema der Arbeit ist der
Reliefstil als Problematik derjenigen stilistisch bedeutenden
Eigenschaften, die an Reliefs besonders hervortreten" (S. 18).
Dieser „Reliefstil" ist, wie der Verfasser selbst bekennt, eine
Abstraktion. Den Bildinhalt läßt M. bei der Betrachtung der
einzelnen Kunstwerke weitestgehend unbeachtet und 6ucht ihn
als „außerkünstlerische Bedeutung" abzutun. Wo er auf den
Bildinhalt eingehen muß, will er nur mit einbeziehen, „was im
Bild, an Gestaltetem, vorgeht", nicht aber den Bedeutungsinhalt.
Damit wird M. aber dem Schaffen der mittelalterlichen Künstler
nicht gerecht, insbesondere, wenn er behauptet: „Stil ist immer