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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

541-542

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Supperich, Robert

Titel/Untertitel:

Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde; Bd. I und II 1960

Rezensent:

Müller, Ludolf

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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Hinweise (vgl. Register: By2anz, Ostkirche: S. 262, 275), so daß
mancher Leser, vielleicht vom Titel angelockt, das Buch enttäuscht
weglegen mag. Der Verf. sieht aber das ihm vorliegende
Material, das für die Ostkirche vielleicht etwas mehr hätte ausgewertet
werden können, unter einem bestimmten Gesichtspunkt
. Er hat die Absicht, „Liturgie und Volkskunst, die Rechtsnorm
und die Gebärde des Feierlichen" darzustellen, wie sie
hineinreichen in „die Bereiche der Gemeinschaft und zugleich die
Devotion des Ich" (vgl. S. 7). Was Sehr, also vor uns ausbreitet,
ist im Grunde eine umfassende Soziologie der kultisch gepflegten
Woche. Damit hat er ohne Zweifel eine wichtige Anregung
gegeben. Wer weiß, wie schwierig es aber ist, für den ostkirchlichen
Bereich allein an die Quellen zu gelangen, der wird die
Einschränkung des Vcrfs. selbst verstehen. Vielleicht hätte man
den Titel der Arbeit anders formulieren Gollen, denn das Material
für den römisch-katholischen Bereich überwiegt bei weitem
. Über die sozialen und soziologischen Probleme innerhalb
der russischen Orthodoxie liegen jetzt vor allem wichtige Arbeiten
von J. Meyendorff vor (Irenikon 28 (1955), S. 396—405;
Irenikon 29 (1956), S. 28—46, 151—164; Une controverse sur Ie
röle social de l'eglise [= Coli. Irenikon Chevetogne 1956]), in
denen wahrscheinlich zum Thema des Verfs. einiges zu finden
sein wird. Auf die Zusammenhänge zwischen Volkskunst, Volksverehrung
, Familie und Gemeinschaft einerseits und der Freitagsverehrung
andererseits in der Ostkirche (zunächst der russischen)
hat Rez. hingewiesen (Ostkirchliche Studien, 6. Bd. (1957),
S. 121—141). Gerade die Paraskcva - Verehrung innerhalb der
Ostkirche (besser wohl: Ostkirchen!) zeigt eine Fülle interessanter
Zusammenhänge zwischen Volkstum und religiöser Devotion,
einschließlich der wöchentlichen Fastentage. Die soziale Gliederung
sowohl der Bevölkerung als auch der Kirche und der Klöster
behandelte F. Dölger (Byzanz und die europäische Staatenwelt,
Ettal 1953, 261—281). Im übrigen wären die Periodika, wie
Byzantinische Zeitschrift, Byzantinoslavica und der Vizantijskij
Vrcmennik, auf entsprechende Spczialliteratur durchzusehen.
Trotz einer gewissen Enttäuschung, von einem der besten Fachkenner
auf dem Gebiet der Volkskunde und Religionswissenschaft
nur Anregungen für entsprechende Themen für die Ostkirchen
zu erhalten, bleibt doch der Dank dafür, daß er uns aus
der souveränen Beherrschung des weit verzweigten Materials so
ausdrücklich auf die Bearbeitung paralleler Erscheinungen in den
Ostkirchen hingewiesen hat.

Halle/Saale Konrad Onaseb

Stupperich, Robert: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen
Kirchcngcsdiichtc und Kirdienkunde. In Verbindung mit dem Ostkircheninstitut
hrsg. Bd. I 1958. Bd. II 1959. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
[1958] u. 1959. 188 u. 167 S. 8°. Hlw. je DM 9.80.

In seinem Geleitwort bezeichnet der Herausgeber der vorliegenden
Jahrbücher es als ihre Aufgabe, „Kirchen und kirchliche
Gemeinschaften, die einem östlichen Einfluß unterworfen
s'nd, zu betrachten und sowohl historisch als auch soziologisch zu
untersuchen" (Bd. 1, S. 8). Schwerpunkte sollen einerseits die
Russisch-orthodoxe Kirche, andererseits die Kirchen (vor allem
die protestantischen) der west- und südslavischcn Länder sein. —
Die beiden ersten Bände folgen diesem Programm. Fragen aus
"em Umkreis der Russisch-orthodoxen Kirche behandeln Aufsätze
über folgende Themen: Die Bibel in Rußland (W. Krause),
die Orthodoxe Kirche in Finnland (F. Heyer) in Bd. 1; das Verhältnis
der Orthodoxen Kirche zum Staat (.Stupperich), Narren
Christi willen (Hauptmann) u.a. in Bd. 2; ferner Literatur-
Berichte. Aus der Welt des osteuropäischen Protestantismus werden
folgende Themen behandelt: Die Wege des Protestantismus
"ach Osteuropa (Bd. l), seine Wandlungen daselbst (Bd. 2, beides
v°n Stupperich); der Protestantismus in Polen (in der Reforma-
*"onszcit, zwischen den Weltkriegen, in der Gegenwart), im
Memelgebiet, in der Sowjetunion; Comenius; die Brüdcrunität
*•••! außerdem auch zu diesem Gebiet Literaturberichte, ferner
m jedem Band eine Chronik über die kirchlichen Ereignisse in
^steuropa. Daß Wert und Bedeutung der Beiträge sehr verschie-
en sind, braucht nicht besonders betont und bewiesen zu werden.
Auf jeden Fall ist sehr zu begrüßen, daß die deutsche protestantische
Forschung jetzt wieder ein PublikationsoTgan für die
Kirchengeschichte und Kirchenkunde Osteuropas besitzt, das ihr
seit dem Eingehen des „Kyrios" gefehlt hat.

Kiel Ludolf Müller

Spul er. Berthold: Die orthodoxen Kirchen (XLI).
Internationale Kirchliche Zeitsdirift 50, 1960 S. 1—29.

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

luraschek, Franz. Das Rätsel in Dürers Gottessdiau. Die Holz-

schnittapokalypse und Nikolaus von Cues. Salzburg: Müller [1955].
136 S., 122 Abb. auf Taf. 4°. DM 31.60.

Der Verf. behauptet, daß Dürers Apokalypse eine völlige
Neuorientierung in bezug auf die Darstellung des biblischen
Stoffes bringt, sowohl was die Bildwahl als auch was die Auffassung
des Textes angeht. Um die Aufhellung dieses Rätsels
geht es in dem vorliegenden Buch. In neun Abschnitten wird das
Thema entfaltet. Abschnitt 1 zeigt die Grundlinien des neuen
Gedankengebäudes. An die Stelle der sukzessiven Reihung der
Bilder tritt eine strenge Gliederung: Blatt II, VIII und XIV bringen
die großen Verheißungen, V und XI wirken in ihrer Zu-
standsschilderung wie Pausen, dazwischen stehen die vier Blattpaare
mit der Darstellung der Visionen. Charakteristisch ist weiter
die moralische Umdeutung des Raumes: Oben und Unten
gleich Himmel und Erde, Rechts und Links gleich gut und böse.
Bei Dürer haben auf jedem Blatt Himmel und Erde ihren Anteil,
auch gegen den Text. Die dritte Grundlinie ist die Allzeit-
Gültigkeit des apokalyptischen Geschehens auf Kosten des Endzeitlichen
. Es ist also bei Dürer nicht das überstürzende Nacheinander
des Textes mit der gewaltigen Steigerung am Ende gestaltet
, sondern die Visionen des Buches sind in ein großes Gerüst
der Weltordnung hineingefügt. Hier steht neben der künstlerischen
Phantasie eine Gedankenarbeit, die die mittelalterliche
Exegese sprengt und dem Humanismus ihr Da6ein verdankt. Hat
Dürer selber diese Vorarbeit geleistet?

Abschnitt 2 behandelt die Urvorlage und die Bibelholzschnitte
. Hier wird gezeigt, daß schon die Bibclausgaben seit
1480 bei der Illustration der Apokalypse das gleiche gedankliche
Programm aufweisen. Dürer ist also von einer Urvorlage abhängig
. Der „Exeget", der Verf. führt hier eine zunächst anonyme
Gestalt ein, ist aber von den Vorstufen nicht befriedigt
und gewinnt Dürer für sein überarbeitetes Programm.

Abschnitt 3 beschäftigt sich mit Textgliederung und Bildtradition
. In den alten Handschriften fallen Bildwahl und Textgliederung
zusammen. Erst etwa 100 Jahre vor Dürer tritt an die
Stelle der Reihung eine Vereinigung von Szenen. Die chronologische
Anordnung weicht einer systematischen, die Hauptszene
tritt in die Mitte, die anderen werden gleichgewichtig herumgruppiert
. Schon im 15. Jahrhundert ist der kunstvolle Gliederbau
wichtiger als die Textfolge. Als wichtiger Beleg werden die
Wandgemälde im Baptisterium in Padua herangezogen. Dürer
stimmt also nicht nur mit der Urvorlage, sondern auch mit der
älteren Bildtradition überein, wenn auch keine unmittelbaren
Entlehnungen oder entscheidenden Anregungen vorliegen. Aber
die brennende Frage, wie denn alle6 in ein neues Weltbild eingeordnet
werden konnte, bleibt bestehen: irgendein berühmter
neuhumanistischer Philosoph muß die Neuorientierung herbeigeführt
haben.

Abschnitt 4 behandelt die einzelnen Blätter in Dürers
Holzschnittfolge. Die ausgezeichneten Bildanalysen machen die
Lektüre dieses Abschnittes zu einem Genuß. Das Resultat ist, daß
Dürer den Wortlaut des Textes wiedergibt, aber dabei den Sinn
des Textes ins Gegenteil verkehren kann. Immer wieder ergeben
sich bei Dürer unerwartete Sichten, die weder durch die Kommentare
, noch durch die Bildtradition erklärt werden können. Sie
entstammen der kosmologisdien Simultanschau des Humanismus.
Aber wo ist die Quelle des Neuen?

Abschnitt 5 behandelt die Bilddreiheiten und Blattpaare als
Bausteine der gedanklichen Einheit. Was in den ersten Abschnitten
angedeutet wurde, wird hier in allen Einzelheiten entfaltet.
Dürer kt zwar in der Wiedergabe des Gegenständlichen getreu.