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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

540-541

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schreiber, Georg

Titel/Untertitel:

Die Wochentage im Erlebnis der Ostkirche und des christlichen Abendlandes 1960

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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Status besaß die russische Kirche zwischen der Taufe und dem
Jahre 1037? 2. War sie in dieser Zeit ein Erzbistum, muß dann
nicht der „Akt des Jahres 1037" eine Degradierung bedeuten?

Verf. geht so vor, daß er zunächst die acht bisher üblichen,
wenn auch untereinander sehr unterschiedlichen Lösungsversuche
dieses Problems darstellt. Dabei erwähnt er die byzantinische
These zunächst nur kurz (S. 11—12), weil er sie im III. und IV.
Teil seiner Untersuchung gegen die allgemeine Ablehnung in
methodisch vorbildlicher und material umfassender Weise verteidigt
. Danach folgt die sog. bulgarische These, wie sie vor allem
von Priselkov vorgetragen und von Hans Koch unkritisch übernommen
wurde (S. 12—17). Ihr schließt sich die Tmutorokan'-
These Vernadskijs an, nach der die russische Kirche in dem fraglichen
Zeitraum einem alten, bereits von Photios erwähnten Erzbistum
auf der Halbinsel Tmutorokan' am Eingang zum Asov-
«chen Meere unterstanden haben soll (S. 17—18). Vernadskij und
Priselkov entgegen möchte Dvornik den Sitz eines Erzbischofs
nach Korsun' (Cherson) verlegen (S. 19—22), während eine Reihe
anderer Forscher (Makarij, Golubinskij, Tichomirov, Levcenko
u. a., vgl. S. 22, Anm.l) für das ukrainische PerejaslavI' eintreten
(S. 22—26). Die römisch-katholische Forschung, vertreten vor
allem durch de Baumgarten und Jugie, möchte die junge russische
Kirche unter die Jurisdiktion Roms stellen. M. setzt sich mit
dieser These besonders ausführlich auseinander (S. 26—36). Als
Variante der römischen These bezeichnet Verf. die Meinung des
katholischen Forschers A. M. Ammann, der in einer gewissen
Analogie zu den römischen Missionsbischöfen in Ungarn und
Schweden solche auch in Rußland annehmen will (S. 36—42). Die
letzte, achte These ist von Zernov vorgetragen worden. Er
möchte in Anastas von Korsun', der die Stadt 98 8 an Vladimir
verriet, den Oberhirten der russischen Kirche sehen. Damit wäre
die Eigenständigkeit und Autonomie (Autonomie-These) dieser
Kirche sowohl gegenüber Byzanz als auch gegenüber Rom gewahrt
gewesen (S. 42—47). Bereits in diesem Abschnitt geht M.
auf die zahlreichen Schwächen dieser acht bzw. sieben Thesen
ein, ohne daß wir hier aus Gründen des Raumes seine Argumente
wiedergeben könnten. Im III. Abschnitt entfaltet er nun 6eine
Position in ausführlicher Weise: 1. Die angebliche negative Beurteilung
des Großfürsten Vladimir (980—1015) durch Byzanz
wird immer wieder mit der Tatsache begründet, daß seine Kanonisierung
erst verhältnismäßig spät, nämlich um die Mitte des
13. Jhdts., erfolgt ist. Dieses Hauptargument entkräftet M. mit
dem Hinweis darauf, daß es an Wunderbeweisen am Leichnam
Vladimirs gefehlt habe und man deshalb nicht auf die Suche nach
angeblichen verborgenen Tendenzen in den Quellen zu gehen
brauche (S. 48—52). 2. Die sehr wichtige Frage, warum denn die
Quellen vor 1037 bzw. 1039 über den hierarchischen Status der
russischen Kirche so konsequent schweigen, unterzieht Verf.
einer gründlichen historischen und literaturkundlichen Untersuchung
. Zunächst zeigt er, daß die Chronisten an dieser Frage
einfach nicht interessiert waren; „ihr Interesse gilt in erster
Linie Ereignissen, nicht aber Gestalten; wenn an den berichteten
Ereignissen Hierarchen beteiligt waren, werden sie beiläufig
erwähnt; wenn doch gelegentlich über Gestalten berichtet
wird, 60 sind e6 nicht Hierarchen, sondern einerseits Fürsten,
andererseits Mönche, vornehmlich solche des Höhlenklosters"
(S. 54). Man mÜ6Se nach den Quellen fragen, die den Chronisten
Torgelegen haben, meint Verf. Es folgt deshalb eine in der
Hauptsache philologisch - literaturkritische Untersuchung dieser
Quellen, wobei sich M. auf seine eigenen Untersuchungen über
die Berichte der Ermordung von Boris und Gleb (Zeitschrift für
Slavische Philologie, Bd.23 (1954), Bd.25 (l956)und Bd.27 (1959),
▼gl. auch S. 80) stützen kann. Hier liegt zweifellos der Schwerpunkt
der ganzen Arbeit. Ihr Ergebnis läßt sich kurz so zusammenfassen,
daß der unterschiedliche Stil der Quellen (erbaulich-rhetorisch,
sagenhaft und nichthagiographisch) ein zudem noch weithin modernes
„historisches" Interesse am jurisdiktionellen Status ausschließt
. Das gilt auch für den ganzen Komplex der Boris- und
Gleb-Beridite. Deshalb kann das von den Gegnern der byzantinischen
These stark ins Feld geführte argumentum e silentio nicht
überzeugen (S. 55—63). Verf. kommt zum 3. Punkt, dem „Akt
von 1037". Auch hier müssen wir uns im Rahmen dieser Besprechung
darauf beschränken, die Ergebnisse zusammenzufassen.

a. M. hegt starke Zweifel, daß Rußland überhaupt jemals ein
Erzbistum gewesen ist (S. 63—65). Nach ihm sind die beiden
Ausdrücke Metropolit und Erzbischof synonym gebraucht, b. Wie
steht es mit dem „Akt von 1037"? Die altrussische Chronik berichtet
zu diesem Jahre: „Er (Jaroslav, O.) gründete aber auch
die Kirche der heiligen Sophia, die Metropolie." Verf. meint,
m. E. zu Recht, daß es sich bei dieser Meldung nicht um die Gründung
der Metropolie, sondern um die Grundsteinlegung
der Metropolitankirche, d.h. eben der Sophienkirche
handelt. Zum entsprechenden Terminus „zaloziti" darf ich
als Ergänzung u. a. noch nennen: A. L. Mongajt, in: Materi-
aly i Issledovanija po Archeologii Drevneru6skich Gorodov,
2. Bd., Moskau 1952, S. 8 ff. Daß es sich bei „Metropolie" in
der Tat um das Gebäude der Sophienkirche handelt, geht nach M.
noch aus dem Bericht zum Jahre 1036 hervor, nach dem eine
Schlacht mit den Petschenegen an der Stelle stattfand, „wo jetzt
die heilige Sophia, die russische Metropolie steht" (S. 66). Die
Novgoroder Chroniken setzen als Gründungsjahr 1017 an. „Der
Redaktor des uns vorliegenden Chroniktexteö war gezwungen,
die Nachricht über die Gründung der Sophienkirche im Jahre 1017
zu streichen, wenn er für 1036 berichten wollte, daß an der
Stelle ein freies Feld außerhalb der Stadt gewesen 6ei" (S. 67).
Im übrigen sind sovjetische Forscher heute geneigt, mit einiger
Vorsicht die Bauzeit der Sophien-Kathedrale von 1017—1037
anzunehmen (vgl. Istorija Russkoj Architektury, Moskau 195 6,
S. 21 f.). Immerhin bleibt hier doch eine Schwierigkeit. Jaroslav
mußte bereits 1018 vor Boleslav und Svjatopolk aus Kiev weichen
, um im nächsten Jahre allerdings Svjatopolk endgültig zu
besiegen und Kiev in Besitz zu nehmen. Es ist deshalb fraglich,
ob Jaroslav in diesen unruhigen Zeiten an die Grundsteinlegung
eines so wichtigen und umfangreichen Bauvorhabens, wie es eine
Metropolitankirche ist, überhaupt denken konnte. Außerdem
wird man nicht übersehen können, daß die Novgoroder Chronik
die Ereignisse dieser Zeit sehr summarisch behandelt (vgl. auch
Povest' Vremennych Let, 2. Bd., Moskau - Leningrad 1950,
S. 363). Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß es sich bei
der Notiz von 1037 um die Metropolitankirche und nicht um die
Metropolie handelt(S. 65—68). Schließlich kommt Verf. auf die
Frage zu sprechen, ob dieser „Akt von 1037" wirklich eine Rangerniedrigung
gewesen ist, immer vorausgesetzt, daß es vor 1037
ein Erzbistum Rußland gegeben hat, was M., wie oben erwähnt,
bezweifelt. Auf Grund kirchenrechtlicher Erwägungen kommt er
zum Ergebnis, daß ohne große Schwierigkeiten aus den notitiae
episcopatuum eine Rangerhöhung zu erschließen ist. Das auto-
kephale (im Sinne des römischen exempt) Erzbistum Rußland
stand zunächst den Metropoliten der byzantinischen Kirche an
Rang nach, weil es keine Suffraganbistümer besaß. Wir wissen
aber, daß 1036 ein Novgoroder Bischof als Suffragan des Kiever
Metropoliten (oder Erzbischofs) erscheint. Mit großer Wahrscheinlichkeit
hat es solche Suffragane schon vorher gegeben
(S. 68—75). Unter Heranziehung einiger anderer Forschungsgebiete
(Baukunst, Malerei, Numismatik, Sigillographie) bestärkt
Verf. in Form von 6 Thesen nochmals seine Auffassung, daß die
russische Kirche niemals außerhalb der byzantinischen Jurisdiktion
gestanden habe (IV, S. 76—77). Seine Foirschungscrgeb-
ni66e, vor allem auch seine Untersuchungen über Boris und Gleb,
werden die Wissenschaft intensiv zu beschäftigen haben. Wie
auch die kritische Auseinandersetzung über Einzelheiten sich gestalten
wird, es bleibt das Verdienst des Verfs., die Frage de«
jurisdiktionellen Status der jungen russischen Kirche einer oft an
die Kriminalistik erinnernden, durch Veranlagung und bestimmte
Interessen festgelegten Hypothesenfreudigkeit mancher
Forscher entzogen und einer ruhigen und sachlichen Beurteilung
zugeführt zu haben.

Halle/Saale Konrad O n n i r h

Schreiber, Georg: Die Wochentage im Erlebnis der Ostkirche un<T
des christlichen Abendlandes. Köln-Opladen: Westdeutscher Verlag
[1959]. 283 S. gr. 8° = Wisscnschaftl. Abhandl. der Arbeitsgemeinschaft
f. Forschung d. Landes Nordrhein-Wcstfalen, hrsg. v. L. Brandt,
Bd. 11. Lw. DM 23.-.

Verf. schreibt selbst auf S. 237: „Für die Woche, die
Wochentage und für ihr Brauchtum in der O s t k i r c h e brachten
wir nur einige Hinweise. Nicht mehr." In der Tat sind es nur