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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

537-538

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Thadden, Rudolf von

Titel/Untertitel:

Die brandenburgisch-preussischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert 1960

Rezensent:

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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die Symbolik sind, so absurd ist die Grundidee keineswegs. Man
ist nicht nur gezwungen, zuletzt an die eschatologi6chen Hoffnungen
der ganzen Urchristenheit zu denken, deren Hängenbleiben
zwischen Karfreitagskreuz und Ostersieg keineswegs den
Untergang bedeutete. Man steht hier überhaupt vor dem letzten
Urrätsel aller Zeit, daß 6ie ihr Ende im Unendlichen hat. Kuhlmann
war eine höchste eschatologische Aufsteigerung dieses
Geistes und Rätsels, die hochbarocke, persönlich nicht ohne
Fehler und Makel, die seinen Sturz beschleunigten und ra6ch
besiegelten.

Berlin Wilhelm Koepp

Thadden, Rudolf von: Die Rrandcnburgisch-Prcußischen Hofprediger

im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen
Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen. Berlin: de Gruyter
1959. VIII, 239 S., 18Tab. gr. 8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte,
hrsg. v. K. Aland, W. Ehester u. H. Rückert, 32. DM 22.—.

Forschungsgcschichtlich steht diese Arbeit in einer bestimmten
Tradition, da sie das Anliegen der bis 1940 erschienenen
Jahrbücher für Brandenburgische Kirchengeschichte aufnehmen
möchte, indem sie die kirchengeschichtlichen Fragestellungen
in enge Wechselbeziehungen zur allgemeinen Geschichte
setzt. Der Gegenstand der Untersuchung, die brandenburgisch
-preußischen Hofprediger, zwingt zu einer Darstellung
ihrer sozialen und politischen Funktion, so daß diese Göttinger
phil. Diss. weit mehr bietet als eine Studie zur Geschichte des
evangelischen Pfarrerstandes auf territorialgeschichtlicher Basis.
In der Anordnung des Materials hätte Verf. dem chronologischgenetischen
Gesichtspunkt vielleicht entschlossener den Vorzug
geben sollen.

R. v. Th. zeigt, daß es nicht nur in Berlin, sondern im
ganzen Lande der Hohenzollern aus politischen Gründen Hof-
prediger gab. Diese repräsentieren in der reformierten Gesellschaft
Brandenburg-Preußens etwa zwei Jahrhunderte „den geistlichen
Kern jener Familiengruppe, die .. . den Anspruch erheben
konnte (und auch weitgehend erfüllte), die staatstragende
Schicht der hohenzollernschen Länderansammlung zu sein"
(S. 7/8). Der Verf. belegt d ie6e Feststellung mit einem ämter-
gcschichtlichen, einem sozial- und einem kirchengeschichtlichen
Kapitel.

Das I. Kapitel bezeichnet das Jahr 1613, in dem Kurfürst Johann
Sigismund zum reformierten Bekenntnis übertrat, als das den in die
Untersuchung einbezogenen Zeitabschnitt nach unten begrenzende Jahr.
Seitdem mußten die Hofprediger dem reformierten Bekenntnis angehören
, wodurch sie sofort in eine fast hoffnungslose Isolierung gegenüber
der lutherischen Bevölkerung hineingerieten. Um so mehr waren sie an
das Herrscherhaus gebunden, dessen Vertretung in kirchlichen Angelegenheiten
sie übernahmen. Die Entstehung der Hofpredigerstcllen an 19
verschiedenen Orten hing in der Regel mit familiären oder administrativen
Gesichtspunkten des Herrscherhauses zusammen. Die Errichtung
einer Hofprcdigerstelle konnte z. T. an bestehende reformierte Gemeinden
anknüpfen oder führte auch zu einer reformierten Gemeindegründung
. Regierungssitze konnten zwar nicht im engeren Sinne als
landesherrliche Residenzen bezeichnet werden, aber die weite Auslegung
des Begriffs mußte den Rcchtstitel für die Errichtung von Hofprediger-
stellcn abgeben, oft unter dem Protest der lutherischen Gemeinden und
ältlichen Kräfte.

S. 60 ff. zeigt der Verf., daß der Große Kurfürst auf diese Weise alle
j-hancen ausnutzte, um seinem Glauben Raum zu schaffen mit dem Er-
°'g. daß um 1700 sich der Calvinismus hochgemut seiner Position bewußt
war (vgl. dazu Anm. 2 53). Die Hofpredigerstellen hatten verschiedenen
Rang und wurden verschieden dotiert. —

v M> II. Kapitel führt der Verf. aus, daß nicht die seelsorgerlichen
pCrPf'ditungen, sondern die Einwirkungen im kirchenregimentlichen
ereich, teils als Mitglieder der Konsistorien, teils als persönliche Berater
cr Herrscher und als seine Beauftragten im Prüfung«-, Schul- und
^•ensurwesen, den Hofpredigern kirchenpolitische Bedeutung verschaffen
. Selbständige politische Akteure waren sie deshalb noch nicht. Aber
etappenweise Vordringen des Calvinismu» war nur möglich aufgrund
>ner zuverlässigen Militia reformierter Christen, die nach geographi-
**n Gesichtspunkten geformt wurde, um das ganze Land schwerpunkts-
maüig besser auflockern zu können. Da die Hofpredigerfamilien oftmals
"rch verwandtschaftliche Bande zusammenhingen, sie eine berufliche
^enarrungstendenz entwickelten bzw. den Staat in den zweiten, dritten
2*' S°hnen mit höheren Beamten versorgten, verfügte Brandenburg
1648 bereits über einen Stamm reformierter Staatsdiener. - Das für

diese Kreise bezeichnende Klima prägt auch die festen hugenottischen
Vertreter der Autonomie und des Widerstandsgeistes um. Sie werden
loyale Anhänger des Staatskirchentums. Das Jahr 1740 bedeutet sozialgeschichtlich
einen folgenreichen Einschnitt, da Friedrich d. Gr. den Adel
bevorzugt. Der absolutistische Staat ist jetzt konsolidiert, und ein
Gegengewicht zu der bisher allein staatstragenden Schicht erscheint
wünschenswert.

Im III. Kapitel fragt von Thadden nach den Motiven zur Konversion
zum Calvinismus, von denen zwei besonders hervorzuheben sind:
die Annahme, daß der Calvinismus allen gegenreformatorisdien Tendenzen
größeren Widerstand entgegensetzen könne, und daß die Verbindung
zum Humanismus stärker gegeben sei (die niederländ. Bildungswelt
und der Calvinismus standen in engstem Zusammenhang). Besonders
aufschlußreich erscheint der Nachweis über Entwürfe und Projekte
reformierter Theologen aus verschiedenen Generationen, mit Hilfe des
Calvinismus die Reformation weiterzuführen. Vorschläge zur Durchführung
der Kirchenzucht und des Gottesdienstes und vor allem die
Befürwortung des Bischofsamtes durch Jablonski, die von Thadden neu
zu deuten sucht (114 ff.), werden in diesem Zusammenhang gewürdigt.
Alle Hofpredigervorechläge hielten jedoch am Landes- bzw. Staats-
kirchentum fest.

Dieses feierte seinen Triumph im Woellnerschen Religionsedikt
von 1788. „War früher der Legitimitätsanspruch der Staatskirche durch
die wechselseitige Verstärkung von geistlichem und herrscherlichem
Prinzip gegründet gewesen, so hatte inzwischen der Prozeß der Verflüchtigung
allen positiven Glaubensgehaltes zu einer Verhärtung der
Schale statt zu einer Festigung des Gefüges geführt." Es wurde jetzt
offenbar, daß seit einiger Zeit Staatsgesetze automatisch als Kirchengesetze
galten (S. 127). —

R. v. Thaddens Arbeit führt für ein wesentliches Gebiet die
vor allem von H. Leube in Angriff genommenen Untersuchungen
weiter und bietet etwa für das Verständnis Speners und seiner
Zeit, für die Struktur des Landeskirchentums und die Genesis
der Union des 19. Jahrhunderts wertvolle Anregungen. Ihre
sozialgeschichtlichen und politischen Perspektiven sollten gesondert
ausgewertet werdenl (vgl. S. 991)-

Neuendettelsau Friedrich Wilhelm Kantzenbach

Beyreuther, Erich: Die Bedeutung der tschechischen Exulantengemeinde
Na kopecku im Nachbarort Herrnhuts 1724—1732.
Communio Viatorum II, 1959 S. 163—172.

G i 1 g, Otto: Die nichttheologischen Faktoren bei der Gründung der
christkatholischen Landeskirche der Schweiz.
Internationale Kirchliche Zeitschrift 50, 1960 S. 30—47.

Härder, Günther: Die Bedeutung der Kirchengliedschaft im Kirchenkampf
.

Evangelische Theologie 20, 1960 S. 71—90.

Herrmann, Gotthilf: Vorgeschichte und Anfänge der Evangelisch-
Lutherischen Freikirche in Sachsen und anderen Staaten.
Lutherischer Rundblick 8, 1960 S. 12—31.

Hromädka, J. L.: Die Theologie von J. A. Comenius im Umbruch
der Zeiten.

Communio Viatorum II, 1959 S. 42—49.

(Berichtigung zu ThLZ 1960 Sp. 120.)
K u p i s c h, Karl: Friedrich von Bodelschwingh.

Kirche in der Zeit 15, 1960 S. 114—116.
Niemöller, Wilhelm: Epilog zum Kanzlerempfang.

Evangelische Theologie 20, 1960 S. 107—124.

OSTKIRCHE

Müller, Ludolf, Prof. Dr. Dr.: Zum Problem des hierarchischen Status
und der jurisdiktioneilen Abhängigkeit der russischen Kirche
vor 1039. Köln-Braunsfeld: R. Müller 1959. 84 S. gr. 8 -^ Osteuropa
und der deutsche Osten, Reihe III, Westfälische Wilhelms-
Universität zu Münster, 6. Kart. DM 4.80.

Bei der Untersuchung Müllers geht es um Folgendes: Die
altrussische Chronik erwähnt anläßlich der Weihe einer Gottesmutterkirche
in Kiev im Jahre 1039 einen Metropoliten namens
Theopempt. Die Taufe Rußlands lag ungefähr 50 Jahre zurück.
In diesen 50 Jahren haben wir nur äußerst spärliche Quellen über
den hierarchischen Status der jungen russischen Kirche. Zudem
wird zum Jahre 1037 dieser Status als Metropohe bezeichnet.
Hieraus ergeben sich eine Reihe von schwierigen Problemen, die
sich auf zwei konzentrieren lassen: 1. Welchen jurisdiktioneilen