Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

531-534

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Lutherjahrbuch Jahrg. XXV/1958 1960

Rezensent:

Delius, Hans-Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

531

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

532

Literatur jener Tage gehalten. Das nun im I. Bande des neuen
Werkes vorgelegte Material zeigt, daß es nicht nur vereinzelte
katholische Theologen waren, die den Reformatoren entgegengewirkt
haben, sondern daß der Episkopat selbst seine Aufgabe
in diesem Kampf sehr genau gesehen hat. In das Lebensbild manches
dieser „Reichsbischöfe" wird sich daraufhin ein neuer Zug
einzeichnen lassen. Die alte Auffassung von ihrer Untätigkeit
und der Lähmung ihrer Kraft durch die Reformationsbewegung
muß 6tark eingeschränkt werden. Vielmehr wird hier deutlich,
daß es ein echter Kampf war.

Zum mindesten gilt dies von den oberdeutschen Bischöfen,
von denen dieser I. Band nicht unerhebliche Quellen aus verschiedenen
Archiven enthält. Der Bearbeiter betont freilich
selbst, daß die Initiative mei6t von der anderen Seite ausging,
aber bemerkenswerte Reaktionen auf Seiten des Episkopats auslöste
. Ebenso beachtlich ist die Tatsache, daß die Reformen oft
mit staatskirchlichen Plänen verbunden wurden, die sie im
Grunde nur gehindert haben. Daß bisweilen auch der Kaiser und
die Landesfürsten den Anstoß zu kirchlichen Maßnahmen gaben,
ist ebenfalls eine nicht unwesentliche Beobachtung.

Die im I. Bande zusammengefaßten Texte entstammen, abgesehen
von .loh. Ecks Denkschrift für Papst Adrian VI., den
Erzdiözesen Salzburg und Mainz. Sie beziehen sich vornehmlich
auf die Maßnahmen, die als Gegenwirkung gegen das „lutherische
Gift" angeregt und ergriffen wurden. In Salzburg tritt die
Gestalt des Erzbischofs Mattheus Lang, sein Eifer um die
Provinzialsynoden, um die Visitation der Klöster u. a. stark
hervor. Vor allem ist sein Bemühen bemerkenswert, die Mühl-
dorfer Beschlüsse durchzusetzen. Nicht minder wichtig ist sein
Anteil am Regensburger Konvent und an der Regensburger
Einung.

In großer Übereinstimmung mit den Salzburger Überlegungen
und Plänen stehen die auf dem Landauer Konvent für die
Erzdiözese Mainz festgelegten Reformstatuten. Der Episkopat
nimmt Stellung zu den Gravamina und gibt seine Erwiderung
darauf. Besonders intensiv wird die Tätigkeit des Episkopats im
Zeichen des Augsburger Reichstages. Hier gehen die Bischöfe
zum Gegenangriff über: sie beschweren sich über die weltlichen
Fürsten, sie führen Verhandlungen mit dem Legaten Campeggio
und erörtern Wege und Möglichkeiten des Ausgleichs. Auch auf
einzelne der anderen geistlichen Fürsten fällt dabei ein neues
Licht. Die Linie führt weiter zu den Regensburger Verhandlungen
von 1532 und zeigt die Verbindung zwischen Reformbestrebungen
und politischem Handeln.

Bei den Archivalien handelt es sich um Stoff, der bisher
kaum in Angriff genommen worden ist. Spezielle Literatur darüber
gibt es daher noch nicht. Die Bearbeitung der Texte i6t
sorgfältig. Daß Drucke anders behandelt werden als Handschriften
, ist für den Erfahrenen einsichtig. Die gründliche Arbeit verdient
auch von der Seite der Textdarbietung volle Anerkennung.

Münster/Westf. Robert Stupperieh

Luther- Jahrbuch 1958. Jahrbuch der Luther-Gesellschaft, hrsg. v.
F. Lau. Jahrg. XXV/1958. Festgabe für Paul Althaus (* 4.2. 1888).
Berlin: Luth. Verlagshaus 1958. VIII, 213 S., 5 Taf 8°. Lw
DM 14.50.

Erstmalig nach dem zweiten Weltkrieg kann hier das
Lutherjahrbuch, das Jahrbuch der Luther-Gesellschaft, wieder
angezeigt werden. Die bis jetzt vorliegenden vier Bände (1957
—1960) setzen eine Tradition von 23 Luther-Jahrbüchern vor
1945 fort. Es kann jedoch hier erst vom Jahrgang XXV (1958)
an berichtet werden, da das Jahrbuch 1957 der Schriftleitung nicht
vorgelegen hat.

Das Jahrbuch 1958 ist dem 70jährigen Präsidenten der Luthergesellschaft
Paul Althaus vom zweiten Präsidenten V. Herntrich gewidmet
. Im ersten Beitrag stellt H. Bornkamm „Erasmus und Luther"
(S. 3—22) gegenüber. Erasmus will in seinem .Enchiridion militis christi-
ani' bei seinen Lesern den religiösen Sinn wecken, spannt seine Forderung
jedoch auf volle Beherrschung der Leidenschaften durch die Vernunft
sehr hoch. Zur echten Bedeutung kam das 1503 zum ersten
Male gedruckte .Enchiridion' aber erst 1518, als zugleich in der Heidelberger
Disputation Luther Sätze von ganz anderem Inhalt vorbrachte
. Zwei Welten standen sich hier gegenüber: Bei Erasmus die

Verknüpfung von Bibel und Antike mit ihrer Ausweitung und wissenschaftlichen
Vertiefung und dem Ziel, beide als Elemente der Bildung
zu verstehen. Lebensideal wird so der gebildete Christ. Vorchristliches
und christliches Altertum werden dabei nivelliert und als widerspruchslose
Einheit verstanden. Die allegorische Auslegung der Schrift gibt
Erasmus dabei die Möglichkeit, an ihrer unbedingten Autorität festzuhalten
: Man kann sie glauben, weil jederzeit eine hintergründige
Deutung einen Ausweg zuläßt. Ganz anders Luther. Er war einen Weg
geführt worden, der all da6 verneinte, was Erasmus bejahte und umgekehrt
. Wenn sie auch beide vieles gemein hatten — die Empörung
über die Zustände der Kirche und ihrer Glieder und daraus den
Willen zu ihrer Erneuerung oder die Ablehnung der Scholastik —, so
verbargen 6ich auch in den scheinbaren Bindungen denkbar große
Unterschiede. Auch war Luthers Bibelverständnis dem des Erasmus
konträr entgegen. Er sah die Schrift nur in ihrer Realität und lehnte
eine Vergeistigung durch die Allegorie im erasmianischen Sinn ab.
Diese Gegensätze kamen aber erst später zum Ausdruck, auch wenn
Luther schon im Frühjahr 1517 über sie ohne Illusionen war. Drei
große Linien kennzeichnen die sich anbahnende Auseinandersetzung.
Die erste ist das unbewußte Ringen um die junge Generation. Viele
bekannte Namen sind es, die mit fliegenden Fahnen zu dem Wittenberger
Professor übergingen: Melanchthon, Bucer, Jonas, Capito, Öko-
lampad u. a. Sie drängten nicht zuletzt Erasmus, sich ebenfalls zu
Luther zu bekennen. Doch schaffte Erasmus Klarheit in die Fronten
in einem ganz anderen Sinn, indem er die Frage des freien Willens
als Gegenstand der Auseinandersetzung wählte. Hier traf er den Punkt,
den Luther scharfsichtig schon früher als Zentrum der Differenz erkannt
hatte. Erasmus wußte sich hier einig mit vielen Männern seiner
Zeit: Heinrich VIII. oder aber Georg von Sachsen behaupteten wie
viele mit ihrem Theologenanhang, Luthers Gnadenlehre spreche den
Menschen frei und Gott schuldig. „Wenn der Mensch keine Freiheit
des Willens besitze, könne nichts von ihm gefordert werden, dann sei
Gott schuld am Bösen" (S. 14). Luther hatte nicht die Möglichkeit
zum Ausweichen in Skepsis und Autoritätsglauben wie Erasmus. Hier
fingen seine Fragen erst an, indem er rückhaltlos den Dingen auf den
Grund ging und nach der Sache fragte. Luthers Auffassung vom Menschen
unterscheidet sich von der des Erasmus nicht durch eine andere
philosophische Anthropologie, doch traute er dem Menschen weniger
zu als Erasmus und Gott unendlich mehr. So kam er zu einem theologischen
Menschenbild.

Als eine dritte Phase der Auseinandersetzung zwischen Erasmus
und Luther bezeichnet B. die Frage der Wiedervereinigung der Kirchen,
zu der sich Erasmus aus Anlaß des Augsburger Reichstags erst 153J
äußerte. Luther klärte hier die Absichten des Erasmus durch eine
Unterscheidung in .concordia caritatis' und .concordia fidei'. Während
erstere von jedem evangelischen Christen von Herzen bejaht wird,
kann doch die zweite nicht hergestellt werden auf Kosten der Wahrheit
oder des Gewissens.

Durch die Jahre hindurch verfolgt F. H e s s e die mehrmalige
„Auslegung des 2. Psalms" durch Luther (S. 23—41). Während die alt-
testamentliche Forschung der Gegenwart ihn als Königspsalm, als Verherrlichung
eines vorexilischen Davididen aus Anlaß seiner Thronbesteigung
versteht, ist für Luther das christozentrische Verständnis
das einzig mögliche, da auch die Begriffe aus dem altorientalischen Hofzeremoniell
eine messianische Umdeutung nahelegen.

Die „Lehre vom Hl. Geist" ist der Punkt, der in Luthers Theologie
noch der stärksten Klärung bedarf. Außerdem besteht hier ein
Widerspruch zwischen der Lutherinterpretation der HoH'schen Schule
und der Dialektischen Theologie. Aus diesem Grunde referiert H.
Gerde« (S. 42—60) ausführlich über R. Prenters .Spiritus Creator'
und erkennt den Vorwurf Prenters gegen den Neuprotestantismus und
Karl Holl an, die „das Wirken des Geistes in ein rational und psychologisch
durchsichtiges System auflösen und damit das Wunder der göttlichen
Gegenwart preisgeben" (S. 58). Die Unmöglichkeit, Luther in
unsere heutige Welt zu übertragen, ist das Dilemma aller modernen
Lutherforschung. Der Ausweg, auf Luthers Übertragung in unsere Welt
ganz zu verzichten, ist keiner, da eine Aneignung Luthers heute mehr
denn je notwendig ist. Sie muß aus modernen Voraussetzungen heraus
und als „Rechenschaft vor dem Wahrheitsgewissen unserer Zeit, nicht
mehr einfach als Darstellung der Theologie Luthers" (S. 59) vor sich'
gehen.

Zu „Luthers Auffassung vom geistlichen Amt" fehlt e« bei allem'
Interesse für das Thema an einer größeren, für die weitere Forschung
grundlegenden Monographie. Die Grundzüge der lutherischen Amtsauffassung
stellt K. Tuchel (S. 61—98) in einer Untersuchung mit
großer Akribie, besonders in den Quellennachweisen, dar. Er geht dabei
von der Römerbriefvorlesung aus bis zu den Schriften des Jahres 1520.
Wenn auch die Untersuchung zweifellos eine Lücke in der Bearbeitung
der Theologie Luthers füllt, so ist doch zu hoffen, daß sie später weiter-