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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

524-526

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

La Didachè 1960

Rezensent:

Fischer, Joseph Anton

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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der Zuhörer hervorgerufen wird, außer acht läßt. Es ist bezeichnend
für des Verfs. Art, die Dinge zu sehen, daß er das eindeutige
nävreg in Lukas 4, 29 übersieht, um für die Feststellung
Raum zu haben, daß nur die Sklavenhalter, aber nicht das arme
leidende Volk über diese Predigt empört gewesen seien. Weil das
geringe Volk es nicht zum Äußersten kommen ließ, hätte Jesus
entkommen können! Daß es dabei wieder nicht ohne moralische
Polemik abgeht, zeigen Bemerkungen auf S. 63 und 67. Wenn
dabei entrüstet gefragt wird (und zwar zu Exodus 21, 5 u. 26):
„Was hatten sie alle in ihrer proletarischen Situation von solchem
Geschwätz über den Wert der freien Persönlichkeit, wenn sie
der Gewalt ihrer Herren weiterhin ausgeliefert blieben?", so
darf man an den Verf. wohl die bescheidene Frage richten, ob er
den Begriff der „freien Persönlichkeit", nun sagen wir, für die
Zeit von 800—600 vor Christus als bekannt voraussetzen will.
Die Ausdeutung der Tempelaustreibung als Angriff auf die kultischen
Grundlagen de6 gesamten Lebens der Juden ist nicht zu
halten, wenn man bedenkt, daß Jesus bald darauf mit seinen
Jüngern das Passahlamm ißt. Berechtigter Zorn über das Ge-
schäftsgebahren an heiliger Stätte ist keine Polemik gegen die6e
Stätte selbst, und wenn Jesus „der Eifer u m das Haus des Herrn
verzehrt", kann das nicht bedeuten, daß Je6us die Rolle des
Stephanus vorweggenommen habe. Davon abgesehen, gibt es
wohl kein größeres Mißverständnis des 4. Evangelisten als das
des Autors, wenn er in dem von ihm gleichfalls für nicht geschichtlich
gehaltenen Tempelgespräch Joh. 2, 19 „revolutionären
" Gehalt im Sinn einer Veränderung dieser Welt vermutet.
Wie kann man bei einiger Kenntnis, welche Bedeutung die
Enderwartung Jesu für die Urgemeinde hatte, Mk. 10,45 so auslegen
, wie es auf S. 75 geschieht, und diese Auslegung mit einer
60 unzulänglichen Anmerkung 10 versehen? Wie unklar und
schwankend sind die Ausführungen über Paulus auf S. 86 f.,
trotzdem K. von der Bedeutung einer Stelle wie 1. Kor. 7,21
weiß (S. 90)! Was sollen, um ein Beispiel aus dem Schlußteil des
Buches herauszugreifen, angesichts des erneuten Hinweises auf
die Richtigkeit der marxistischen Geschichtstheorie (S. 170), die
erneuten Vorwürfe gegen die Kirche auf S. 171 f.? Hätte der
Verfasser die klare marxistische Linie, wie sie z.B. bei Ranowitsch
mit wohltuender Sachlichkeit gezeichnet wird, auf der einen
Seite festgehalten, um auf der anderen ebenso folgerichtig das in
der neuesten protestantischen Theologie erarbeitete Weltverständnis
Jesu und der Urgemeinde mit ihren Konsequenzen der
Menschenbewertung gleichsam von innen her (d. h. von der
Christusgemeinde, die als Kreis der „Herausgerufenen" eben
nicht mehr „Welt" ist) dagegen zu setzen, er hätte m. E. einen
fruchtbaren Ansatz gefunden, um aus diesem Gegensatz zu jener
teils „heidnischen" (Hadrian, Marc Aurel), teils christlichen
(Konstantin) Überwindung krassester Mißstände im Sklavendasein
zu führen, die geschichtlich möglich war. Dabei ist 6tets zu
bedenken, daß ja Kirche nicht Staat, und Gemeinde nicht Trägerin
und Vollstreckerin politischer Macht sein kann und sein darf,
weil das — seit der Versuchung Jesu in der Wüste unmöglich ist!
So aber ist die echte Spannung duTch eine nicht urchristlichem Ansatz
entsprechende Synthese mit Welt und Kultur, obendrein
verbunden mit Ablehnung urchristlichen Sündenverständnisses
und urchristlicher Eschatologie, d. h. durch eine Denkweise, die
an Ad. Harnacks „Wesen des Christentums" erinnert, aufgehoben
, und die Christenheit wird — mit Vergesetzlichung des
Liebesgebotes Jesu als eines für die Wandlung der Welt gültigen
und brauchbaren „Maßstabes" — nach einem etwa um 1900 gültigen
oder zumindest weit verbreiteten Verständnis Jesu und seiner
Botschaft beurteilt und abgeurteilt!

Auch sonst wäre noch manches anzumerken. Gehört der
1543 verstorbene Kopernikus noch ins Mittelalter? (S. 7). Hätte
der Verf. die unerfreuliche Verdächtigung gegen die „kirchliche
Auslegung" über Moses geschrieben (S. 13), wenn er, anstatt
gegen ein 1912 erschienenes Buch des konservativen Bonner Alt-
testamentlers Eduard König zu polemisieren (S. 31), gelesen
hätte, was der heutige Bonner Alttestamentler Martin Noth in
seiner Geschichte Israels (zitiert nach 1. Auflage 1950 S. 29; 99;
105; besonders 118; 179; 186 u. 256) zur geschichtlichen Bedeutung
des Moses und zur Frage der Sklaverei Israels in Ägypten
bemerkt? Wir wollen abbrechen. Es kann einem aufrichtig leid
tun, daß der Verf. trotz der an sich verdienstlichen Zusammenstellung
antiker Quellen, der man seitenweise gern und mit
Interesse folgt, durch eine Eintragung moderner Polemik in antikes
Denken ein Werk geschaffen hat, welches nicht den Anforderungen
einer streng wissenschaftlichen Untersuchung genügt.

Berlin Erich Fascher

Audet, Jean-Paul: La Didache. Instructions des Apötres. Paris: Ga-
balda & Cie 1958. XIX, 498 S. 4° = Stüdes bibliques. ffr. 4.200.—.

Dieses umfangreiche, revolutionär gedachte Werk umfaßt
drei Teile, die Einführung (S. 1—219), Text und Übersetzung
(S. 221—243), den Kommentar (S. 245—474). Voraus geht eine
Bibliographie (S. X—XVI), den Abschluß bilden vier Indices
(S. 477-498).

Die Einführung beginnt mit einer dankenswerten Geschichte
des rund 75jährigen Ringens um die von der Didadie aufgegebenen
Probleme. Seine eigenen Anschauungen baut der Verf.
dann methodisch richtig zunächst auf der Untersuchung des Textes
auf (H = griechischer Gesamttext des Hierosolymitanus,
O = griechische Fragmente von Oxyrhynchos, c = Bruchstücke
einer koptischen Version, e = solche einer äthiopischen, g =
georgische Übersetzung, CA — Bearbeitung im siebten Buch der
Apostolischen Konstitutionen). Mit Recht gibt Au. zu bedenken,
daß dem H-Text aus dem Jahr 1056 nur relative Primärbedeutung
zukomme; in den Fällen, wo O und CA übereinstimmen, darf
wiederholt gegen H entschieden werden; größere Vorsicht ist
m. E. geboten, wenn nur CA gegen H steht; O allein kann gegen
H in der Regel nicht aufkommen. Was die Übereetzungen betrifft
, so ist c alt und wird vom Verf. sehr geschätzt, gegebenenfalls
mehr als der vorliegende griechische Text; e hat nur in
Zusammennähme mit anderen Lesarten gelegentlichen Wert, die
Varianten von g tragen im allgemeinen explikativen Charakter
und sind daher von geringer Bedeutung; auch kennen wir g noch
zu wenig.

Nach einem den alten Bezeugungen der Didache gewidmeten
Kapitel auf Einzelprobleme der Entstehung übergehend, erörtert
Au. fürs erste die Frage nach dem ursprünglichen Titel der Schrift.
In eingehender literargeschichtlicher, sowie Aufbau und Inhalt
betrachtender Begründung möchte er als originale Überschrift
ermitteln: Atdayat tü>v Anooröhov (Apostel im weiteren
Sinn von Did 11, 3—6). Der zweite, längere Titel sei nicht als
ursprünglicher Gesamttitcl anzusehen; unter Weglassung einer
christlichen Interpolation habe er zuerst gelautet Aiönyrj xvoiov
toi? eftveotv und sei Teilüberschrift der (jüdischen) „Zwei
Wege" gewesen.

Diese neuen Thesen stellen bereits einen charakteristischen
Bestandteil der Gesamtauffassung Au.s dar. Zur umstrittenen
Frage der Komposition unterscheidet der Verf. zwischen D 1, D 2
und J. D 1, die ursprüngliche Didache, reiche bis 11,2; der Re6t,
D 2, sei eine Fortsetzung durch den Didachisten; noch etwas
später wurden 1,3b —2,1; 6,2f.; 7,2—4; 13,3. 5—7 interpoliert
(J). Den Didachisten (D 1, D 2), aber auch noch den Intcr-
polator möchte der Verf. unter den Aposteln (im weiteren Sinn)
suchen. Als Glossen aus späterer Zeit, doch noch aus den ersten
Jahrhunderten, erscheinen schließlich 1,4a und 13,4.

Ausführlich wird das vielerörterte Quellenproblem behandelt
. Zum Verhältnis von Didache und Barnabasbrief kommt auch
Au. zu der Ansicht, daß beide Schriften voneinander unabhängig
die Zwei-Wege-Lehre einer gemeinsamen Quelle jüdischen Ursprungs
entnommen haben, die in der von Joseph Schlecht entdeckten
„Docrrina apostolorum" repräsentiert werde. Letzteres
verdient Beachtung. Der Hinweis auf die Verwandtschaft der
(jüdischen) „Zwei Wege" mit der „Sektenregel" der Qumrän-
gemeinde fehlt in diesem Zusammenhang nicht. — Der Pastor
Hermae ist auch für Au. jünger als die Didache. — Was das Verhältnis
zu den Evangelien betrifft, so nimmt der Verf. für D 1
keine literarische Abhängigkeit von Mt an, ebensowenig eine
solche von Jo; er denkt an die Verwendung einer Evangelientradition
, die mit Mt verwandt, aber noch nicht identisch ist;
D 2 liege schon ein schriftliches „Evangelium" vor, ebenfalls mit
Mt verwandt, aber nicht identisch; auch J habe Mt und Lk noch
nicht benützt. Ähnlich vertrat fast gleichzeitig und unabhängig