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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

520-521

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Stamm, Johann Jakob

Titel/Untertitel:

Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Alten Testament 1960

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

520

Hohenliedes in dem zur Untersuchung stehenden Zeitraum geschrieben
worden ist.

Die Untersuchung beschränkt sich auf das Abendland. In der
Vorrede nennt der Verfasser noch weitere notwendige Begrenzungen
, die sich aus der Fülle des Stoffes sowie aus der Forschungssituation
ergaben. Er spricht daher im Untertitel seines Werkes
nur von „Grundzügen einer Geschichte der Hohelied-Auslegung".
So ist die jüdische Auslegung des Hohenliedes während des
Mittelalters nicht berücksichtigt worden, die griechische Exegese
nur insoweit, als sie in lateinischen Übersetzungen dem Abendland
zugänglich geworden ist. Der Verfasser bekennt weiterhin
in der Vorrede, in seinen Forschungen mehr frömmigkeits- und
formgeschichtlich als theologisch orientiert zu sein. Zur Begründung
weist er auf die Wirkung der Hohenliedauffassung im Bereich
der Künste hin und bekennt sich selbst als Philologen.

Das Inhaltsverzeichnis zeigt deutlich, worauf der Schwerpunkt
des Werkes liegt, nämlich in der monastischen Deutung des
Hohenliedes, die den überwiegend größeren Raum einnimmt.
Von Seite 121 bis 276 werden die Zisterzienser, Prämonstra-
tenser, Augustinerchorherren und Benediktiner abgehandelt,
nachdem die Darstellung der Leistung des Rupert von Deutz diesen
umfänglichen Abschnitt eingeleitet hatte. Rupert von Deutz
wird ausgezeichnet charakterisiert als eine neue Welt des religiösen
Erlebens (S. 124), die aber noch keine unmittelbare, d.h.
mystische Erkenntnis Gottes kennt ohne den Weg über die Schrift.
Sehr schön wird seine Bedeutung für die mariologische Deutung
des Hohenliedes aufgezeigt. Das wirkt sich aus in der Mariendarstellung
der bildenden Kunst im 12. Jahrhundert. Unter den
Zisterziensern wird ausführlich Bernhard von Clairvaux dargestellt
, der schon immer in seinem bedeutenden Anteil an der
Auslegungsgeschichte des H. bekannt und gewürdigt worden war.
Er verlagert die Deutung des Hohenliedes in die Geschichtslosig-
keit der seelisch erfahrenen Begegnung mit Gott. Soweit der
Rezensent urteilen darf, sind alle Autoren entsprechend ihrer
dogmengeschichtlichen und theologiegeschichtlichen Eigenart zutreffend
charakterisiert als Ausleger des Hohenliedes. Es ist sehr
reizvoll und macht für das geschaffene Werk sehr viel aus, wenn
an Hand des Hohenliedes sich die verschiedenen Geistesrichtungen
der mittelalterlichen Kirchengeschichte abzeichnen. Sehr schön
versteht Verfasser die einzelnen Autoren zu charakterisieren, so
etwa Thomas Cisterciensis, der einen tatsächlich das ganze
Hohelied umfassenden Kommentar schreibt, in dem er sich als
scholastisch geschulter Systematiker erweist, dazu als erstaunlich
bibelkundiger Theologe, der über 100 000 Bibelstellen in
seinen Kommentar einbezieht. Bedeutsam ist die Heranziehung
der kirchlichen Liturgie bei dem Genannten. Verfasser geht
auch sehr gründlich den Fragen der Abhängigkeit eines Auslegers
vom anderen nach bis zur Aufstellung von Tabellen wie
bei Angelomus von Luxeuil in der Karolingerzeit S. 80—85.
So wachsen sich z. T. die Ausführungen zu sehr subtilen Einzeluntersuchungen
aus, die den Wert des ganzen Werkes erhöhen.
Hinzuweisen wäre noch auf den großen umfangreichen Anmerkungsapparat
, in dem der Verfasser vielfache Quellenzitate
und Auszüge bringt, die, da aus Handschriften oder entlegener
Literatur stammend, dem Benutzer wertvoll sind, da er sie hier
im Excerpt für den speziellen Zweck bereits vorfindet. Der
Kunsthistoriker wird durch die zahlreichen Literaturzitate ebenfalls
sehr auf seine Rechnung kommen, da der Verfasser die
bildende Kunst stets bei seinen Ausführungen im Blickfeld hat.

Ein Abschnitt über volkssprachige Auslegungen beschließt
das Buch. Als Sitz im Leben dieser Auslegungen wird der höfische
Boden angesehen, speziell die Adelsschlösser. Bei Landri von
Waben verweist der Verfasser auf die bezeichnende Bitte des
Verfassers, diesen „Roman" nicht in die Hände der Kinder fallen
zu lassen, ein aus der jüdischen und frühchristlichen Tradition
bekannter Zug. Die vorangestellten Kapitel behandeln sachkundig
und eindringlich die Frühzeit, die Väterzeit, Beda und
die Karolingerzeit, Reformzeit und Frühscholastik.

Selbstverständlich wird man vieles auch vermissen. Auslegungsgeschichten
wie die vorliegende werden wie jede historische
Arbeit vor der Frage der Auswahl des Charakteristischen
stehen müssen. Es ist unmöglich, in allen Einzelheiten und Nü-
ancierungen eine Auslegung6ge6chichte zu bieten, e6 sei denn,

man hätte Raum genug zur Verfügung. In seiner Schlußbetrachtung
faßt der Verfasser seine Ergebnisse in prägnanten Formulierungen
zusammen mit dem Ergebnis, daß die Jahre 1120 bis
1170 die Zeit der tiefgreifendsten Wandlung innerhalb der
Hohenlieddeutung darstellen. Schön sagt er S. 306: „In die auf der
Tradition begründete architektonische Ruhe des Wissens um den
Sinn der Schrift bricht eine heilige Unruhe der im Ringen um
den Segen des Wortes nach Gott zurückverlangenden Seele."
Für die Erklärungen des Hohenliedes innerhalb dieses Zeitraums
gibt er auch eine Karte bei mit den Orten, an denen monastische
oder nichtmonastische Autoren ühre Kommentare schrieben.
Zwei Autorenregister sind beigegeben, das eine für die Autoren
der Quellen, — für die Erschließung dieses Werkes besonders
wesentlich —, das zweite Autorenregi6ter enthält die Namen
der auf diesem Gebiet tätigen Forscher. Ein kleines zweiseitiges
Sachregister beschließt den stattlichen Band, der in einer schönen
und gepflegten Sprache geschrieben ist, mitunter in nicht leicht
zu erschließenden Satzkonstruktionen, für die man sich manchmal
eine leichtere und leichter verständliche Satzanordnung
wünschen würde. Aber wer sich deT Sprache des Verfassers
aufgeschlossen hat, wird auch hier keinen Wunsch verspüren.

Wissenschaftsgeschichtlich ist der Gesamtertrag des Werkes
für die Geschichte der Exegese eines alttestamentlichen Buches
wertvoll. Wichtig würde es sein, nunmehr die jüdische Exegese
des gleichen Zeitraums zu untersuchen und auf die möglichen
Querverbindungen zu achten. Wissenschaftsgeschichte wird auch
dort wichtig und aufschlußreich, wo nicht bloß die großen Linien
gezogen 6ind, sondern in die Verästelungen der Geschichte vorgedrungen
worden ist und feine ungeahnte Querverbindungen
aufgezeigt werden. Das muß hier besonders für die Verbindung
mit der jüdischen Exegese des Hohenliedes gelten. Verfasser hat
gelegentlich auf solche Berührungspunkte hingewiesen. Sein
Werk zeigt bei aller Umfassenheit seiner Leistung, daß hier ein
Arbeitsgebiet aufgeschlossen worden ist, das weiterhin der Mitarbeit
der Philologen, Theologen und der Kenner des mittelalterlichen
Judentums zur Erforschung bedarf.

Leipzig Hans Bardtke

Stamm, Johann Jakob, Prof.: Die Gottebenbildlichkeit des Menschen
im Alten Testament. Zollikon: Evangelischer Verlag [1959]. 22 S.
8° = Theologische Studien, hrsg. v. K. Barth u. M. Geiger, H. 54.
DM 2.20.

J. J. Stamm gibt in der vorliegenden Schrift einem größeren
Leserkreis einen Einblick in die Probleme der biblischen Aussagen
von der Gottebenbildlichkeit des Menschen unter besonderer
Berücksichtigung der Auslegung von Karl Barth im dritten Band
der „Kirchlichen Dogmatik". In kurzen Zügen wird zunächst die
Auslegungsgeschichte des entscheidenden Textes in Gen. I, 26 f.
umrissen und die gegenwärtig herrschende Auffassung der alt-
testamentlichen Wissenschaft am Beispiel von P. Humbert und
L. Köhler dargelegt, wonach die Gottebenbildlichkeit in
Gen. I, 26 f. vor allem von der äußeren Gestalt des Menschen
verstanden wird. Dann läßt der Verf. K. Barths Imago-Lehre zu
Wort kommen und ist bestrebt, beiden Seiten, den alttestamentlichen
Spezialisten und dem Systematiker, den Boden für ein
fruchtbringendes Gespräch zu bereiten, wobei versucht werden
6olI, „das Gespräch von Barth zur alttestamentlichen Wissenschaft
hinüber zu führen" (S. 13). So beginnt S. die Diskussion
mit einer Kritik an der Position der Alttestamentler, indem er
mit Recht ausführt, daß für „das hebräische Denken eine strenge
Scheidung zwischen außen und innen, zwischen Form und Inhalt
oder auch zwischen Körper und Geist" nicht angenommen werden
kann (S. 17). Über das Äußere hinaus führt schon die Stellung
des Menschen als Herrscher über die Welt des Geschaffenen,
die mit Gen. I, 26 f. eng verbunden ist. Es ist der ganze Mensch
gemeint, nicht nur seine äußere Gestalt. Das „Geistige" in der
Imago erkennt S. dann in dem „Personsein" des Menschen, der
von Gott als „Du" angeredet wird. Von hier aus wird das
„Wesen der Imago" in der „Partnerschaft und Bundesfähigkeit'
des Menschen gesehen (S. 19). Darin trifft S. nun mit K.Barth
zusammen und folgt ihm auch hinsichtlich der Vermutung eines
Zusammenhanges zwischen dem Menschen als „Gegenüber" Gottes
und der Frau als „Gegenüber" des Mannes. Barths Anschau-