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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

513-514

Autor/Hrsg.:

Urner, Hans

Titel/Untertitel:

Noch einmal: Evangelische Einzelbeichte? 1960

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513

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

514

Noch einmal: Evangelische Einzelbeichte?

Von Hans lirner, Halle/Saale

Wilhelm Stählin, den ich in meinem Aufsatz „Evangelische
Einzelbeichte?" (ThLZ 84, 1959, Sp. 647—652) den Erneuerer der
Beichte in unserem Jahrhundert genannt hatte, schrieb mir auf
diesen Aufsatz hin, daß er ihn nur „in ehrlicher Betrübnis" habe
lesen können. Stählin fürchtet nämlich, „viele Pfarrer, die sich
nicht zur persönlichen Beichte entschließen können, obwohl sie
vielleicht daraus eine entscheidende Hilfe empfangen können'

stens sei „wirklich kaum herauszuspüren", daß ich das Positive,
das er und andere zu diesem Thema gesagt haben, „überhaupt
gelten lasse". Demgegenüber glaube ich nun, nachdem ich meinen
Aufsatz noch einmal auf die Möglichkeit einer solchen Deutung
hin genau durchgesehen habe, die Behauptung wagen zu können,
eben dies alles sei Voraussetzung dessen, wa6 ich nun zu dem
Thema gesagt habe. Die Literaturhinweise am Schluß zeigen das

möchten sich durch meinen Aufsatz dabei „beruhigen, daß sie ! auch dem, der es aus dem Wortlaut meines Aufsatzes nicht so

eben mit dieser Unterlassung gut evangelisch seien". Mein Aufsatz
sei geeignet, solchen „seelischen Schaden" anzurichten, und
eben dies sei der Grund seiner Betrübnis.

Meine Absicht aber war, mit meinen Lesern, ob sie nun die
Einzelbeichte kennen oder nicht, ernsthaft und kritisch zu überlegen
, wie die Einzelbeichte verstanden werden müsse, damit sie

deutlich zu erkennen vermag. Die liturgische Einzelbeichte in der
von Wilhelm Stählin selbst vorgeschlagenen Form ist als ein
Stück heutigen kirchlichen Handelns vorausgesetzt, ich habe auch
nicht gemeint, aus der von mir vorgetragenen theologischen
Kritik sei die Beseitigung der eben erst erneuerten Einzelbeichte
zu folgern. Vielmehr meine ich, daß jegliches Handeln der Kirche
^t"'ev»ngita4" kl'El üt dürchaw nicht mein« Meinung, Ge- I unau«gesetzt dieser Kritik bedarf. Dabei kann es gewiß auch einfahren
könnten damit gebannt werden, daß wir sie entweder mal dazu kommen, kirchliches Handeln in seinen tradierten For-
übersehen oder gar die Sache selber, an der sie entstehen, be- ' men ,zu ändern oder den Formen einen neuen Inhalt zu geben,
seitigen. Zum ersten hat Stählin mir geschrieben: „Die Schwierig- ^n das erste habe ich im Falle der Beichte nicht gedacht, kaum an
keiten, ja Gefahren, die mit der Einzelbeichte verbunden sind, das zweite Aber meine Gedanken gingen allerdings in der Rich-
kann niemand stärker empfinden als der, der selbst in dieser tunS' den C£h™ &r heutigen Beichtform zu prüfen und ein AbForm
gebeichtet und die Beichte gehört hat; aber es ist mir immer lrre" m moralisierendes oder katholisierendes Verständnis zu
wieder höchst erstaunlich, wie sehr gerade die liturgische Form verhüten. Viel besser sei es positiv gesagt: den wahrhaft evan-
einen Schutz gegen diese Gefahren gewährt." In der Tat habe Sachen Gehalt ernst zu nehmen gegenüber Gefahren, die heute
ich nie daran gezweifelt, daß Stählin zu denen gehört, die offene ; jj?" von der Wurzel der tradierten Form her wirksam werden
Augen für die Gefahren der Einzelbcichte haben. Nur vermute i onnen-

ich wohl mit Recht, daß Stählin in erster Linie an Gefahren des j Stählin hat durchaus recht, wenn er mir schreibt, daß er einen
psychischen Lebens denkt, während es mir allein um das theolo- j „Zusammenhang" zwischen der heute „praktizierten Form der

gische Verständnis geht. Ist meine Vermutung richtig, dann
kann ich ihm auch darin nur recht geben, daß die liturgische Form
e'nen Schutz gewährt. Nur an diese Form hatte ich gedacht.

Es i6t mir klar, daß im praktischen Verhalten und im Glaubensleben
des Einzelnen das Psychische vom Glauben und dem
theologischen Denken nicht klar abgegrenzt werden kann. Im
theologischen Denken selbst aber ist das nicht nur möglich, sondern
höchst notwendig. Stählin schreibt an mich: „Ich halte die
radikale Unterscheidung von Sünde und seelischen Komplexen
für undurchführbar." Auf das Verhalten des Christen gesehen
kann ich dem nur von ganzem Herzen zustimmen. Soll es aber
darum den biblischen und theologischen Begriff Sünde nicht
mehr geben ohne Vermischung mit dem Begriff, den sich die
Psychologie von Fehlformen und Komplexen macht? Das kann
doch wohl Stählins Meinung nicht sein. Dann wäre jedes theologische
Nachdenken unmöglich, und die Praktische Theologie
könnte dann nur noch auf die Weise der Religionspsychologie
arbeiten.

Zum Zweiten aber, nämlich, daß die Sache selbst um der Gefahren
willen beseitigt werden müßte, meint Stählin, gerade dies
ols offene Absicht meines Aufsatzes erkannt zu haben, wenig-

Einzelbeichte" mit dem „altkirchlichen Bußinstitut" nicht zu erkennen
vermag. Ein direkter Zusammenhang besteht auch meiner
Meinung nach nicht. Die geschichtliche Linie wäre nur über die
Klosterbeichte indirekt bis dorthin zu verfolgen. Das habe ich
angedeutet. Ein verborgenes Nachwirken der Mönchsbeichte bei
Luther selbst und von ihm aus bis in die Gegenwart möchte ich
dagegen nicht in Abrede stellen (Vollkommenheitsstreben,
Priestervollmacht). Dieser heimlichen Nachwirkung ist die Erkenntnis
von der Totalverderbnis des Menschen und der allein
rettenden Vergebung in Christus entgegenzusetzen. Die „einzelne
Person", in der „die der Gemeinde gegebene Vollmacht"
konkret wird, hat für mich keine andere „Autorität" als die des
Boten der allein rettenden Botschaft, die der Herr seiner Gemeinde
auf Erden aufgetragen hat.

Verkündigung des Wortes Gottes ist das Zeugnis von Christus
, dem alleinigen Worte Gottes, auf mannigfache Weise. Auch
die Sakramente bezeugen und schenken nichts anderes als die
Gabe des Heils, ja, ihn selber, den lebendigen Herrn. Weder die
vielleicht sichtbare Besserung meines Lebens durch die Beichte
noch die geistliche Autorität des Beichtigers sollte die allein
rettende Gnade auch nur im geringsten verdunkeln.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[Schoeps, H.-J.:] Lebendiger Geist. Hans-Joachim Schoep« zum
50- Geburtstag von Schülern dargebracht, hrsg. v. Hellmut D i w a I d.
Leiden-Köln: Brill 1959. VII, 252 S., 1 Porträt, gr. 8° = Beihefte der
Zeitschrift für Rcl igions- und Geistesgeschichte, IV. hfl. 17.50.

Die Festschrift ist als Beiheft IV der Zeitschrift für
jjehgions- und Geistesgeschichte erschienen. Ein Bild und eine
ibhographie des von dankbaren Schülern geehrten Lehrers und
e'n kurzer Beitrag zur Würdigung des Forschers sind beigesteuert.
™ Gesamtinhalt lassen sich vier Themenkreise unterscheiden:

1- Beiträge aus der Geschichte, vorzugsweise aus der der
etzten Vergangenheit. Wir müssen uns hier nur mit der Wiedergabe
einiger Themen begnügen: H. J. Schwierskott, ,Das Gewis-
«1 ; Ergebnisse und Probleme aus den ersten Jahren der Weimarer
Republik im Spiegel einer politischen Zeitschrift; H. Siefert,
Politische Vorstellungen und Versuche der .Deutschen Freischar';
J. H. Knoll, Der autoritäre Staat, konservative Ideologie und
Staatstheorie am Ende der Weimarer Republik. — Ins 19. Jahrhundert
führt der Beitrag des Herausgebers über Bernard Bolzano
und den Bohemismus. Über Bolzano als Philosoph, der stark auf
F. Brentano und Husserl eingewirkt hat, unterrichten RGG I3
1350 und das Philosophische Wörterbuch von Schmidt-Streller,
13. Aufl. 1955, S. 67. Diwalds besondere Aufmerksamkeit gilt
6einer Bedeutung für die nationale Bewegung in Böhmen zur
Zeit des „Vormärz". — Ein Forschungsbericht über den gegenwärtigen
Stand der Täuferforschung führt ins 16. Jahrhundert.
Der Kirchengeschichtler wird besonders das Referat über die z. Zt.
maßgebliche Forschungsarbeit der Amerikaner begrüßen. Der
Gegensatz der Auffassungen von Troeltsch und Holl sei bis zur
Stunde nicht überwunden, weil Quellcnbelege für oder wider die
Verbindung Müntzers mit Zürich oder umgekehrt nicht votgelegt