Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

507-512

Autor/Hrsg.:

Mumm, Reinhard

Titel/Untertitel:

Evangelische Einzelbeichte 1960

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

507

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

508

Circumcellionen identifiziert wurden. Es ist zu beachten, daß aber
selbst in einer 60 einseitigen und 60 stark verallgemeinernden
Quelle wie Possidius' Vita Augustini — wie ich in anderem Zusammenhang
herausstellen konnte" — das. wenn auch schon
schlechte und verabscheuenswerte, Circumcellionentum der Blütezeit
einem noch gefährlicheren Spätcircumcellionentum gegenübergestellt
wurde (Vita August. 10). Das kann rückwirkend gesehen
doch eben noch eine — wenn auch sehr dürftige — Anerkennung
des echten Circumcellionentums bedeuten. In der Ep. ad.
Cathol. de secta Donatistamm (20, 54) deutet auch Augustin dieses
Circumcellionentum wenigstens als eine historisch und ethisch
ernst zu nehmende Erscheinung an, wenn er sagt: „Proinde cir-
cumcellionum vestrorum inordinatas licentias et superbas in-
sanias iuste reprehendimus, etiam cum aliquibus pes-
simis violenti sunt.. ." Die weitere Bewertung fällt
wieder in den üblichen Rahmen hinein, das angemerkte Zugeständnis
ist jedoch sehr wesentlich, denn es läßt — trotz des
nur partiell zugegeben Beharrens der Circumcellionen auf ausgleichender
Gerechtigkeit und auf „Widerstand" gegen die
,,Bösen" (das wir an manchen konkreten Fällen nachweisen können
) — eigentlich keinen Platz mehr für die im gleichen Atemzug
genannten Ausschreitungen und Räubereien. Menschen, die die
neuere Forschung als auf der Grundlage urchristlicher Gerechtigkeitsforderungen
handelnd erkannt hat, konnten sich nicht
gleichzeitig wie skrupellose Straßenräuber gebärden". Grundlage
und Ursache dieser Verfälschung ist offenbar wieder die Vermengung
von Circumcellionen und Circumcellionenartigen,
andererseits freilich auch die rhetorische und moraltheologische
Kritik an den echten Circumcellionen".

Wenn wir aus juristischen und sonstigen Gründen die manchmal
vertretene These ablehnen mußten, daß der ordo circum-
cellionum sich ohne weiteres aus Sklaven, Colonen und gewissen
Gruppen von Verelendeten rekrutierte45, so ctehen uns doch gewisse
Belege dafür zur Verfügung, daß die freien und besitzfähigen
Circumcellionen andere Schichten und Klassen beeinflußt
haben; teilweise gelang ihnen wohl auch ein gesellschaftlicher
Aufstieg in andere Schichten", oft haben sie aber jedenfalls höhere
Positionen als die von Landarbeitern oder Tagelöhnern innegehabt
. Angesichts der engen Beziehungen zwischen ihnen und
den donatistischen Klerikern war es unausbleiblich, daß auch
Circumcellionen wenigstens in die unteren kirchlichen ,,Ämter"
einrückten, die teilweise doch sogar mit Leuten aus dem Colonen-
stand besetzt wurden47. Sicherlich rückten sie aber u. II. auch in

") S. H.-J. Dicsner, Possidius und Augustinus (vgl. Anm. 17).

") Außer etwa in gewissen Fällen fanatischer Ergriffenheit oder
Verhetzung (vgl. Anm. 41).

") S. H.-J. Diesner, Methodisches und Sachliches zum Circumcellionentum
(I).

,5) So behauptete noch Th. Büttner, a. a. O., 44 (f.

*') Hier muß besonders an den Aufstieg des demessor und duetor
turmarum messorum in CIL VIII, 11824, erinnert werden, der es bis zum
cen6or einer Stadt brachte (allerdings 3. Jhdt.).

") Vgl. epp. 35; 139.

die Positionen von conduetores ein oder nahmen — von dona-
nstischen oder katholischen Besitzern aus Furcht oder anderen
Motiven bevorzugt — sonstige führende Positionen auf den fundi
ein. Ich kann die Vermutung nicht unterdrücken, daß die
ep. 185, 15 genannten consumptores apothecarii — ganz abgesehen
von den eversores oder auetores — selbst Circumcellionen
gewesen sind48. Angesichts der oft schwierigen allgemeinen
und Besitzverhältnisse konnte es den domini besonders in überwiegend
donatistischen Gebieten ratsam erscheinen, Circumcellionen
auch zu ihrem eigenen Schutze in wichtige Positionen hineinzubringen
"; solche Absicherung war freilich nicht immer zuverlässig
, zumal wenn diese Circumcellionen zu große Forderungen
im Sinne ihrer Klientel erhoben. Zweifellos saß die Masse der
Circumcellionen nicht in solch günstigen Positionen, bestand
aber doch aus Freien mit einem Minimum an wirtschaftlicher
Selbständigkeit. Daher ist auch die von Frend mehrfach hervorgehobene
These abzuweisen, daß sie von den Speisungen existiert
hätten, die in den Vorratsräumen der Märtyrerkirchen und
-kapeilen vorgenommen wurden00. Auf diese Weise wäre das
Existenzminimum keineswegs zu erreichen gewesen — so daß wir
diese Speisungen nur als Ausnahmefälle anläßlich der Festlichkeiten
oder besonderer militärischer Aktionen ansehen dürfen.
Schließlich berechtigt uns auch Augustin — als die literarische
Hauptquelle — keineswegs dazu, die Circumcellionen zu den
pauperes der Donatisten im engeren Sinne zu rechnen, die von
den possessiuneuli der Kirche erhalten wurden (ep. 185,36).
Wie der ordo auch entstanden sein mag, als bettelhaftes „Gefolge
" der donatistischen Kirche wäre ihm eine immerhin so
herausgehobene Stellung niemals zuerkannt worden. Wir müssen
vielmehr — wozu auch diese Darlegungen hoffentlich beigetragen
haben — die Circumcellionen von Hippo Regius, aber auch die in
anderen Gebieten, als eine wichtige Schicht innerhalb der Gesellschaft
des spätrömischen Nordafrika ansehen, die auch von
den herrschenden Kräften in der geschilderten Form anerkannt
wurde — vielleicht mit dem Hintergedanken, daß es 6ich hier
eben um ein notwendiges Übel handele".

**) Vielleicht auch Männer wie Paternus und Maurusius (ep. 57, 2).

") Gerade bei Celer wäre dies anzunehmen (epp. 56; 57) — doch
eröffnet ep. 58 (3) in dieser Richtung noch mehr Möglichkeiten, da hier
die donatistische Gesinnung und Haltung vieler Großgrundbesitzer und
senatores gezeigt wird. Zusammenarbeit mit Circumcellionen bzw.
Circumcellionenartigen war hier angebracht, da man mit den Katholiken
oft völlig brach.

60) Die Schilderungen, die solche Speisungen wiedergeben, sind —
wie Optatus 111,4 — auf den Kriegsfall oder — wie ep. 29 (bes. 11) —
auf die Abhaltung von Festen und Märtyrerfeiern zugeschnitten.

") Ähnlich schon Brisson, a.a.O., etwa 339. Meine These, die vor
allem auf eine Unterscheidung zwischen Circumcellionen und Circumcellionenartigen
geht, weil nur so die Quellenstellen einigermaßen in
Konkordanz gebracht werden können, scheint mir wenigstens in etwa
von Romanelli gestützt zu werden, der (a. a. O., 621) vom ,,ala estrema
dei Circoncellioni" spricht, also doch sieht, daß unter „Circumcellionen
" sehr verschiedenes verstanden werden muß.

DAS GESPRACH

Evangelische Einzelbeichte

Von Reinhard Mumm, Minden

Wo im Raum der evangelischen Kirche die Rede auf die
Einzelbeichte kommt, da taucht oft alsbald das Bedenken auf,
hier könnten doch „katholische" Mißverständnisse unsere evangelische
Verkündigung verfälschen. Die Tatsache, daß irgendein
Gedanke, eine Lehre oder Einrichtung katholisch ist, kann aber
an sich noch kein Argument sein, das unseren Protest hervorruft.
Es wäre im Gegenteil unsere Aufgabe, zu erweisen, daß die rechte
evangelische Lehre und Ordnung Grundlage der einen heiligen
katholischen und apostolischen Kirche ist. Mit solchem Erweis
würden wir — zunächst einmal in der Theologie — den falschen
Gegensatz zwischen „evangelisch" und „katholisch" überwinden,
der ja weithin noch das Urteil bestimmt.

Gerade die Einzelbeichte i6t in dieser Hinsicht umstritten.
Die Kritik an ihr richtet sich darauf, daß eine neue Gesetzlichkeit
das Evangelium überfremden könnte. Auch tauche die Gefahr
auf, daß die Solidarität der Sünder und damit der Bußruf
des Evangeliums, der allen gilt, in der liturgisch geformten
Einzelbeichte leicht verleugnet würde1. Damit eng verbunden
ist die weitere Sorge, die Beichte würde unter Umständen als ein
Instrument kirchlich-klerikalen Machtstrebens mißbraucht werden.

') Vgl. H. Urner, Evangelische Einzelbeichtc? ThLZ 1959, S. 647 ff.
— In der RGG, 3. Aufl., Bd. I, Sp. 973 kritisiert W. Loew die liturgische
Form der Einzelbeichtc, ohne dies näher zu begründen.