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Ausgabe:

1960 Nr. 7

Spalte:

497-508

Autor/Hrsg.:

Diesner, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Die Circumcellionen von Hippo Regius 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 7

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Bundes ist es auch immer wieder überstrahlt von der Helle der
göttlichen Gnadenwirklichkeit. Aber es lauert, wie schon manche
Erweiterung im Dt. zeigen kann, dahinter doch auch immer die
Möglichkeit, daß der Mensch sich vor ihm in sein eigenes Tun
flüchtet und sich seiner rühmt — nicht glaubend, sondern rechnend
seinem Gott begegnet. Die Frage der Propheten steht
unerledigt im Hintergrund.

VIII.

Dann ist Christus in die at.liche Gemeinde hineingetreten.
In ihm, der in seinem rückhaltlosen Heraustreten aus allen 6a'
kralen Sicherungen die Gerechtigkeit lehrte, die besser ist als die
Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer, ist der heilige
Rechtswille Gottes voll offenbar geworden. In ihm aber ist zugleich
die gnädige Bundeszuwendung Gottes in einer Weise geschehen
, die jedem menschlichen Rühmen den Mund stopfen
und jede menschliche Prärogative zerbrechen mußte. Wer im
Glauben an Christus um die über ihm gültig gewordene Verheißung
weiß und in ihm Gottes Gericht über die Sünde und
seiner Zusage des Lebens recht gegeben hat, der weiß, daß nun
Gottes Tun für ihn alles bedeutet.

An diesem Christus aber hat sich die Scheidung der Gemeinde
des alten Bundes vollzogen. Der „Rest" Israels, der sich
im Glauben Christus zuwandte, hat erkannt, daß hier der von
Gesetz und Propheten Bezeugte erschienen, der von Jeremia
31» 31 erwartete Neue Bund wirklich geworden ist. In Christus
ist das Geheimnis der Verbindung Gottes mit seinem glaubenden
Volk, in dem auch der göttliche Rechtswille ungebrochen zur
Verwirklichung gelangt, erschienen. Die christliche Gemeinde
weiß, daß sie durch die Liebestat Gottes in Christus die authentische
, erfüllende Interpretation des ATs erfahren hat.

Der andere Teil Israels hat Christus abgelehnt. Er hat sich
im Nein zu Christus auf das Gesetz geworfen, in dessen Befolgung
und Übernahme die Israelprärogative gewahrt blieb, in
dessen Übernahme aber auch die mit dem Gesetz verbundene

Fluchwirklichkeit über der Gemeinde des Gesetzes stehen blieb.
So sieht Paulus, wie vor der Offenbarung Christi der Zorn Gottes
voll offenbar wird — nicht nur über der Heidenwelt, die das Ge-
I setz nicht kennt, sondern auch über denen, die das Gesetz ken-
[ nen, aber der Gerechtigkeit Gottes gerade vor der Erfüllung
! seiner Barmherzigkeit ungehorsam werderf. Wenn Paulus von
der Offenbarung des Zornes redet, so will er nicht retrospektiv
eine neue Deutung vergangener Dinge in Israel geben, sondern
er redet von der Enthüllung, die 6ich im Blick auf Heiden und
i Juden in der Stunde der Gegenwart Christi vollzieht62.

Die Dialektik Gesetz - Evangelium ist im AT noch nicht
i offen vorhanden, weil der Name Christi im AT noch nicht offen
ausgerufen ist. Darin ist Hesse recht zu geben. Daß aber das
Aufbrechen des Risses in der prophetischen Zeit, wo das Dt.
| glaubte, um der Bundeszusage willen getrost zum Halten des Ge-
' botes aufrufen zu können, während Jeremia im Hinweis auf den
I göttlichen Willen in seinem Gebot vom Ende des Bundes redet,
nichts mit dieser Dialektik zu tun habe, ist nicht haltbar. In ihm
kündet sich Kommendes an. In ihm wartet das AT auf ein noch
I kommendes Wort der Erfüllung.

Gabe und Rechtswille Gottes bleiben im AT ineinander
verschlungen, ohne daß sich das Phänomen „Gesetz" in seinem
paulinischen Verständnis schon klar herausgestellt hätte — hätte
herausstellen können. Das kann erst im Angesichte Christi geschehen
, in dem sich die Offenbarung des heiligen göttlichen
Rechtswillens (die „Gerechtigkeit Gottes") als das vollkommene
Ereignis der Gnade ereignet.

In der Rückschau aber dürfte deutlich werden, daß sich die
radikale Deutung des ATs als des „Gesetzes", wie sie von
Ma rcion bis zu Hirsch immer wieder versucht wurde, ebensowenig
rechtfertigen läßt wie die Deutung des in sich verstandenen
ATs als eines reinen Wortes der Gnade, wie sie als Gefahr
in der neuesten Phase at.licher Arbeit am Rande erscheinen
könnte.

r'2) G. Bornkamm, Die Offenbarung des Zornes Gottes, in: Das
Ende des Gesetzes, 1952, 9—33.

Die Circumcellionen von Hippo Regius

Von Hans-Joachim D i e s n e r, Halle

Das Problem des Circumcellionentums hat die interessierte befriedigenden Lösung noch fern ist. Sinnvollerweise sollte man
Forschung bereits seit Jahrzehnten1 beschäftigt, und Publikatio- daher nicht nur, wie bisher meist geschehen, dem Gesamten
der letzten Jahre2 zeigen deutlich, daß man einer allseitig phänomen .Circumcellionentum' nahezukommen versuchen, son-

l ii T .,,,,.»,. ... . r- 1 ^ern Teiler6cheinuneen — räumlich, zeitlich oder sachlich' enger

) Ich gebe im folgenden die Arbeiten, die einen gewissen Ein- ],„___ , i__ r- r i__i • j

schnitt bedeuten- begrenzt — genauer unter die Lupe nehmen. Das Ergebnis wird

W. ThümmeL Zur Beurteilung des Donatismus, Halle 1893. i zweifellos wieder dem größeren Ganzen zugute kommen. Die

O. Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt, 6 Bde., i Circumcellionen von Hippo Regius - worunter ich im wesent-

3-Band, 2. Aufl., Stuttgart 1921. ! "chen das Gebiet verstehe, das St. Gsell in seinem Atlas archeo-

F. Martroye, Art. „Circoncellions" = DACL, 3, 2, 1914, 1692 j logique de l'Algerie* auf dem Kartenblatt „Bone" verzeichnet —

~ 1710.

Ders. Une tentative de revolution sociale en Afrique. Donatistes
"Circoncellions — Revue des quest. hist. 32/1904, 353—416. 33/1905,
5-53.

D. M . von Nathusius, Zur Charakteristik der Zirkumzellionen des
*• und 5. Jhds. in Afrika. Wi6S. Beilage zu dem Vorlesungsverzeichnis
d« Univ. Greifswald für das Wintersem. 1900/1901.

P. Monceaux, Histoire litte>aire de l'Afrique chretienne depuis les
°rigines jusqu'ä l'invasion arabe, 3.-7. Bd., Paris 1905—1927 (7 =
1923).

Ch. Saumagne, Ouvriers agricoles ou rddeurs de celliers? Les
circoncellions d'Afrique — Ann. d'Hist. econ. et soc, VI, 1934, 351
-364.

O. Vannier, Les Circoncellions et leurs rapports avec l'eglise dona-
tlste d'aprcs Ie texte d'Optat = Revue Africaine, Alger 1936.
2) Vgl. folgende Arbeiten:

A. D. Dmitrcv, KnonpocyoG aroHiicTHKax h UHpKyMue^^noiiax (= VD1
1948. H. 3, 66-79.)

N. A. Maschkin, K Bonpocy o peBOJiiounoiinoM abhjkchhh paöos h kojio-
no»spii«CKollAit.|)HKc (- VD1 1949, H. 4, 51 ff.)

^ Ch. A. Julien, Histoire de l'Afrique du Nord des origines ä la con-
<iuete arabe (647 AP. J.-C), 2. Aufl., hrsg. von Chr. Courtois, Paris
■ 956,

G. G. Willis, Saint Augustine and the Donatist Controversy,
London 1950.

bieten sich einer solchen Betrachtung bevorzugt an; für den Zeitraum
von etwa 390 bis 420 findet sich zur Illustrierung und zur
Analyse dieser Bevölkerungskategorie eine ungewöhnlich große
Menge literarischer Zeugnisse, neben die noch einige wenige
juristische Dokumente treten (die allerdings für das Circumcellionentum
im ganzen Umfang von Bedeutung sind).

Wir beginnen zweckmäßigerweise mit einer listenmäßigen
Aufzählung aller quellenmäßig greifbaren Wohn- und Aktionsgebiete
der Circumcellionen. Eine genaue Lokalisierung der Orte

W. H. C. Frend, The Donatist Church, Oxford 19 52.

B. H. Warmington, The North African Provinces from Diocletian
to the Vandal Conquest, Cambridge 19 54.

H.-J. Diesner, Studien zur Gesellschaftslehre und sozialen Haltung
Augustins, Halle 1954.

Chr. Courtois, Les Vandales et l'Afrique, Paris 1955.

J.-P. Brisson, Autonomisme et Christianisme dans l'Afrique ro-
maine, Paris 1958.

P. Romanelli, Storia delle province romane dell'Africa, Roma 1959.

Th. Büttner — E. Werner, Circumcellionen und Adamiten, Berlin
19 59 (Teil Büttner).

-1) In Ansätzen ist dies auch hier und da versucht worden.

') Alger 1911.