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Ausgabe:

1960 Nr. 6

Spalte:

476-478

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Holtz, Traugott

Titel/Untertitel:

Die Christologie der Apokalypse des Johannes 1960

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 6

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nächst gelangt man zu einer weiteren Aufhellung de« vielverhandelten
Problems: Luthers Ekklesiologie. Sodann fällt auch ein neues Licht auf
Luthers Geschichtsverständnis, auf sein reformatorisches Selbstbewußtsein
und auf 6einen kirdienpolitischen Konflikt mit Rom. Es ergibt sich,
daß diese verschiedenen Bereiche von Luthers theologischem Denken
und Existieren innerlich eng miteinander zusammenhängen. Als einigendes
Grundmotiv tritt — die Kontinuitätsanschauung zutage, genauer
gesagt, die Glaubensgewißheit: „Das also jmerdar auff Erden im leben
sey ein Christlich heilig Volk, in welchem Christus lebet, wirckt und
regirt." Diese Einsicht wird in den einzelnen Kapiteln der Arbeit
schrittweise gewonnen und auf ihre Konsequenzen hin untersucht.

Von seinen frühen Vorlesungen an bis hin zu seinen 6päten
Altersschriften wird L. nicht müde, von dem „unaufhörlichen Fortbestand
der Kirche" zu sprechen. Ob er nun die Kirche unter dem Gesichtswinkel
der „communio sanetorum" oder des „verbum Dei" oder
auch der „notae ecclesiae" betrachtet — davon ist er nicht abzubringen
: Die Kirche Jesu Christi hat Kontinuität. Ja, sie hat Konstanz
, da sie genauso wie das Evangelium, ihr „hohes Hauptheiligtum
", unveränderlich ist. Zu dieser Gewißheit gelangt L. freilich
nicht durch rationale oder historische Erkenntnisse, sondern durch das
Zeugnis der Heiligen Schrift. Ebensowenig entspringt die Kontinuität
der Kirche 6elbst einer immanenten geschichtlichen Kraft, sondern
ist in Wahrheit ein Werk der göttlichen Erhaltung. Gott selbst
steht für seine Kirche ein. So hat er's verheißen — so wird er's in
seiner Treue auch erfüllen. Dadurch verliert L.'s „Kontinuitäts-
Anschauung" den Charakter einer unverbindlichen Geschichtskonzeption
; sie enthüllt sich ihrem Wesen nach als „Kontinuitäts-G hübe".
Oft genug möchte man an der Fortexistenz der Kirche in Vergangenheit
oder Gegenwart verzweifeln. Wenn L. dennoch daran festhält,
so proklamiert er damit die Gültigkeit des „sola fide" auch im Raum
der geschichtlichen Realität. Überhaupt, L. gewinnt dem biblischen
Zeugnis seinen Charakter als Geschichts-Zeugnis zurück, das er durch
das zentrale Christusereignis als „Heilsgeschichte" qualifiziert sieht.
An dieser Stelle ist L.'s Kontinuitätsanschauung aufs tiefste verankert.
Die von der Heiligen Schrift verkündete Heilsgeschichte ist ihrem
Wesen nach kontinuierlich. Sie offenbart das kontinuierlich geschichtliche
Handeln Gottes mit seinem Volk und die kontinuierlich darauf
erfolgende Antwort des Glaubens, die bis zur Wiederkunft Christi
nicht verstummen kann. Christus selbst wäre umsonst gestorben,
wenn er nicht „für uns", für sein Volk gestorben wäre, da6 er dadurch
kontinuierlich der Vollendung entgegenführt.

Indes, wenn L. von der Kontinuität der Kirche als einem unumstößlichen
Glaubenssatz stets überzeugt war, wie konnte er sich
dann vom traditionellen römischen Kirchentum — der Kirche schlechthin
! — lossagen? Dieses Problem wird an L.'s Zeugnissen aus den Jahren
1517—1521 eingehend untersucht — mit folgendem Ergebnis: L.
hatte auf Grund seines Kontinuitätsbewußtseins den Bruch mit allen
Mitteln bis zuletzt zu vermeiden gesucht. Dieser entsprang nicht aus
unkirchlichen oder gar kirchenfeindlichen Motiven, sondern war das
Ergebnis eines verhängnisvollen kirchenpolitischen Konfliktes, der sich
an der unterschiedlichen Wertung der scholastischen Theologie entzündete
und letztlich unheilbar wurde, als der päpstliche Legat Cajetan
jüngere päpstliche Lehrentscheidungen ausdrücklich über die Heilige
Schrift erhob. Damit war für L. der antichristliche Charakter der
„papistischen Kirche" nach 2. Thess. 2,4 entlarvt und die Scheidung
unausweichlich geworden. Doch nicht das Aufhören, nicht den Verfall
der Kirche verkündete L. fortan. Zwei Kirchen gebe es vielmehr seit
Kain und Abel, die unaufhörlich im Streit liegen: die wahre und die
falsche. So war L. überzeugt, daß auch z.Z. der antichristlichen Tyrannei
die wahre Kirche unter den „Zeugen der Wahrheit" noch weiterlebte
— freilich oft genug ganz unerkannt und wie Christus selbst
unter dem Kreuz verborgen. Verständlich, daß nunmehr auch Leute wie
Wiclif und Hus das Odium des Ketzernamens verloren/ L. weiß, daß
der Kontinuitätsgedanke eine mächtige Waffe in der Hand seiner
papistischen Feinde ist; doch dessen Konsequenzen auf die römische
Traditions- und Sukzessionsidee schneidet er ab mit den Worten:
„Evangelium sol dye successio sein". Deshalb trifft der gegnerische
Vorwurf der „Neuerung" niemand anders als die Papisten selbst. Gegen
alle Spirituali6ierung des Kirchenbegriffs betont Luther die ständige
Verleiblichung der Kirche, die ihrem heilsgeschichtlichen Cha-
takter entspricht. Deshalb ist audi seine positive Einstellung zu Konzilien
, Symbolen und zu weiten Bereichen der kirchlichen Vergangenheit
keine „traditionalistische Inkonsequenz", sondern eine Frucht seines
heilsgeschichtlichen Denkens.

Wie aber verträgt sich sein stark ausgeprägtes reformatorisches
Selbstverständnis mit seiner Kontinuitätsanschauung? L weiß, welch
große Bewegung durch ihn in die Welt gekommen iet, dodi bestreitet
er, ihr „autor" zu sein. L.'s Selbstverständnis wird vom modernen
individualistischen Persönlichkeitsbegriff mißdeutet und muß in seiner
rein theonomen Ausrichtung verstanden werden. Gott bedient sich L.'s
als seines „unwürdigen gezeugs", um seinen Heilsplan mit seiner Kirche

weiterzuführen. Trotzdem gerät L. immer wieder in das Feuer unsagbarer
Anfechtungen: Er habe sich gegen die Kirche und ihre Kontinuität
versündigt („Reformationsanfechtungen"). Hier kann er nur 60
durchstehen, daß er sich ganz zu Gott flüdftet und alles Persönliche
ausschaltet. So ist es die existentielle Not, die L. zu seinem klaren
kirchlichen Kontinuitätsbewußtsein gelangen läßt, worin ihn außerdem
seine ordentliche Berufung zu Doktor- und Predigtamt bekräftigt.
Von hier aus braucht es nicht Wunder zu nehmen, daß L. das heute
noch geltende, vom Humanismus übernommene Verständnis von Reformation
nidit teilte und es innerlich ablehnte.

Holtz, Traugott: Die Christologie der Apokalypse. Diss. Halle 1959.
IV, 210. 121 S.

Die Untersuchung setzt ein bei einer Analyse derjenigen Christustitel
, die die Apc mit den übrigen Schriften des NTs gemeinsam hat
(Christus, Herr, Menschen6ohn, Sohn Gottes, Jesus). Die Behandlung
dieser Titel im Hauptteil der Apc (1, 7—22, 17), von dem durch eine
andersartige formale Verwendung der christologischen Begriffe der
Rahmen (1, 1—6; 22, 18—21) zu scheiden ist, ohne daß er einem
zweiten Autor zugewiesen werden dürfte, läßt erkennen, daß der Verf.
der Apc sie hier nach ihrer Form in strenger Bindung an die alttesta-
mentlich-jüdische Tradition gebraucht, nach ihrem Inhalt aber so versteht
, daß er die Entwicklung der neutestamentlichen Christologie im
Wesentlichen voraussetzt. Daraus ergibt sich, daß auch die anderen
chri6tologisdien Aussagen der Apc formal von alttestamentlich-jüdi-
schen Voraussetzungen, inhaltlich aber von einer ausgebildeten christlichen
Lehre her begriffen werden müssen.

Die inhaltliche Untersuchung der Christologie der Apc hat ihren,
Ein6atzpunkt bei c 5 gewählt. Dort wird die Inthronisation des Christus
zum Welthcrrscher geschildert, die in seinem Tode und der dadurch
bewirkten Erlösung der Glaubenden ihren Grund hat. Damit ist der
apokalyptische Endkampf in Wahrheit bereits entschieden, auch wenn
sich der Sieg des Christus in der Geschichte erst durchsetzen muß. Inhaltlich
ähnlich wie c 5 bietet die doppelte Dreierformel 1, 5 f. eine
Darstellung des erhöhten Christus und 6eines vollkommenen Werkes.

Dabei haben sowohl die Erlösung der Gemeinde, als auch die Erhöhung
des Christus zum kosmischen Herren ihren Sachgrund alleine in
dem Tode des Christus. Der in der Inthronisationsschilderung c 5 zuerst
begegnende Christustitel ngvinv bezeichnet seinen Träger wahrscheinlich
als das Passalamm und hebt so den Sühnetod des Christus betont
hervor. Das der Gnosis angehörende Denken in kosmischen Gesetzmäßigkeiten
ist der Apc fremd und zeigt sich in ihr auch nicht in
terminologischen Berührungen mit gnostischer Redeweise.

Im weiteren Verlauf der Arbeit werden zunächst die Aussagen
untersucht, die den Christus entsprechend c 5 und 1, 5 f. als Erlöser
der Glaubenden und erhöhten Herrn von Gemeinde und Welt darstellen
. Alle untersuchten Prädikate zeigen eine bewußte Anlehnung
an AT oder Judentum, z. T. so, daß auch die spätjüdi6che Weiterbildung
alttestamentlicher Gedanken übersprungen wird. Der Titel;
„Menschensohn" ist nicht zur Bezeichnung des Christus als Weltenrichter
oder Erlöser gebraucht, sondern — wahrscheinlich in Anlehnung
an Daniel 7 — zur Bezeichnung des Christus in seiner Funktion
als Herr und Beschützer der Gemeinde.

Bei den Erhöhungsaussagen und bei der Schilderung der Christo-
phanie 1, 12 ff. werden zahlreiche alttestamentliche Gottesprädikate auf
den Christus übertragen (so z. B. „der Erste und der Letzte und der Lebendige
", „der hat die Sdilüssel des Todes und des Hades" 1, 17 f.
usw.), ohne daß jedoch eine volle Angleichung der Christus-Gestalt an
Gott erfolgte (so bleibt der Titel :mrro>toäta>n Gott allcine vor'
behalten; der Christus wird nirgends genannt). Der Christus ist

für die Apc gottähnlich, nicht gottgleich.

Daneben, aber davon unablöslich. steht eine zweite Aussagenreihe
in der Apc. Sie stellt den Christus und sein Werk als erst zukünftig
für die Welt dar. Die mit der Inthronisation dem Christus übertragene
Herrenstellung muß sich in der Welt durchsetzen und wird sich vollenden
in der Zeit des Milleniums und des neuen Jerusalems. Erst bei
der Parusie wird das innerste, vorher nicht erkennbare Wesen des Christus
offenbar werden, wenn der Name sichtbar wird, den niemand kennt,
auch der apokalyptische Seher nicht, denn auch er geht noch der Zukunft
entgegen (19, 12).

Deshalb redet in den Merksprüchen der Sendschreiben 2, 7 usw.
das Pncuma zu der Gemeinde. Es ist vorgestellt als eine Paraklet-
gestalt, die das Werk des Christus aufnimmt und in der Gemeinde
weiterführt. Denn für die noch nicht vollendete, irdische Gemeinde ist
ebenso wie für die Welt der Christus immer eret der Zukünftige, der
in der Gegenwart durch die Parakletgestalt des Pneuma vertreten wird.

Die durchgehende Anknüpfung aller Christus-Aussagen der Apc
an die alttestamcntlich-jüdische Tradition (c 12 z.B. verarbeitet einen
ursprünglich allerdings heidnischen, der Apc aber durch die Vermittlung