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Ausgabe:

1960 Nr. 6

Spalte:

474

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Herbst, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der spätorthodoxen Lehre von der unio mystica bei Johann Sebastian Bach 1960

Rezensent:

Herbst, Wolfgang

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473

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 6

474

artige und bruchstückhafte Charakter der Quellen bewirkt, daß die einzelnen
Aussagen oft nur mit einem gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit
gemacht werden können. Zuweilen müssen wir uns auch mit nur
beschränkt begründbaren Hypothesen begnügen. Trotz dieser Schwierigkeiten
wird angestrebt, ein möglichst geschlossenes Bild der zelotischen
Bewegung zu erreichen.

Der Aufbau gestaltet sich in folgender Weise: 1. Am Anfang steht
eine kritische Beurteilung der Quellen, insbesondere der Hauptquelle,
der Werke des Josephus. 2. Es folgt die philologisch-historische Untersuchung
jener Bezeichnungen, die der jüdischen Freiheitsbewegung von
den verschiedenen Seiten beigelegt wurden. 3. Diese führt hin zu der
von Judas, dem Galiläer, gegründeten „vierten Philosophensekte".
Hier wird zunächst versucht, die Eigenständigkeit und Organisationsform
der von Judas ausgehenden Partei herauszuarbeiten, daraufhin
werden die verschiedenen charakteristischen Züge dieser neuen Sekte,
die Forderung nach der Alleinherrschaft Gottes, das Zusammenwirken
mit Gott bei der Gewinnung der Freiheit und die Ablehnung des Cen-
sus erörtert. Es ergibt sich daraus die primär religiöse Bestimmtheit
dieser neuen Bewegung. 4. Das nächste Kapitel ist dem Begriff des
„Eifers" gewidmet. Ausgangspunkt ist das Verständnis des Pinehas in
der jüdischen Tradition. Im Anschluß daran wird nach der Bedeutung
des Eifers im zeitgenössischen Judentum überhaupt gefragt, und schließlich
folgt eine Darstellung des „Eifers" im Zusammenhang mit der
zeloti6chen Bewegung, getrennt nach den beiden Gesichtspunkten des
Eifers für das Gesetz und des Eifers für das Heiligtum. Am Schluß steht
der Nachweis, daß dieser Eifer sich in einer eschatologischen Verschärfung
des Gesetzes ausdrückt. 5. Im Folgenden werden nun die verschiedenen
eschatologischen Züge der zelotischen Bewegung untersucht
und in den Zusammenhang der spätjüdischen Eschatologie eingeordnet.
Hier sind vor allem der prophetische Enthusiasmus und die Vorstellung
von der vormessianischen Leidenszeit wesentlich, aus ihnen erklären sich
konkrete Züge wie die Aufgabe des Besitzes, die Flucht in die Wüste
und die bedingungslose Bereitschaft zum Martyrium. Der Weg zur
Herrschaft des Messias führt über den Heiligen Krieg; als Endziel erhofft
man die Weltherrschaft Israels. 6. Das Schlußkapitel 'will einen
Überblick über die geschichtliche Entwicklung der jüdischen Freiheitsbewegung
geben. Eingesetzt wird mit der Ermordung des Bandenführers
Hiskia durch den jungen Herodes. Die Herrschaft Herodes I. bildete
dann die Vorbereitung der späteren Unruhen, die auch unmittelbar
nach seinem Tode ausbrachen. Doch fehlte noch zunächst die organisatorische
und ideologische Zusammenfassung der Aufständischen. Diese
geschah durch Judas; von nun an bildeten die Zeloten eine dem
Pharisäismus nahestehende, jedoch selbständige Partei, deren Spuren
allerdings wegen der bruchstückartigen Berichterstattung des Josephus
nur stellenweise verfolgt werden können. Wir finden sie auch in den
Evangelien, der Apostelgeschichte und in der rabbinischen Tradition.
Ihr Ziel erreichten die Zeloten mit dem Ausbruch des Jüdischen Krieges;
durch die überraschende Ermordung ihres Führers Menahem, des Sohnes
des Judas, wurde die Partei jedoch im entscheidenden Augenblick gespalten
. Es standen von jetzt an verschiedene, sich bekämpfende Gruppen
einander gegenüber, die zwar das geistige Erbe der Zeloten weiter-
trugen, jedoch selbst zu keinem geschlossenen Handeln mehr fähig
waren.

Die Arbeit kommt zu folgendem Schlußergebnis:
Die Geschichte der jüdischen Freiheitsbewegung in dem untersuchten
Zeitraum weist deutlich 3 Abschnitte auf: Die Vorbereitungszeit
bis zum Auftreten des Judas Galiläus während des Census 6
n.Chr.; die Wirksamkeit der von ihm begründeten Partei bis zur Ermordung
des Menahem zu Beginn des Jüdischen Krieges 66 n.Chr.;
Der Zerfall der Freiheitsbewegung im Verlauf des Jüdischen Krieges
selbst.

Die von Judas gegründete Partei ging aus dem radikalen Flügel
der Pharisäer hervor und blieb wohl immer in enger Verbindung mit
den Schammaiten. Sie bildete einen wohlorganisierten Geheimbund
mit festem Oberhaupt. Ihre Grundlehre war die Forderung nach der
Alleinherrschaft Gottes, die zu einem radikalen Bruch gegenüber den
Herrechaftsansprüchen des römischen Kaisers führte; sie war verbunden
mit der Erwartung, daß durch den Kampf gegen die römischen Unterdrücker
die eschatologische Befreiung Israels eingeleitet würde. Wesentlich
für die neue Bewegung waren außerdem prophetisches Charismatiker-
tum, die bedingungslose Bereitsdiaft zum Kampf gegen alle inneren und
äußeren Feinde Gottes und Israels, eine Haltung, die auch die Bereitschaft
zum Martyrium in sich schloß, sowie eine rigorose Gesetzesauffassung
, die vor allem die Scheidung Israels von der heidnisch-
hellenistischen Umwelt und die Integrität des Heiligtums zum Ziele
hatte. Das große Vorbild bildete wohl der Eifer eines Pinehas und Elia,
von ihnen her erhielt die neue Bewegung wahrscheinlich den Ehrennamen
„die Eiferer", ihre geistigen Wurzeln reichen über den Beginn
der römischen Herrschaft hinaus zurück in die makkabäische Erhebung,
doch zeigt die Partei des Judas Galiläus in ihren Anschauungen gegenüber
den Makkabäern eine deutliche Verschärfung. Gewisse Beziehungen

bestanden auch zu den Essenern, deren Anschauungen — ebenso wie die
der Pharisäer jener Zeit — rigoristisch-zelotische Züge enthielten. Der
Einfluß der neuen Bewegung auf das jüdische Volk war von Anfang an
nicht gering, er wuchs vor allem nach dem Tode Agrippas I. in solchem
Maße, daß es den Zeloten schließlich gelang, das Volk in seiner überwiegenden
Mehrheit in den offenen Krieg gegen Rom zu treiben, ein
Kampf, dem man wohl eschatologische Bedeutung zulegte. Dieser Erfolg
wurde unterstützt durch die starke soziale Komponente im
Freiheitskampf der Zeloten. Aufs Ganze gesehen darf man in diesem
Kampf den ersten Versuch sehen, die uneingeschränkte Theokratie mit
Gewalt auch im irdisch-politischen Bereich herbeizuführen, ein Versuch,
der auch in späterer Zeit mehrfach wiederholt werden sollte. Das Scheitern
desselben zwang das rabbinische Judentum später in vielen Gebieten
zu einer grundsätzlichen Neuorientierung.

Herbst, Wolfgang: Die Bedeutung der spätorthodoxen Lehre von
der unio mystica bei Johann Sebastian Bach. Ein Beitrag zur Frömmigkeitsgeschichte
des beginnenden 18. Jahrhunderts. Diss. Erlangen
1958. 151 S.

Die Arbeit hat eine doppelte Aufgabe zu lösen, einmal die Beleuchtung
des Verhältnisses Bachs zur Mystik auf Grund der orthodox
formulierten Lehre von der unio mystica, zum andern aber die Darstellung
eben dieser Lehre, wie sie sich in der religiösen Lyrik der Zeit
verkörpert und wie wir sie in den kirchenmusikalischen Texten Bachs
finden.

In Teil A wird dem Begriff der unio mystica nachgegangen und
die Geschichte der Unio-mystica-Lehre geschildert. In der Kontroverse
über die unio mystica zwischen Eiert und Koepp steht der Verfasser
mehr auf Seiten Koepps, da für das Wesen der Unio-mystica-Lehre in
der Spätorthodoxie die Konkurrenz zur Rechtfertigungslehre charakteristisch
ist.

Teil B stellt die unio mystica im Wirkungsbereich Bachs dar. Hier
haben wir es mit den zeitgenössischen lutherischen Gesangbüchern zu
tun und ganz besonders mit der freieren religiösen Lyrik, der J. S. Bach
in den zur Auswahl stehenden Kantatentextvorlagen begegnete. Gerade
diejenigen Kantatentexte, die Bach nicht vertont hat, zeigen, in welchem
Maße Bachs Textauswahl eine selbständige theologische Äußerung
darstellt. Vier Textdichter werden als Beispiele ausführlicher behandelt:
Erdmann Neumeister, Salomo Franck, Chr. Fr. Henrici und Chr. M.,
v. Ziegler.

Teil C geht auf die unio mystica im Werke Bachs ein. Dabei werden
die Spuren eigener theologischer Äußerung Bachs, die sich aus den
Korrekturen der von ihm vertonten Textvorlagen und aus seiner Textauswahl
überhaupt ergeben, gewürdigt. Die gToße Fülle mystischen
Materials in den Kantatentexten wird systematisch erschlossen und
untersucht, vom bloßen, aus der Mystik stammenden, aber nicht bewußt
mystisch gemeinten Vokabularium bis zur unio mystica im Sinne
der späteren Orthodoxie. Im einzelnen werden z. B. der mystische
Wortschatz, die verschiedenen Bilder der Mystik (z. B. Braut und Bräutigam
), die Passionsmystik, der mystische Dialog sowie das Verhältnis
der unio mystica zum Wort Gottes, zum Sakrament, zum Problem des
Todes und zum orthodoxen ordo salutis in Betracht gezogen. Auffallend
ist, daß das mystische Material in Bachs Kantatentexten durchweg in
der Gestalt der lutherisch beschnittenen und eingeschränkten Mystik
erscheint. Dieser „Mystik" fehlen die letzten Konsequenzen der mittelalterlichen
Mystik, die etwa mit den Begriffen der „deificatio" oder
der „identitas" gemeint sind. Die Mystik der Bachkantatentexte hat
ihre Schranken in der Rechtfertigungslehre (Salomo Franck hält sich in
seinen übrigen Dichtungen nicht an diese Schrankenl), sie ist damit uneigentliche
, gebrochene Mystik.

Teil D enthält die Folgerungen, die sich aus der Untersuchung ergeben
. Ein strenger Begriff von Mystik erlaubt nicht, Bach als Mystiker
zu bezeichnen (Auseinandersetzung mit A. Schweitzer, E. Schwebsch.
u. a.), trotz — oder gerade wegen — der Vorliebe Bachs für die
orthodoxe unio mystica, die nicht einfach mit Mystik im Sinne
des Mittelalters identifiziert werden darf. Spittas Behauptung, unter
Bachs Kantatentexten wäre kein einziger pietistischer, hat sich bestätigt
, denn in Wirklichkeit haben wir nur die lutherische .Mystik'
mit ihren Spuren vor uns, keinen Pietismus. Die orthodoxe Lehre von
der unio mystica war für Bach vielmehr der Knotenpunkt zwischen
Orthodoxie und Pietismus.

Höhne, Wolfgang: Luthers Anschauungen über die Kontinuität der
Kirche. Diss. Erlangen 1959. 241 S.

Die Dissertation geht auf eine Preisarbeit gleichen Themas zurück,
die 1957 vom Luth. Weltbund ausgezeichnet wurde. — „Kontinuität der
Kirche" ist ein moderner theologischer Begriff, der Luther selbst unbekannt
war. Trotzdem läßt sich mit seiner Hilfe bei Luther eine Fülle
von gewichtigen theologischen Aussagen zum Sprechen bringen. Zu-