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Ausgabe:

1960

Spalte:

466-467

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Birkner, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Spekulation und Heilsgeschichte 1960

Rezensent:

Birkner, Hans-Joachim

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Theologische Literaturzeitmng 1960 Nr. 6

466

Betz, Otto: Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte.
Diss. Tübingen 1959. 202 u. XXXXI S.

Die Untersuchung geht von der besonderen Offenbarung aus, welche
die Qumransekte zu besitzen behauptet und um deretwillen sie sich
vom übrigen Judentum getrennt hat. Fragt man danach, wie diese
Offenbarung empfangen wird und worauf sich der mit ihr verbundene
Anspruch gründet, so stößt man auf die in der Sekte eifrig betriebene
Schriftforschung und ist gezwungen, das Verhältnis zwischen Offenbarung
und Schriftforschung zu untersuchen.

Im ersten Hauptteil (S. 1—79) werden die Aussagen der halachi-
schen Qumranschriften geprüft. Die Tora Moses erscheint im Sektenkanon
als die Summe der göttlichen Willenskundgebung, jedoch nicht
als ein Buch, das „geoffenbart" ist, sondern als eines, das seinerseits
der Offenbarung bedarf, um recht verstanden zu werden. Die Damaskusschrift
weiß von besonderen Zeiten in der Geschichte des Alten Bundes,
in denen gottgesandte Männer einem kleinen Kreis von Jahwegetreuen
die Tora jeweils neu offenbarten, während die Masse des Volke6 davon
unberührt und darum verstockt blieb. Das Offenbarungsgeschehen erstreckt
sich bis hin zur Endzeit; besonders wichtig ist die vorletzte
Periode, in der der wahren Bundesgemeinde der Sekte das heilbringende
Wissen zuteil wird.

Nach dem Sektenkanon empfängt man die Offenbarung über Gottes
wahren Willen bei der Toraforschung, die Privileg des Klerus ist. In
der Damaskusschrift erscheint der (priesterliche) „Lehrer der Gerechtigkeit
" als der einzigartige Torafoischer der Gegenwart. Er bildet in der
Kette der Tora-Offenbarer: Mose — Hilkia — Esra ein weiteres, das
vorletzte, Glied; nach ihm folgt der priesterliche Messias. Die Stellung
des „Lehrers der Gerechtigkeit" gegenüber den priesterlichen Toraforschern
der Sekte wird vor allem in einer allegorischen Auslegung des
Brunnenliedes (Nu. 24, 17 in CD 6, 1 ff.) beschrieben, die jedoch erst
unter Zuhilfenahme des Midraschs der Mosereden (lQ 22) einigermaßen
verstanden werden kann. Mose ist das Vorbild des Stifters der Sekte,
jedoch nicht als der Mittler, der beim Bunde6schluß am Sinai Gottes
Gesetz empfängt und an das Volk weitergibt, sondern als der Lehrer,
der bei der Bundeserneuerung am Nebo dem Klerus die Tora deutet.
Der deuceronomistische Bericht von Moses letztem Wirken im Lande
Moab wird gleichsam als Ätiologie der Toralehre, der Nebo als klassischer
Berg der „Offenbarung" verstanden. Denn die Offenbarung
und die auf das Studium gegründete Lehre sind eins: die Tora wird
da geoffenbart, wo ein von Gott gesandter Lehrer ihre wahre Bedeutung
zeigt.

Diese Einheit von Offenbarung und Forschungsergebnis wird nun
an Begriffen nachgewiesen, mit denen die Sekte Teile oder das Ganze
ihrer Lehre beschreibt: so an tOtöMl undmffl ÖT» oder an ITlWn.
rtüty und Unter ihnen ist das Wort tTCN besonders wichtig:, die
„Wahrheit", die im Handeln der Sekte verwirklicht wird, ist nicht
etwa identisch mit der Tora (so ist heute vielfach zu hören), sondern
mit der besonderen Offenbarung über die Tora. Ein neuer Abschnitt
in der Geschichte der jüdischen Religion hat begonnen: die Frommen,
die sich beim Makkabäeraufstand im Eifer für die Tora geeint wußten,
ringen nun, in Gruppen zerspalten, um die „Wahrheit", <L h. die rechte
Bedeutung der zum Problem gewordenen Tora. So ist auch der „Lehrer
der Gerechtigkeit" ein Offenbarer der vor Gott geltenden und im
Blick auf das bevorstehende Gericht allein seligmachenden Wahrheit
über die Tora. Seine Einzigartigkeit unterstreicht die Sekte dadurch,
daß sie ihn in das Licht der Mosetradition rückt; auch in den Selbstaussagen
des Lehrers finden sich Anklänge an Moseworte. Abschließend
wird zum Vergleich herangezogen, was Philo und Josephus über
das essenische Schriftstudium berichten; Philo sieht es zu sehr durch
die eigene hermeneutische Brille. l

Der zweite Hauptteil (S. 80—110) untersucht dasselbe Problem
an Hand der haggadischen Schriften der Sekte. In diesen sind insbesondere
Stücke der prophetischen Botschaft de6 Alten Bundes gedeutet,
wobei ihre Bedeutung für die Gegenwart, die alles entscheidende
Epoche vor dem Ende, sichtbar wird. Das „Deuten" (TOB) eines
Prophetenwortes erinnert an die Technik der Traumdeutung, wie sie
von Joseph und vor allem von Daniel berichtet wird. Der erste Deuter
der Sekte, der „Lehrer der Gerechtigkeit", kündet das eschatologische
Geheimnis der Prophetenworte und steht damit, was die Bedeutung
seiner Botschaft anlangt, auf derselben Ebene wie der Prophet. Obwohl
dieser Lehrer weder der endzeitliche Prophet noch einer der beiden
Messiasse ist, wird seine prophetische Mission sowohl von ihm
selbst, als auch von der ihn verehrenden Sekte durch Anspielungen
auf Worte der Propheten Mose, Aaron, Elia, Jeremia und Deutero-
jesaja illustriert. Auch die Tatsache, daß man den Kampf gegen die
falschen Lehrer mit Scheit- und Drohworten führt, wie sie ähnlich
die Schriftpropheten gegen ihre lügnerischen Kollegen richteten,
zeigt indirekt das prophetische Bewußtsein der schriftauslegenden
Qumransekte. Im Schlußabschnitt werden die Anekdoten, die Josephus
von den cssenicchen „Sehern" ( ftdvreig ) erzählt, daraufhin geprüft
, ob sie von Zukunftsdeutern handeln, die von Schrift und

Schriftforschung unabhängig sind. Bei näherer Betrachtung treten
unter dem hellenistischen Kolorit Gestalten hervor, die politischen
Propheten des Alten Testaments gleichen und — meist unter Verwendung
biblischer Traditionen — als Sturmvögel der spätjüdischen Geschichte
Aufstieg und Ende von Regenten und Herrscherhäusern ankünden
. Josephus selbst, der Prophet der Flavier, bildet das Schlußglied
in dieser Kette; in seinem Bericht vom Berufungserlebnis in Jotapata
macht er sich zu einem zweiten Elia.

Im dritten Hauptteil (S. 121—172) sind die Hymnen der Sekte
Gegenstand der Betrachtung. Vor dem Angesicht Gottes bleibt die
eigene Leistung und damit das Forschen in der Schrift unerwähnt; alles
Gewicht fällt auf Gottes offenbarendes Handeln. Die Offenbarung wird
in Bildern als lebenschaffende und -erhaltende Kraft (Licht, Wasser,
Same, Brot, Milch) geschildert, kann jedoch nicht in einem „mystischen
Erleben", sondern nur beim Studium der Schrift empfangen worden sein.
Deutlich tritt die erleuchtende Kraft hervor: es ist Gottes heiliger
Geist. Die Sekte besitzt eine Pneumatologie, in der meines Erachtens
zwei ihrem Ursprung nach verschiedene Anschauungen verbunden sind:
eine an alttestamentlichen Aussagen orientierte Ansicht von Gottes
heiligem Geist, der dem unreinen Fleisch der menschlichen Natur gegenübersteht
, und eine iranisch beeinflußte Lehre von zwei Geisterreichen,
die vom Geist der Wahrheit und vom Geist des Irrtums regiert werden.
Während die Lehre von den beiden Geistern vor allem der Erklärung
des Bösen dient, wird als Kraft der Offenbarung Gottes heiliger Geist
betrachtet. Die Erleuchtung ist eng verbunden mit der im Vordergrund
stehenden Reinigung des durch Fleisch und Eigenwillen befleckten
Menschengeistes durch den heiligen Geist, der, ein Fluidum, Kraft und Substanz
zugleich, au6 dem Menschen kata sarka (1 QH 1,21—23) den
Menschen kata pneuma (lQH 7, 6 ff.) macht. Am deutlichsten tritt diese
Wandlung beim Akt der vollkommenen Geistbegabung, der Geisttaufe
der Endzeit, in Erscheinung (1 QS 4, 20—22). Demgegenüber hat
der „Geist der Wahrheit", die positive Macht im Rahmen der Zwei-
Geisterlehre, für das Offenbarungsgeschehen der Gegenwart keine Bedeutung
und ist, gemessen an der Aktivität seines Opponenten, ein
angelus otiosus. — In den Essenerberichten des Philo und des Josephus
wird die Bedeutung von Geist und Geistern erheblich eingeschränkt.

Ein letzter Abschnitt (S. 173—202) enthält besonders charakteristische
Beispiele geistlicher Schriftauslegung der Sekte. Diese sind nach
formalen Gesichtspunkten geordnet. So erscheint z. B. ein markanter
Gegenstand eines Prophetenwortes — der Weg in der Wüste (Jes 40, 3),
der Grundstein (Jes. 28, 16, erweitert zur heiligen Festung), der läuternde
Schmelzofen (Hes. 22, 22) — mehrfach als ein Bild für Wandel
und Wesen der Sekte, gleichzeitig aber auch als eine reale Größe in der
Siedlung Qumran; der Spruch des Propheten ist somit im Vollsinn erfüllt
. Weitere Möglichkeiten geistlicher Auslegung sind: die Erweiterung
eines Schriftwortes durch Zusätze (Beispiel ist der aaronitische
Segen: Nu. 6,24—26 in 1 QS 2,2—4), die freie, midraschartige Interpretation
(Beispiel ist der Fluch gegen den Heuchler: Dt. 29, 18—20 in
1 QS 2,11—18), und schließlich die konsequent allegorische Deutung,
die Wort für Wort in übertragenem Sinne versteht (Beispiele bietet
vor allem die Damaskusschrift).

In den Gang der Untersuchung wurden die Makkabäerbücher, das
Jubiläenbuch, der äth. Henoch, die Zwölfertestamente und die Schriften
des Neuen Testamentes verschiedentlich mit einbezogen. Hinsichtlich
der Chronologie der eigentlichen Qumranschriften ergab sich als die
wahrscheinlichste Ordnung: eine erste, vom „Lehrer der Gerechtigkeit"
verfaßte Schriftengruppe bilden der Sektenkanon, die Hodajoth und
wohl auch die Kriegsrolle (Ende des 2. vorchristlichen Jahrhunderts);
eine zweite die Kommentare der Sekte (Habakukpescher u. ä.) und dazu
die Damaskusschrift.

Birkner, Hans-Joachim: Spekulation und Heilsgeschichte. Studien
zum theologischen System Richard Rothe6. Diss. Göttingen 1951.
142 S.

Ziel der Arbeit ist die Herausaxbeitung der in Richard Rothes vielseitigem
theologischen Werk vorausgesetzten und ausgeführten Geschichtsauffassung
. Nach der Meinung des Verfs. ist sie der Bezugspunkt
, von dem her Rothes gesamtes theologisches Wirken als Systematiker
, Kirchenhistoriker, Exeget und Kirchenpolitiker 6eine Einheit
gewinnt.

Der I. Teil der Arbeit („Spekulative Theologie") unternimmt zunächst
eine theologiegeschichtliche Einordnung Rothes, die sein im Einflußfeld
des deutschen Idealismus entstandenes Werk in Nachbarschaft
6tellt zu den spätidealistischen Systemen des sog. spekulativen Theismus
. Eigentlicher Gegenstand der Untersuchung ist dann Rothes Programm
einer theologischen Spekulation, wie es durchgeführt ist in seinem
Hauptwerk, der „Theologischen Ethik". Das hier entfaltete universale
spekulative System enthüllt sich dabei als ein System der
Heilsgeschichte, d. h. als der Versuch einer spekulativen Konstruktion
des göttlichen Welt- und Geschichtsplans. Der Nachzeichnung dieses