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Ausgabe:

1960 Nr. 6

Spalte:

459-460

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Hauriou bis Konsum 1960

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Seite 1

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459

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 6

460

keit zersprengender Ruf in einen Perfektionismus oder Aszetis-
mus wäre. Römische Moral muß ihrem Wesen nach mit einer
Stufenreihe, einer scala perfectionis, operieren: „Die erste Stufe
schließt das peccatum mortale, die zweite das peccatum vcniale
aus, die dritte strebt auf völlige Konformität mit dem göttlichen
Willen hin" (S. 8 3). „Moralisten beachten sorgfältig das Unheil,
das dem Gewissen angetan wird, falls schwere Verpflichtungen
nicht klar unterschieden werden von Werken der Übergebühr"
(S. 86). Leider ist das — innerhalb des katholischen Moralsystems
— sicher richtig. Die heutig« römische Moraltheologie
leidet unter der angeerbten und seit den Zeiten der Gegenreformation
so stark ausgebauten Gesetzlichkeit. E6 i6t bewegend, wie
stark man bei einigen der angeführten Autoren diesen Kampf
spürt. Hier müßte aber eine Reformation an Haupt und Gliedern
durchgeführt werden. Sonst muß der Kasuist bleiben, der barmherzig
und milde das Joch 60 sanft macht wie überhaupt zulässig.
Der Beichtvater muß ein Rechtsanwalt für die Verteidigung sein
und bleiben.

Höchst interessant ist es nun, in dem dritten Hauptteil zu sehen
, wie unter dem Einfluß des Existentialismus auch eine mehr
oder weniger ausgesprochene Situationsethik an die Türe der
römischen Kirche geklopft hat, und wie sorgfältig Pius XII. die
Tür zugeriegelt hat (Kapp. 7 u. 8). Zwar wird zugegeben, daß in
bestimmten katholischen Traktaten, etwa über das sechste Gebot
oder über das sacrilegium, sich Vorschriften finden, die nicht als
Teile des Evangeliums angesehen werden können. Aber das bindende
Lehramt der Kirche muß bedingungslos gelten. Auch die
mildere „Situationsethik", wonach nur allgemeine Prinzipiep
hinsichtlich Liebe, ehelicher Treue, Achtung der Autorität, des
Lebens und des Eigentums festlegbar sind, wird energisch abgelehnt
. Maßgebend sind hier vor allem die Aussagen des Papstes
vom 23. März und 18. April 1952, wonach es verboten ist,
die Situationsethik zu lehren oder zu verteidigen. Die Kirche hat
ihre ganz bestimmten Gebote, und die allein dürfen gelehrt werden
. Interessant ist es, daß maßgebende katholische Theologen
auch die Haltung der „Moralischen Wiederaufrüstung" (M R A)
als „Situationsethik" ablehnen.

Der letzte Teil, etwa die zweite Hälfte des Buches (Kapp. 9
— 14), ist für den evangelischen Theologen weniger wichtig. Hier
wird zunächst die Frage erörtert, inwieweit der Beichtvater verschiedene
soziale Veranstaltunigen wie etwa Tanzen verbieten
dürfe oder müsse, weil sie Versuchung zur Sünde bedeuten können
. Ak Hauptregel wird festgestellt, daß es, wo keine autoritative
Entscheidung vorliegt, keinem Beichtvater oder Prediger oder
Seelsorger erlaubt ist, von anderen die strengere Sicht zu fordern
. Und schließlich folgen ausführliche Erörterungen darüber,
wann das Beichtkind als zurechnungsfähig in vollem Sinn angesehen
werden kann, was in dieser Hinsicht die unbewußte Motivation
, von der die Psychoanalyse spricht, was äußerer Zwang
oder Alkoholismus bedeutet. Der Leser bekommt einen äußerst
starken Eindruck davon, wie doch der Beichtvater ein Richter in
juristischem Sinn ist. Ein ganzes Kapitel (Kap. 12) ist somit auch
den juristischen Aspekten der subjektiven Zurechnungsfähigkeit
gewidmet.

Interessant ist das Buch, weil es dem Leser einen guten Einblick
in da6 Ringen mit den größten Problemen innerhalb des
Kreises der römischen Moraltheologie vermittelt. Man verläßt
aber das Buch mit dem beklemmenden Bewußtsein: Hier wird
wahrhaftig kein neuer Weg gezeigt. Liguori wird einmal (S. 15 5)
als „St. Alphonsus himself" eingeführt. Dann weiß man einigermaßen
schon Bescheid.

Kopenhagen N. H.S0e

Staatslexikon. Recht, Wirtschaft, Gesellschaft. Hrsg. von der
Görrcs-Gesellschaft. 6., völlig neu bearb. u. erweit. Aufl. IV. Band:
Hauriou bis Konsum. Freiburg/Br.: Herder 1959. VIII S., 1248 Sp. 4°.
Lw. DM 76.-; Hldr. DM 85.-.

Mit diesem IV. Band ist das Staatslexikon bis zur Hälfte des
vorgesehenen Umfanges vorgeschritten. Der letzterschienene
III. Band wurde in der ThLZ 1959, Sp. 792 f. von mir angezeigt.
Die bei den Anzeigen der vorausgegangenen Bände ausgesprochenen
Gesamturteile gelten auch bei der Fortsetzung in ungemin-
derter Weise. Man kann überdies hoffen, daß wir bei zügigem

Fortschreiten in der Ausgabe der weiteren Bände bald im Besitz
des ganzen überaus wertvollen Werkes sein werden.

Es sei auch hier wieder ein kurzer Vergleich mit der 5. Aufl.
vorausgeschickt. Der entsprechende alphabetische Spielraum
reicht dort von Hausangestellte bis Konsumgenossenschaft, von
II, 1081 bis III, 564, umgreift also 1305 Spalten. Die Zahl der Artikel
ist von 23 8 auf nunmehr 178 zurückgegangen. Z. B. stehen
unter den Stichworten Kirche bzw. kirchlich in der 5. Aufl. noch
32, jetzt nur noch 6 Artikel. In den biographischen Beiträgen ist
wieder der für den Wandel des Interesses in einem Menschenalter
bezeichnende Wechsel eingetreten: Hume, Hus, Kjellen,
Klopstock finden z. B. keine Berücksichtigung mehr, während die
Zeitgeschichte kräftig für den Ersatz gesorgt hat.

Ich möchte mich hier bei der Hervorhebung einzelner Artikel
unter Absehung von den in schöner Gründlichkeit behandelten
rechtswissenschaftlichen, volkswirtschaftlichen und politischen
Stichworten auf die philosophischen und theologischen
Gegenstände beschränken. Der umfassendste philosophiegeschichtliche
Artikel ist Hegel gewidmet (J. Ritter, H. Lübbe,
K. Gründer, M. Müller, Th. Steinbüchelf). Er verbindet die historische
, auch Hegels Nachwirkungen einbeziehende Darstellung
mit einem systematischen Bericht, bei dem Rechts- und
Staatsphilosophie im Vordergrund stehen. Leider ist bei den
theologischen Nachwirkungen zwar D. F. Strauß genannt, aber
F. Chr. Baur übergangen. Die kritische Würdigung ist umsichtig,
die Literaturangaben an die Grenze der Vollständigkeit geführt.
Der Artikel Kant (M. Müller, H. Reiner) nimmt nur die Hälfte
des Hegel gewidmeten Raumes ein. Auch er ist eine sorgsame,
in der Kritik sehr zurückhaltende und die praktische Philosophie
stark hervorhebende Leistung. Ich nenne ferner zur Philosophie
noch die Artikel über Herder (G. Baumann), Hobbes (W. R. Dall-
mayr), bei denen man wie bei den vorhergehenden einen Hinweis
auf E. Hirschs „Geschichte der neuern evangelischen Theologie
" vermißt. Der Artikel über Humboldt (W. Real) ist, wie
zumeist, humanistische Hagiographie, was jedenfalls der Objektivität
eines in der Grundhaltung katholischen Lexikons ein
ehrenvolles Zeugnis gibt.

In die Religionsgeschichte greifen die Beiträge über den
Islam (F. Pareja) und die Juden (H. Thieme, H. Lamm), wobei
das Schwergewicht des zweitgenannten Artikels stark zur Gegenwart
einschließlich der jüngsten Katastrophen der jüdischen
Geschichte hin verlagert ist. Die in diesem Bande besonders
zahlreichen Artikel über die Kirche, ihre Einrichtungen und
Rechtsverhältnisse sind mit Übergewicht den katholischen Dingen
gewidmet. Katholische Kirche (K. Rahner, O. Heggelbacher
, H. Auhofer), Organisationen. Presse, vor allem Katholisches
Kirchenrecht (Kl. Mörsdorf), Katholische Soziallehre
(G. Gundlach) und Kirche und Staat (H. Rahner u. a.) sind ganz
vorzügliche Übersichten von hohem Rang. Ihnen treten weitere
Stichworte zur Seite, welche in erwünschter Weise auch in moderne
innerkirchliche Diskussionen einführen (z. B. Index von
A. Gommenginger) und statistische Übersichten bieten, die den
neuesten Stand berücksichtigen (Jesuiten von H. Becher, Klerus
von H. Flatten und H. Auhofer). Ferner sei auf die belehrenden
Artikel Kardinal, Kloster, Konkordat in diesem Zusammenhang
verwiesen.

Was das Staatslexikon bietet, wird in dieser Form jedenfalls
von keinem anderen hier sonst noch in Betracht kommenden
Lexikon geleistet. Wieder sei auch die Sachlichkeit des Urteils,
die tendenzlose Einbeziehung evangelischer Einrichtungen (Innere
Mission von B. Röntsch) und das bei jeder Gelegenheit in Fülle
gelieferte statistische Material sowie der hohe Stand der Literaturangaben
dankbar bestätigt.

Göttingen Wolfgang T r i 11 h aa »

Davidson, Robert: Some Aspects of the Old Testament Contribu-

tion to the Pattern of Christian Ethics.

Scottish Journal of Theology 12, 1959 S. 373—387.
O y e n, Hendrik van: Heiligung in der Gerechtigkeit.

Monatschrift für Pastoraltheologie 48, 1959 S. 458—472.