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Ausgabe:

1960 Nr. 6

Spalte:

435-437

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Günther

Titel/Untertitel:

Jesus von Nazareth 1960

Rezensent:

Stauffer, Ethelbert

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 6

436

Schildenberge r, Johannes: Aus Gottes Zorn in Gottes Gnade.

Psalm 6, der erste Bußpsalm.

Bibel und Kirche 15, 1960 S. 2—4.
Westermann, Claus: Die Begriffe für Fragen und Suchen im Alten

Testament.

Kerygma und Dogma 6, 1960 S. 2—30.

NEUES TESTAMENT

Born kämm, Günther: Jesus von Nazareth. 3.., Aufl. Stuttgart:
Kohlhammer [1959]. 214 S. kl. 8° = Urban-Bücher. Die wissenschaftliche
Taschenbuchreihe, hrsg. v. F. Ernst. 19. Kart. DM 3.60.

Bornkamms „Jesus von Nazareth" ist vor drei Jahren erschienen
, liegt jetzt in dritter (fast unveränderter) Auflage vor
(21. bis 30. Tausend), wird ins Englische übersetzt, viel besprochen
und zitiert und ist bereits in so verschiedenen Organen wie
„Spiegel" und „Evangelischer Digest" gewürdigt worden. Ich
darf darum den Inhalt des Buches als bekannt voraussetzen, sofort
auf die großen Probleme zugehen und zunächst einmal
sechs Punkte nennen, in denen man B., wie ich meine, mit
allem Nachdruck zustimmen sollte:

1) Palästinajüdisches Kolorit eines Logions ist noch kein
Beweis für seine jesuanische Herkunft (s. B. S. 205). •

2) Jesus hat sich nicht als Messias betrachtet (S. 74; 150).

3) Der Majestätsanspruch Jesu manifestiert sich am unmittelbarsten
und reinsten in dem autonomen Geltungsanspruch
seiner Verkündigung (S. 51).

4) Das Zentrum seiner Verkündigung ist das große Heute
(S. 61 f.; 68; 75).

5) Jesus mußte mit seinem gewaltsamen Ende rechnen. Aber
die Leidensweissagungen der Evangelien sind weithin Gemeindeprodukte
, ex eventu und secundum scripturas formuliert (S. 142).

6) Zur biblischen, auch und gerade zur jesuanischen äyänr]
gehört das elementare Begehren im Sinne des griechischen egcog
mit hinzu (S. 107).

Dagegen kann ich B. in zwei Punkten nicht folgen, und
ich muß furchten, daß hier ein grundsätzlicher und unüberwindlicher
Gegensatz zutage tritt. Aber wenn ich Herrn Kollegen B.
hier mißverstanden haben sollte, so lasse ich mich nur zu gern
eines Besseren belehren:

a) Das Pneuma, sagt B., garantiert die Kontinuität der Tradition
, die legitime Entfaltung und Umgestaltung der Jesusüberlieferung
(S. 17; 149; 159; 172—175). B. kann sich dabei auf
Paulus, Johannes (J 14,26; 16, 13) und viele Theologen unserer
Tage berufen, aber nicht auf den Lukasprolog, der kein Wort vom
Pneuma Hagion sagt und sich sogar die Benutzung außerkirchlicher
Quellen vorbehält. Ich möchte es mit L 1,1—4 halten und
meinen, daß für den Jesushistoriker ausschließlich der historische
Jesus von Nazareth in Betracht kommt, sein Wort, sein Tun,
seine Geschichte, und möchte fragen, ob das Studium von Hudes
Synopse oder Bultmanns Traditionsgeschichte die dogmatische
These von der pneumatisch garantierten Gemeindeüberlieferung
bestätigt?

b) B. treibt Sachkritik mit quellenkritischen Mitteln, z.B.
in der Frage der Parthenogenesis, der Wundertätigkeit Jesu, des
Leeren Grabes. Auch darin steht er keineswegs allein. Dennoch
scheint mir diese Verkoppelung unzulässig. Ich meine, der
Historiker hat Quellenkritik zu treiben und jede sachkritische
Einmischung fernzuhalten; er soll fragen, wie es eigentlich gewesen
ist, und nicht darüber zu Gericht sitzen, was geschehen
sein kann oder nicht kann. „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel
und Erde . ..". Aber darüber habe ich mich anderwärts ausführlicher
geäußert (Festschrift Otto Eißfeldt, E.V.A. Berlin 1959,
S. 164 f.).

In f ü n f Punkten möchte ich etwas weiter gehen als B., hier
aber handelt es sich nicht um prinzipielle Gegensätze, sondern
nur um Differenzen, die zudem vielleicht geringer und interimistischer
sind, als es im Augenblick scheinen mag:

a) B. geht auf die Qumranfunde nur mit einigen Zeilen ein
(S. 38 f.). Andere machen es nicht viel anders (Percy, Grundmann
, Barnikol, Conzelmann). Ich gehöre nicht zu den Pan-
qumranisten, aber ich meine, man kann heute keine Evangelienkritik
mehr treiben, ohne unablässig die Qumrantexte zu befragen
(nicht zu zitieren, aber zu befragen!). Denn niemand kann mehr
daran zweifeln, daß die Urkirche, ihr Kerygma und ihre Jesusüberlieferung
überall von qumranischen Elementen durchsetzt ist.
Nach B. ist palästinajüdisches Kolorit noch kein Beweis für jesuanische
Herkunft eines Logions (s. o. Nr. 1). Conzelmann geht
noch einen Schritt weiter und schreibt: „Für die Rekonstruktion
der Lehre (Jesu) gilt der methodische Grundsatz: als echt ist anzusehen
, was sich weder in das jüdische Denken einfügt noch in
die Anschauungen der späteren Gemeinde" (RGG III, 1959,
Sp. 623). Auch ich meine, alle Herrenworte, die z.B. qumranisch
oder philoqumranisch klingen, müssen mit äußerster Reserve
behandelt werden. Das aber sind sehr, sehr viele, darunter in
Massen auch solche, die bei B. noch als jesuanisch erscheinen.
Wenn wir unseren Pfarrern und Religionslehrern einmal eine
qumranische Parallelensammlung zum NT im Stile des Billerbeck-
schen Thesaurus vorlegen, werden ihnen die Augen übergehen.

ß) B. gehört zu den ganz wenigen Theologen, die es klar
genug aussprechen, daß Jesus nicht nur gegen die rabbinische
Thoraexegese oder pharisäische Thorapraxis gekämpft hat, sondern
in gewissen Fällen gegen die mosaische Thora selbst (S. 39;
52; 90 ff.). Aber zu M 7, 14—23 spricht B. nur von „Reinheitsvorschriften
" (S. 89 f.). Ich meine, eine energische Analyse dieses
Traditionsstückes zeigt, daß Jesus hier ursprünglich von verbotenen
oder erlaubten Speisen gesprochen hat (M 7, 15. 19c),
daß aber schon in der Gesamtkomposition des M (M 7, 1—23)
und vollends in der Umgruppierung und Umformulierung bei Mt
(Mt 15, 1—20) die Tendenz am Werk ist, die antimosaische
Thorakritik Jesu zu einer antirabbinischen und antipharisäischen
Halachapolemik zu bagatellisieren. Jedenfalls eine traditionskritische
Frage, aus der sich allerlei Konsequenzen ergeben für die
Historia Jesu (bis hin zum Kaiphasprozeß), für die Geschichte
des Urchristentums (Gal 2, 11 ff.), für unsere theologische Besinnung
(s. oben Punkt a).

y) Ganz rätselhaft ist mir B.s Stellung zum Quellenwert der
Bergpredigt. Wir wissen alle, daß in Mt 5—7 einige der echtesten
und wichtigsten Worte Jesu überliefert 6ind. Aber B. behandelt
die Logien der Bergpredigt in einem erstaunlichen Umfang als
genuine Jesusüberlieferung (S. 76 f.; 91 ff.; 201 ff.). B. selbst ist
in den letzten Jahren mit einigen Spezialuntersuchungen zur
Theologie des Mt hervorgetreten. Ich meine, nirgends kommt
die Theologie des Matthäuskreises so massiv zur Geltung wie in
Mt 5—7. B. weiß von Jesu Thorakritik (s. oben ß). Wie will
man Mt 5, 17—20 ohne hermeneuti6chen Gewaltakt mit jener
Thorakritik in Einklang bringen? Überall in den Qumrantexten
begegnet die Polemik gegen das lüsterne Auge und Herz, und in
Pesikta Rabbati 24 stehen die Sätze: „Rabbi Simeon ben
Lakisch hat gesagt: Wer mit seinem Leibe die Ehe bricht, heißt
ein Ehebrecher. W i r haben gefunden (irsi:), daß man schon

ein Ehebrecher genannt wird, wenn man auch nur mit seinen
Augen die Ehe bricht" (Hiob 24,15; Prov 7,9). Mt hat das
„Wir haben gefunden", die (schon bei den Tannaiten!) alltägliche
Argumentationsformel der rabbinischen Schul kontroverse (Schriftwort
gegen Schriftwort), im Sinne seiner Messianologie potenziert
zu der antithetischen Offenbarungsformel: „Ich aber sage
euch" (Messias = höchstinstanzlicher Thoracxcget), im übrigen
jedoch die Substanz der jüdischen Halacha beibehalten. M. a. W,
Mt 5, 27 f. ist der Modellfall eines Logions, das sich mühelos in
das palästinatheologische Denken (thorajüdischer Provenienz und
gemeindechristlicher Observanz) einfügt und demzufolge (im
Sinne unseres Punktes a) ak unje6uanisch gelten muß. B. aber
behandelt diese Antithese wie selbstverständlich als echt (S. 95).
Das ist nur ein Beispiel für viele, auch B. selber ist nur einer von
vielen (so z. B. hält auch Conzelmann Mt 5, 27 f. für ein echtes
Jesuswort, a. a. O., Sp. 63 3; 638). Kein Christenmensch wird sich
leichten Herzens von der Bergpredigt „trennen", kein Kritiker
darf hier leichtfertig vorgehen, aber ich glaube, die Masße der
Bergpredigtwortc, auch und gerade die große Masse der Antithesen
ist unjesuanisch — ganz zu schweigen von der Geschichtstheologie
des Matthäuskreises, die 6ich in der Gesamtkonzeption
von Mt 5—7 manifestiert.

ö) B. hat manches schöne und wahre Wort von der Kairosverkündigung
Jesu gesagt (s. oben 4). Zugleich aber hält er mit