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Ausgabe:

1960 Nr. 6

Spalte:

425-428

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Festschrift Friedrich Baumgaertel zum 70. Geburtstag 1960

Rezensent:

Wallis, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 6

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„Ein schnell entflammendes (!) Herz mit all seinen Schwankungen
und seinem erregbaren Gefühlsleben trat hier dem energiegeladenen
zielstrebigen Apostel gegenüber." Andererseits wird
auch Paulus eine leicht entzündbare Feuernatur (S. 44) zugeschrieben
.

So liegt e6 dem Verfasser nahe, auch theologische Fragen
durch psychologische Erwägungen zu losen. Da6 Ineinander von
Jetzt und Dann, von Gegenwart und Zukunft im Verständnis der
Rechtfertigung bei Paulus wird zunächst so erklärt: „Psychologisch
(!) mag zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Anlässen
seiner Briefe einmal der eine und einmal der andere
Gesichtspunkt von ihm stärker betont worden sein" (S. 124).
Dann wird es aus dem Gegensatz der inneren und der äußeren
Erfahrung des Paulus erklärt: „Er lebte so stark in Christus, daß
er empfand: ich lebe schon in einer anderen Welt. Wenn er aber
auf die Realität der Galater schaut, dann muß er wieder sagen:
.Nein, wir haben noch nichts' " (S. 125). Für den Verfasser „entquellen
die beiden Gedankengänge nicht dem theologischen,
systematischen Denken, sondern dem unmittelbaren Erleben" und
sind so zu einer Einheit bei Paulus verbunden (S. 125). Es ist zu
fragen, ob eine solche Erklärung dem Leser das Verstehen dieser
theologischen Grundaussage des Paulus nicht unmöglich macht.
Sie erscheint jetzt nicht als Beschreibung der christlichen Existenz,
sondern als subjektives Erlebnis des Paulus, das den Leser gerade
nicht einschließt. Auch an anderen Stellen wird dem logischen
Verstände die Fähigkeit zum rechten Verstehen abgesprochen
(S. 79: bei der Deutung von Deut. 21, 23 nach Paulus, S. 95: das
Hin und Her zwischen Knechtschaft und Sohnschaft, S. 77: Christus
nimmt den Fluch auf sich). Hier wird das religiöse Gemüt
angerufen, dem Christus nicht oft genug in das Herz geschrieben
werden kann. Sehr viel richtiger dürfte es sein, wenn der Verfasser
vom verstandeswachen Wesen des Paulus (S. 93) spricht.
Paulus der Theologe hat die Denkmittel seiner Zeit auch im
Galaterbrief eingesetzt. Das verpflichtet auch seine Interpreten.
Wohl versucht der Verfasser der hier liegenden Gefahr zu entgehen
, so wenn er die Bekehrung des Paulus als einen Eingriff in
sein innerstes Sein beschreibt, über den er selbst nicht verfügt
(S. 26). Doch erscheint auch hier eine psychologische Vorbereitung
als Voraussetzung der Bekehrung: „Erst die völlige Kapitulation
, der innere Zusammenbruch bereitet so die Möglichkeit,
von Gott erfaßt zu werden" (S. 5 5). So wird dann auch das
Pauluswort, daß nicht er lebt, sondern Christus in ihm (S. 20),
im Sinne der unio mystica interpretiert. Hier bindet 6ich der Verfasser
an theologische Voraussetzungen, die in den 20er Jahren
unseres Jahrhunderts näher lagen als heute.

Ein für Nichttheologen geschriebener Galaterkommentar
6tellt den Interpreten wohl vor die schwerste Aufgabe, vor die
man bei der Interpretation des Neuen Testaments in der Gegenwart
überhaupt gestellt werden kann: Es gilt hier nicht nur
den Gegensatz des Paulus gegen Judaisten und Nomisten
herauszuarbeiten, sondern die Rechtfertigungslehre des Paulus
in unsere Denk- und Sprachwelt umzusetzen, damit sie nicht
als psychologisch verständliche Sonderlehre des Paulus erscheint
und auch nicht als zeitbedingter Ausdruck seines religiösen
Erlebnisses, sondern als maßgebende Beschreibung christlicher
Existenz. Hier ist noch sehr viel zu tun, und die psychologische
Erklärung vom Erlebnis her dürfte dafür am wenigsten hilfreich
sein.

Es wäre gut gewesen, wenn der Verfasser sein Buch sprachlich
durchgesehen hätte. Der Sprachverfall der Gegenwart verpflichtet
zu besonderer Disziplin. Kann man sagen: „Die leidenschaftliche
Hingabe des Paulus erkraftete..." (S. 23), soll
man vom „alten nicht durchchri steten Sein" eines
Menschen (S. 163) reden? Oft wird eine Bildersprache gewählt,
die das Verständnis der Aussage nicht immer fördert: „Ein zähes
Ringen hebt an, immer umkreist von dem Hauch kommender Entwicklungen
" (S. 34). „Aber er bleibt nicht stehen auf einsamer
Höhe, umrahmt von dem Eishauch der Ewigkeit"
(S. 167).

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[Baumgärtcl, F.:] Festschrift, Friedrich Baumgärtel zum 70. Geburtstag
14. Januar 1958 gewidmet von den Mitarbeitern am Kommentar
zum Alten Testament (KAT), überreicht von J. H e r r-
m a n n, hrsg. von L. Rost. Erlangen: Universitätsbund 1959.
200 S. gr. 8° = Erlanger Forschungen. Reihe A: Geisteswissenschaften
, Bd. 10. Kart. DM 18.—.

Die vorliegende Festschrift wurde dem Jubilar zu seinem
siebzigsten Geburtstag im Jahre 1958 in Maschinenschrift überreicht
. Im Druck konnte 6ie jedoch erst ein gutes Jahr später erscheinen
, als das Gremium für die Herausgabe der „Erlanger Forschungen
" 6ich entschloß, sie in ihre Reihe „Geisteswissenschaften"
aufzunehmen.

Die Festschrift enthält eine Reihe von Spezialaufsätzen, die
sich jedoch fast alle mit der theologischen Bewältigung zugetragenen
fremden Gutes im Alten Testament befassen.

Den Anfang bildet eine Arbeit von Karl E 11 i g e r über
„F-phod und Choschen". E. befaßt sich mit der Analyse und Auswertung
von Ex. 28, 6—30. Er setzt ein mit einer Kritik an
Gallings archäologischen Erwägungen z. St. im HAT. Gs. Darstellung
fußt auf der Unterscheidung von zwei Schichten in P
(v. Rad), während E. selbst mindestens drei Schichten annimmt.
Die einzelnen Schichten und ihre Verarbeitung spiegeln wirkliche
oder gedachte Entwicklungsstadien des hohepriesterlichen
Ornats wider. Dabei geht der Entwicklungsweg von der ursprünglich
magischen und manschen Deutung des Ornats und
seiner Teile bis zu dessen Verständnis als Zeichen der Erinnerung
Gottes an seine Israel gegebene Verheißung. Damit ist ein
archäologischer Befund literarisch klargelegt und theologisch
interpretiert worden.

Eine ähnliche theologische Aneignung gegebener Realien
behandelt Johannes Fichtner, indem er der „Bewältigung
heidnischer Vorstellungen und Praktiken in der Welt des Alten
restaments" nachgeht. Die Notwendigkeit, daß sich Israel mit
fr./mden religiösen Vorstellungen hat auseinandersetzen müssen,

beruht auf der grundlegenden Tatsache, daß Israel mit deren
Vertretern unmittelbar zusammenlebte. Die Bewältigung dieser
fremden Vorstellungen vollzog sich auf zweierlei Weise: einmal
.in der zielbewußten Abwehr nichtisraelitischer Praktiken und
zum anderen in der Übernahme ursprünglich nichtisraelitischen
Gutes unter Ausscheidung oder Abwandlung der ursprünglichen
Interpretation. F. bietet eine Fülle von Material, jedoch dessen
eingedenk, eine Vollständigkeit hier nicht erreichen zu könne"n.
Dazu bedarf es zugegebenermaßen eines viel breiteren Raumes.

Ein ähnliches Thema schlägt Georg F o h r e r, allerdings
auf einer anderen Ebene, an mit seiner Behandlung der „Überlieferung
und Wandlung der Hioblegende". F. verfolgt die Gestalt
der Hioblegende von der vorliegenden alttestamentlichen
Fassung bis hin zur vermutlichen Form im außerisraelitischen
Bereich. Damit geht es eigentlich wieder um die Bewältigung
nichtisraelitischen Materials. Vor dem Einbau des Dialogs hatten
Hiobs Besucher, Freunde und Verwandte die Absicht, zu trösten
und zu helfen. Dabei versuchten sie jedoch in ähnlicher Weise
wie seine Frau, ihn zum Abfall von seinem Gott zu bewegen.
Die Gestalt Hiobs, die in der nachexilischen Prägung im Licht
der Weisheitsdichtung steht, ist schon Ezechiel als TyP des
Frommen und Gerechten bekannt, während die Zeichnung Hiobs
an die Pentateuchquellen anklingt. Die außerisraelitische Herkunft
des Stoffes und der Urgestalt der Legende jedoch mag
durch die Heimat Hiobs richtig bestimmt 6ein. F. unterbaut
seinen Nachweis mit umsichtig zusammengetragenem Material.

Dem Verständnis des Alten Testaments auf Grund der Gebundenheit
an, seine konkrete Umwelt dient auf eigene Weise
auch Hans-Wilhelm Hertzbergs Aufsatz: „Palästinische
Bezüge im Buch Kohelet". H. bietet eine Reihe von Einzelhinweisen
auf das palästinische Kolorit dieses Buches. Die Bilder
Kohelets atmen palästinischen Erdgeruch. Einem Mann wie H.,
der lange Zeit in Palästina geweilt hat, ist der Blick für solche
häufig übersehenen Nuancen geschärft.

Das gleiche Thema, das bisher in allen Aufsätzen angeklungen
ist, bezieht Franz Hesse auf unser Verhältnis zum