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Ausgabe:

1960 Nr. 5

Spalte:

390-393

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Trillhaas, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Ethik 1960

Rezensent:

Søe, Niels H.

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

390

Glaubens behandelt worden sind. Der erste hat e6 mit den
„Hauptaspekten des existentialen Glaubensbegriffes in der Geschichte
der Theologie" zu tun. Der zweite Hauptteil dient der
eigentlich systematischen Besinnung.

Es ist erstaunlich, daß eine Besinnung wie die vorliegende
erst jetzt in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erfolgt. Hätte
nicht schon längst der Ruf danach erfolgen müssen? Ansätze, in
ähnlicher Richtung zu definieren, liegen zwar längst vor, erinnert
6ei nur an so unterschiedliche Namen wie Troeltsch, Stephan oder
auch an den weniger bekannten Paul Jaeger — die Namensnennung
ließe sich mühelos fortsetzen —, aber richtig ist, daß in
so umfassender Weise der Problemkreis in diesem Werke erstmals
herausgearbeitet worden ist.

Den sprachgeschichtlichen Herleitungen des deutschen Wortes
,,Glaube" wird ebenso fesselnd in der Darstellung nachgegangen
wie dem Sprachgebrauch, zu dem die Grammatik das
Hilfsmittel leiht. Gegen Schluß der einleitenden Besinnung steht
die richtungweisende ,.vorläufige" Definition des Glaubens:
„Glaube ist die Seinsweise der von Gott ergriffenen, zu ihm hin
geöffneten, auf ihn hin gerichteten Existenz", wobei der Verfasser
stark unterstreicht, daß bei dieser Definition sämtliche
Glieder zu beachten sind (S. 1 5).

Es ist gut, daß Neuenschwander in das gegenwärtige theologische
Gespräch so ohne Abstrich hineinruft: „Es ist für das
Wesen einer Theologie immer entscheidend gewesen, ob sie in
ihrem Ansatzpunkt von den Sprüchen Jesu ausgegangen ist oder
von dem urchristlichen Kerygma von Jesus als dem gekreuzigten
und auferstandenen Messias" (S. 21). Ausdrücklich sei bemerkt,
daß auch Neuenschwander darum weiß, daß die alte Unterscheidung
von Evangelium Jesu und Evangelium von Jesus Christus
Mißverständnisse offengelassen habe, da auch — und hier zeigt
«ich bei Werner und Neuenschwander der bestimmende Einfluß
Albert Schweitzers — der historische Jesus „dogmatische" Vorstellungen
gehabt habe. Bündig wird vermerkt, daß „in der Verkündigung
Jesu der Glaube existentiell gefaßt" ist (S. 22). Der
Verfasser hat denn in der Tat im Organ des schweizerischen theologischen
Liberalismus „Theologische Umschau" 1955 (Heft 1,
S. 17 ff.) über die „Auswirkungen der Gedanken Albert Schweitzers
in der gegenwärtigen Theologie" sich im besonderen geäußert
.

Die Erhellungen zum Glaubensbegriff gehen von den Synoptikern
über die Urgemeinde, Paulus, Johannes und die Alte
Kirche im raschen Zug über Scholastik, Mystik. Reformation usf.
bis zu Schleiermacbeir, Kierkegaard, Ritsehl, Schlatter, E. Brunner,
Bultmann und anderen. Ein Eingehen im einzelnen würde den
Rahmen dieser Besprechung sprengen. Nur summarisch kann gesagt
werden, daß je nach dem eigenen Glaubensverständnis
Zustimmung oder Widerspruch bei den einzelnen Partien sich ergeben
werden.

Es kann mit einem gewissen Recht gefragt werden, ob nicht
statt der im Rahmen des Möglichen mehr oder minder breiten
Beschäftigung mit den erwähnten Namen nicht andere das gleiche
Anrecht hätten. Man wird den Einwand gelten lassen müssen.
Keineswegs aber ist daraus ein wirklicher Vorwurf abzuleiten.
Jede theologiegeschichtlichc Würdigung muß Grenzen ziehen.
Immerhin muß die Frage erlaubt 6ein, ob der Enkelschüler
Schweitzers von diesem nicht etwas stärker sich gerade in der
Neigung, „Außenseiter" der Theologiegeschichte heranzuziehen,
hätte anregen lassen sollen. Ist doch Schweitzers großes Kompendium
der Jesusforschung ein ganz hervorragendes Beispiel für die
fruchtbaren Ergebnisse, die dabei ins Licht treten können.

Der zweite Hauptteil entfaltet den existentialen Glaubensbegriff
. Die Ergebnisse, die aus der geschichtlichen Überschau
aus dem ersten Teile gewonnen wurden, helfen dabei, das Verständnis
durch mit Anschauung gesättigte Hinweise zu erleichtern
. Der Ausgangspunkt wird von dem durch die Besinnungen
Rudolf Ottos näher bestimmten Abhängigkeitsgefühl Schleier-
"lachers genommen. Unmißverständlich wird diese religiöse Abhängigkeit
als Kreaturgefühl erkannt, und zwar als „das Gefühl
einer Kreatur, die in ihrem eigenen Nichts versinkt und vergeht
ßegenüber dem, was über aller Kreatur ist" (S. 194). Diese wört-
Mie Anführung aus Rudolf Otto „Das Heilige" sichert den Ausgangspunkt
Neuenschwanders gegen die Unzulänglichkeiten, die
sich einstellen, wenn der Rekurs auf Schleiermacher allein erfolgt
. In immer neuen Ansätzen und auch Auseinandersetzungen
verlaufen die weiteren Untersuchungen. Dabei wird in ganz
zwingender Weise deutlich, daß der neue Liberalismus, wie ihn
im Verein mit anderen Namen der Berner Schule Ulrich Neuenschwander
vertritt, gegen den Vorwurf gefeit ist, der gegen
manche Vertreter des älteren theologischen Liberalismus erhoben
wird, daß sie der seinsmäßigen Zwiespältigkeit nicht oder
doch nicht genug gerecht würden. Das kommt besonders auch
gegen Schluß des Buches zum Ausdruck. Die daraus entnommenen
Sätze sind zudem trefflich geeignet, ein Beispiel für die fesselnde
Schreibweise Ncuenschwanders zu geben:

„Die Treue bildet die Brücke, auf der die Existenz über den Abgrund
auch der seelischen Leere schreitet, die Brücke über Verzweiflung,
Verschmachten, Verlassensein, Verworfensein, Verdammtsein. Wenn
man mythologisch von einem Glauben auch in der Hölle spricht — und
Luther fühlte sich oft in die Hölle versetzt, und ungezählte Heutige
vermögen ihre schauerlichen und grausigen Erlebnisse und Schicksale in
Kriegen und Gefangenschaften, unter Bomben und Marterungen nur mit
den Bildern der Hölle auszudrücken — dann kann ein solcher Glaube in
der Hölle nur bedeuten: die letzte Treue, die auch durchhält, wenn das
Gefühl dagegen schreit. Denn in der Hölle ist jedes Gefühl des Friedens,
des Geborgenseins und der Freude vertilgt, und das Gemüt ist vollständig
angefüllt durch Qualen und Schrecknisse..." (S. 328).

„Aber der Glaube überschreitet das Gefühl, und wenn er auch ohne
das Gefühl sich zur Frage formt, so bleibt er doch in seinem letzten
Aufschrei in letzter Treue auf Gott bezogen und auf ihn ausgerichtet;
so wird das Gebet Jesu am Kreuz zum gewaltigsten Ausdruck des Glaubens
und seines Dennoch" (S. 329).

Möge dieses innerlich gewichtige Buch mithelfen, einer Neubesinnung
auf das Wesen evangelisch-protestantischer Glaubensfrömmigkeit
Bahn zu brechen.

Leipzig Rudolf Grab»

ETHIK

Trillhaas, Wolfgang: Ethik. Berlin: Töpelmann 1959. XV, 464 S.
gr. 8° = Sammlung Töpelmann. Erste Reihe: Die Theologie im Abriß
, Bd. 4. Lw. DM 26.-.

Das Buch ist betonterweise ein Lehrbuch. Es versucht deshalb
so knapp und klar wie möglich in die wichtigsten Probleme der
evangelischen Ethik, wie sie dem heutigen Menschen begegnen,
einzuführen. Nach einer kurzen Einleitung (S. 1—17) wird der Stoff
traditionsgemäß auf drei Teile verteilt: Prinzipienlehre (S. 18
-104), Ethik der Person (S. 105-242) und Ethik der Gemeinschaft
(S. 243—449). Diese Einteilung wird jedoch ziemlich willkürlich
durchgeführt, so daß Probleme wie „Technik", „Wissenschaft
" und „Kunst" im zweiten Teil, solche wie „Ehre" und
..Eigentum" im dritten behandelt werden.

Dem Grundgepräge nach befindet sich diese Arbeit in viel
größerer Nähe zur philosophischen Ethik als die meisten neueren
in der evangelischen Theologie. Wenn Emil Brunners „Das Gebot
und die Ordnungen" (1932) insofern einen Neuanfang bedeutete,
als es betont die Ethik als einen Teil der Dogmatik verstehen
wollte, muß das Buch von Trillhaas als ein bewußtes Nein zu
dieser Linie bewertet werden. Vor allem in den grundsätzlichen
Fragen, übrigens nicht nur im ersten Teil, wird der Leser mehr
an die Tradition von Kant und Goethe bis auf die moderne Wertphilosophie
(dagegen bestimmt nicht die Existenzphilosophie) als
an die theologischen Problembehandlungen erinnert. Merkwürdigerweise
behauptet der Verf. (S. 4), daß eine ausschließlich auf
die christliche Voraussetzung bezogene und auf die Christenheit
beschränkte (I) Ethik sich jeden Einflusses philosophischer Fragestellungen
erwehren müsse, weil sie darin eine Beeinflussung
durch fremde Gesetze sehen müsse. Das ist doch eindeutig falsch.
Selbstverständlich muß jede christozentrische Ethik auch auf
philosophische Fragestellungen achten und kann, staunend, aber
doch auch dankbar, noch dazu feststellen, daß Gott es merkwürdigerweise
so gefügt hat, daß die Kirdie Christi neue Einsichten
in das Menschsein und in Gottes Willen mit seinen Kindern
, Männern wie Voltaire oder Kant, Marx oder Nietzsche
verdanken muß. Hier gilt doch wirklich: Alles ist euer, sei es Voltaire
oder Marx, Nietzsche oder Heidegger. Nur daß man, was