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1960 Nr. 5

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

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phische Propädeutik ist ein wirklich gutgeschriebenes, ein gelehrtes
Buch und ein Buch, das ein über das Übliche hinausgehendes
Wissen vermittelt, gerade weil es 6ich in 60 weitem Maße auf
historischer Ebene hält. Griechische Vokabeln prägen die meisten
seiner Seiten, und es stellt eine hervorragende Ergänzung zur Geschichte
der Philosophie dar, geschrieben von einem Manne, der
diese alten Philosophen wirklich kennt und ihre Probleme versteht
. Beim Lesen des Buches wuchsen die Bewunderung und
Dankbarkeit des Verfassers dieser Buchbesprechung vielleicht
noch mehr als seine kritische Haltung.

Kopenhagen Suren Holm

H ä b e r 1 i n, Paul: Vom Menschen und seiner Bestimmung. Zeitgemäße
Betrachtungen. Basel: Fr. Reinhardt o. J. 117 S. 8°. Kart. DM 5.80.

Dieses Bändchen des bekannten Baseler Philosophen und
Pädagogen ist hervorgewachsen aus Radio-Vorträgen, mit denen
er in der geistigen Verwirrung unserer Zeit den Hörern Auskunft
geben wollte über Sinn und Ziel ihres Lebens, im Gegensatz zu
einem stark verbreiteten müden Kulturpessimismus. So beginnt
das erste Kapitel gleich mit einer scharfen Kritik der Kulturkritik
. H. ist aber weit entfernt, den Menschen zu überschätzen:
„Wer die Wirklichkeit kennt, oder doch ernstlich bemüht ist, sie
zu kennen, kann jedenfalls nicht Optimist sein." „Menschen
können zivilisiert werden, aber keine Zivilisation ändert
da6 Wesen des Menschen. Er ist und bleibt das Gefährlichste,
was er auf der Welt gibt." Trotzdem hat H. recht, wenn er fragt:
„Lebt nicht in jedem Menschen tief im Innern mindestens
der Wille zum Guten?" (S. 94 f.) Man erinnere sich an
Mathilda Wrede in der Zelle des Mörders! Mehr als einmal bekennt
sich der Philosoph zu dem christlichen Glauben, d. h. zu
der frohen Botschaft von Gottes unbedingter Güte (fast im Sinne
Marcions). Im Anschluß an eine lehrreiche Herodot-Geschichte
fuhrt uns Kapitel 8 vom Orakel zum Gewissen.

Der Theologe hat zuweilen Bedenken gegenüber der Auslegung
at.lieber Stellen. Bei Kapitel 7 über die menschliche Freiheit
darf ich wohl erinnern an das wahre Wort von Wilhelm
Busch: „Wir können die menschliche Freiheit nicht beweisen; wir
müssen 6ie glauben, weil wir Verantwortung tragen." So mag
der Leser hier und da Einwendungen erheben; aber auch da wird
er 6eine Freude haben an der scharfsinnigen Gedankenführung.
Wir begreifen also den Wunsch der Hörer, die das Ganze im Druck
vor sich zu haben wünschten.

Hannover-Kleefeld Hermann Schuster

B a k k e r, Rcinout: Der andere Mensch in der Phänomenologie Mer-
lcau-Pontys.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1960 S. 10—26.
Schlegel, Wolfgang: Der Standort Diltheys und Yorcks von Wartenburg
.

Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte XII, 1960 S. 45—59.
Spranger, Eduard: Der Idealismus.
Universitas 13, 1960 S. 13—16.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Pieper, losef: Über den Begriff der Tradition. Köln u. Opladen:
Westdeutscher Verlag [1958]. 58 S. gr. 8° = Arbeitsgemeinschaft für
Forschung des Landes Nordrhcin-Wcstfalen. Geisteswissenschaften,
H. 72. Kart. DM 3.70.

Dies« Heft enthält auf S. 7-36 den Vortrag des Verfs. über
den Begriff der Tradition, auf S. 36 f. Literaturhinweise und auf
S. 39—56 die Diskussionsbeiträge, unter denen der von Joachim
Ritter von besonderem Gewicht ist. Verf. arbeitet zunächst die
formalen Strukturclementc des TraditionsbegTiffe6 heraus und
trägt dann seine These vor, die besagt, daß das Philosophieren
eine Überlieferung, wie sie durch den vorgelegten Begriff bestimmt
wird, nicht ausklammern darf.

Der Abschnitt über die Elemente des Begriffes Tradition
(13— 20) dürfte für den Theologen besonders wichtig sein. Pieper
deckt diese Elemente nicht an dem spezifisch christlichen Begriff
der Tradition auf. Wie weit seine Überlegungen tatsächlich doch I

von der Tatsache der christlichen Tradition geleitet sind, ist
eine andere Frage. Methodisch nimmt er den Begriff so, wie er
„im allgemeinen menschlichen Sprach- und Denkgebrauch lebendig
ist". Dabei grenzt er 6ich sowohl gegen Gerhard Krüger als
auch gegen Alexander Rüstow kritisch ab. Nach Pieper beschreibt
der Begriff Tradition ein Geschehen zwischen mindestens zwei
Personen, deren Funktionen in diesem Geschehen nicht vertauscht
werden können. Die eine Person überliefert der anderen
einen Inhalt, der „von wo anders her" empfangen wurde, mit
dem Ziel, daß dieser Inhalt von der zweiten Person als gültig
angenommen wird. Dieses Geschehen der Überlieferung ist kein
Dialog, es deckt sich auch nicht mit lehrender Unterweisung.
Da6 Besondere dieses Geschehens wird bewirkt durch das Besondere
dessen, das überliefert wird. In der Überlieferung wird
nämlich etwas kund getan, das in einem radikalen Sinn
empfangen wurde. „Das entscheidende Bedeutungselement
im Begriff der Überlieferung ist, daß von Anfang an ausschließlich
das Empfangene und also ein uranfänglich Empfangenes
weitergegeben werde" (19). Das Überlieferte kann also von Erfahrung
und Vernunft nie eingeholt werden; es kann auch hinsichtlich
seines „Was" im Prozeß der Überlieferung nicht wachsen,
es muß vielmehr gerade in seinem „Was" bewahrt und rein erhalten
werden. Besonders wichtig ist der Hinweis darauf, daß Überlieferung
eret dort geschieht, wo das Überlieferte nicht nur bekannt
ist und gewußt wird, sondern als gültig anerkannt wird,
obwohl 6ich dieser Gültigkeitsanspruch letzten Endes einer kritischen
Nachprüfung entzieht. Das historische Bewußtsein ist
also keineswegs ein Ersatz für Bewahrung von Überlieferung,
wenn auch die Beziehungen zwischen „Historie" und Überlieferung
nicht notwendig nur negativer Art sind.

Das Überraschende an Piepers Überlegungen besteht darin,
daß er das Ereignis echter Überlieferung keineswegs auf die
christliche Lehrtradition einschränkt. Er zeigt, daß die klassische
antike Philosophie, insonderheit Plato, alle Strukturelemente des
vorgetragenen Überlieferung6begriffs kennt und ohne die Einbeziehung
solcher Überlieferung nicht gedacht werden kann.
Was durch Diotima im Symposion geschieht, ist das Geschehen
der Überlieferung. Der platonische Rückgriff auf „die Alten", der
schon rein stofflich viel umfassender ist, als herkömmlich angenommen
wird, weist in die gleiche Richtung. Die Alten sind
die, die der ursprünglichen Kundmachung der göttlichen allumfassenden
Weisheit in einem göttlichen Logos, der Offenbarungsqualität
hat, noch nahe standen. Darum 6ind die Alten
Bürgen für das, was zu überliefern ist.

Pieper erblickt in den Mythen einen „Nachklang" dieser
urzeitlichen Rede Gottes. Nicht die Mythen als solche sind diese
Uroffenbarung, aber sie enthalten unter mancherlei Verkrustungen
und Entstellungen ihren „Restbestand", den allerdings das
antike Denken aus eigener Kraft nicht mehr herausheben konnte.
Interessant sind die Andeutungen des Verfs., mit denen er darüber
hinaus „bestimmte, der menschlichen Existenzmitte zugeordnete
Gewißheiten, die sich als sie selber zwar nicht zeigen,
deren unverwandte Anwesenheit und Wirksamkeit aber unter
gewissen Bedingungen zwingend deutlich wird" (31 f.), in den
Bereich der Uroffenbarung und damit in den Bereich echter Überlieferung
einbeziehen will. Diese „unbewußten Gewißheiten"
werden zu C. G. Jungs „urtümlichen Ideen" in Beziehung gesetzt.
Sie sind in den Fortzeugungsprozeß eingesenkt und werden durch
den darin verborgenen Kommunikationsvorgang weitergegeben.
Verf. erblickt in dem memoria-Begriff Augustins einen Hinwek
auf den hier gemeinten Sachverhalt; denn diese memoria sei „etwas
Überindividuelles, eine Kraft, die über die Generationen-
folge hinwegzudringen und Erfahrungen zurückzurufen vermöge,
die dem Menschen in der Ursprungsfrühe seiner Geschichte zuteil
geworden sind" (32).

Wie die Einbeziehung der Überlieferung in das Philosophieren
zu denken ist, wird vom Verf. nicht mehr gesagt. Er deutet
nur an, daß e6 sich um ein Verhältnis zwischen Geglaubtem
und Gewußtem in kontrapunktischer Zuordnung handeln soll. In
diesem Vortrag kam es ihm nur darauf an, die Notwendigkeit
solcher Einbeziehung darzutun. Diese Notwendigkeit ist für ihn
mit seinem Begriff von Philosophie unmittelbar gegeben. Philosophie
im eigentlichen Sinn ist für ihn „die methodische, mit den